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Branche kompakt | Argentinien | Pharmaindustrie

Pharmaindustrie in Argentinien hofft auf bessere Zeiten

Die Rezession der argentinischen Wirtschaft trifft auch die Pharmabranche. Erste positive makroökonomische Signale geben ihr aber die Zuversicht auf eine absehbare Erholung. 

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

Ausblick der Pharmaindustrie in Argentinien

  • Gelingt es, Argentinien aus der Rezession zu führen, wird auch die Nachfrage nach Medikamenten wieder steigen, speziell nach jenen mit Selbstbehalt. Es wieder mehr Beschäftigte geben, die in das Gesundheitssystem einzahlen, oder Personen, die sich eine Privatversicherung leisten. 
  • Versinkt das Land tiefer in der Rezession, tritt das Gegenteil ein. 

Anmerkung: Einschätzung der Autorin für die kommenden zwölf Monate auf Grundlage von prognostiziertem Umsatz- und Produktionswachstum, Investitionen, Beschäftigungsstand, Auftragseingängen, Konjunkturindizes etc.; Einschätzungen sind subjektiv und ohne Gewähr; Stand: August 2024

  • Markttrends

    Spätestens ab 2026 soll der Absatz von Medikamenten in Argentinien wieder steigen. Außerdem hat sich das Land als wichtiger Standort für klinische Forschung etabliert.

    Argentinien ist nach Brasilien und Mexiko der drittgrößte Pharmamarkt Lateinamerikas. Im Jahr 2023 fielen etwa 12,7 Prozent der Arzneimittelverkäufe der Region auf Argentinien. Der Branchenverband Cámara Industrial de Laboratorios Farmacéuticos Argentinos (CILFA) prognostiziert für Lateinamerika insgesamt ein Jahresplus von 3 bis 5 Prozent zwischen 2024 und 2028.

    Ab 2026 sind die Aussichten besser

    Die Wirtschaft steckt tief in der Rezession – ein Umstand, der auch die Pharmabranche trifft. CILFA erwartet deshalb in seiner jüngsten Studie eine Verringerung des Inlandsabsatzes (ohne Importe) von minus 5 Prozent für 2024 auf und für 2025 eine Stagnation. Ab 2026 soll der Absatz wieder anziehen. CILFA-Chefökonom Mauricio Claveri hält diese Berechnung allerdings für zu konservativ; wenn makroökonomisch nicht "alles aus dem Ruder läuft", müsste schon 2024 der Tiefpunkt durchschritten sein und es bereits 2025 wieder aufwärtsgehen.

    Bereits seit Jahren steigt die Armut in der argentinischen Bevölkerung; auch die Kaufkraft der Mittelschicht bröckelt. Eine der ersten Maßnahmen des neuen Präsidenten Javier Mileis 2024 war eine Liberalisierung der Preise, um die seit Jahren aufgestauten Preisverzerrungen zu beseitigen. Speziell die privaten Krankenversicherer erhöhten deshalb ihre Beiträge. Viele Menschen sahen sich daraufhin gezwungen, ihre Policen zu kündigen. Andere können sich nach Auskunft von Ärzten die benötigten respektive gewünschten Medikamente nicht mehr leisten.

    Spürbar sind die Einbußen bei rezeptfreien Medikamenten und solchen mit Zuzahlung (je höher die Zuzahlung, umso stärker die Einbußen). Im Wesentlichen stabil blieb Branchenangaben zufolge der Absatz von Medikamenten, die zu 100 Prozent übernommen werden. Wertmäßig sind laut CILFA 90 Prozent aller auf dem argentinischen Markt verkauften Arzneimittel Markenprodukte. Rund 88 Prozent entfielen 2023 auf per Rezept verschriebene Produkte (75 Prozent der Einheiten) respektive 12 Prozent (25 Prozent der Einheiten) auf frei verkäufliche Waren.  

    Grundsätzlich sind die Chancen auf dem argentinischen Pharmamarkt positiv, erklärt Ariela Goldschmit, Expertin für das argentinische Gesundheitswesen von der Universität Buenos Aires: "Argentinien ist trotz vieler institutioneller Schwächen, Finanzproblemen und Instabilität ein Land mit vielen Möglichkeiten für die Pharmabranche, auch weil alle Menschen das Recht auf eine kostenlose medizinische Grundversorgung durch den Staat haben." 

    Argentinien ist weltweit bedeutend in klinischer Forschung

    Neben dem Absatz ist Argentinien für Pharmafirmen im Bereich klinischer Forschung von großem Interesse. Künftig könnten auch Public-Private-Partnership-Projekte im Forschungsbereich an Bedeutung gewinnen, meint Kato Mastai, Professor für Gesundheitswirtschaft an der Universidad de San Andrés in Buenos Aires. Dem kommen ein gutes universitäres Umfeld und ein Bildungssystem entgegen, das innovationsfreudige und improvisationsfähige Fachkräfte hervorbringt.

    In den letzten Jahren hat sich Argentinien zu einem der weltweit besten Ökosysteme für klinische Forschung entwickelt. Zugleich wurde der Sektor zu einem bedeutenden Devisenbringer, wobei auch Auftragsforschung eine wichtige Rolle spielt. Allein die in der  Cámara Argentina de Especialidades Medicinales (CAEME) zusammengeschlossen Firmen stellten 2022 mit ihrer klinischen Forschung 44 Prozent aller F&E-Investitionen des Landes; Tendenz  steigend (2018 noch 26,9 Prozent; inflationsbereinigter Zuwachs zwischen 2018 und 2022: 126,6 Prozent). Mit anderen Worten: Weniger als 5 Prozent aller Unternehmen, die Forschung und Entwicklung betreiben, vereinten auf sich 44 Prozent der F&E-Anstrengungen des gesamten Unternehmenssektors.

    Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

  • Branchenstruktur

    In Argentinien gibt es eine starke lokale Pharmaindustrie, deren Produktion über drei Viertel der Nachfrage des Landes deckt. 

    Argentiniens Pharmabranche durchlebt schwere Zeiten. Zwar stieg der Industrielle Produktionsindex (PII) 2023 im Vergleich zu 2022 noch um 1,2 Prozent (Gesamtchemie: -2,7 Prozent). Doch 2024 können sich auch die Arzneimittelhersteller der Rezession nicht mehr entziehen. Im Vergleich zur Vorjahresperiode ging der Index im 1. Halbjahr 2024 um 11,4 Prozent zurück (Gesamtchemie: -8,1 Prozent). 

    Starke lokale Industrie

    Im Gegensatz zu sonst in der Region ist der argentinische Pharmamarkt überwiegend in lokaler Hand. Laut CILFA deckt die heimische Produktion über drei Viertel des Binnenverbrauchs (2023: 79 Prozent). Anders sieht es bei den zu verarbeitenden Wirkstoffen aus. Von diesen kommen rund 80 Prozent aus dem Ausland, vor allem aus China und Indien (46,3 und 18,3 Prozent), gefolgt von der Schweiz (7,3) und Deutschland (6,6).

    In den letzten Jahren stellte eine Reihe ausländischer Firmen die Produktion vor Ort ein. Brancheninsider führen dies auf die chronisch schwierige ökonomische Lage zurück. Allerdings bedeutet ein solcher Schritt meist keinen Abschied vom argentinischen Markt. Viele haben Lizenzen an lokale Firmen vergeben. "In Argentinien ist die Krise zur Normalität geworden. Aber dazwischen gibt es immer wieder Phasen des Wachstums. Dies macht den Markt attraktiv genug, um zu bleiben," bewertet ein Vertreter eines deutschen Pharmaunternehmens in Buenos Aires die Situation.

    Für die, die geblieben sind, stellen ihre Töchter vor Ort jedoch auch eine wichtige Verkaufsplattform für hauseigene Artikel dar, die sie nicht selbst im Land herstellen. Im Schnitt machten  importierte Erzeugnisse 2023 für internationale Pharmafirmen die Hälfte ihres Absatzes in Argentinien aus, die andere Hälfte war lokal produziert. Anders ist es bei lokalen Firmen: Etwa 94 Prozent ihres Absatzes besteht aus lokal hergestellten Erzeugnissen - die restlichen 6 Prozent sind Importe. 

    Marktführer ist die argentinische Grupo Roemmers. Weitere große Player sind Elea Phoenix und Casasco. Unter den deutschen Anbietern findet sich lediglich Bayer unter den größten zehn. Daneben sind Boehringer Ingelheim und Merck (ohne Produktion) in Argentinien aktiv. "Argentinien ist ein sehr attraktiver Markt für uns – und der Mühe wert. Das gilt umso stärker, wenn die Wirtschaft hier wieder wächst," erklärt Marcelo Ponte, Geschäftsführer Healthcare South Cone (Argentina, Bolivia, Uruguay, Paraguay) & Managing Director Merck Argentina.

    Die Top-Pharmaunternehmen in Argentiniennach Verkaufserlösen auf Basis von Großhandelspreisen 2021, in Millionen US-Dollar
    UnternehmenHerkunft

    Verkaufserlöse

    RoemmersArgentinien

    538

    Elea PhoenixArgentinien

    497

    CasascoArgentinien

    404

    GadorArgentinien

    386

    Química MontpellierArgentinien

    332

    Quelle: Cámara Industrial de Laboratorios Farmacéuticos Argentinos (CILFA) 2022

    Fast alle Firmen haben ihren Sitz in oder um Buenos Aires. Kato Mastai beobachtet allerdings: "Der Verkauf von Arzneimitteln in Argentinien wird dezentraler. Es genügt nicht mehr, das Geschäft von Buenos Aires aus zu betreiben. Man wird künftig stärker herumreisen müssen, um wichtige Kontakte zu Entscheidern zu pflegen." Aber das ist nicht alles:

    "Unternehmen, die in Argentinien erfolgreich sein wollen, brauchen Personal, das mit der lokalen Kultur vertraut ist und sich flexibel an komplexe und unvorhersehbare Situationen anzupassen weiß. Die Unsicherheit zu verwalten ist eine der großen Herausforderungen für heutiges und künftiges Führungspersonal."

    Kato Mastai, Professor für Gesundheitswirtschaft an der Universidad de San Andres, Buenos Aires

    Importe nach Argentinien werden wieder leichter

    Laut UN Comtrade importierte Argentinien 2023 pharmazeutische Produkte für 2,6 Milliarden US$, erheblich weniger als in den Vorjahren. Die Spitzenwerte 2021/22 spiegeln die hohen Einkäufe von Corona-Impfstoff wider. Hinzu kamen 2023 die prekäre Devisensituation und die zurückgehende Kaufkraft. Für 2024 rechnet die Branche wieder mit steigenden Importen.

    Wichtigstes Herkunftsland waren 2023 die USA (742,4 Millionen US$; 29 Prozent Importanteil). Deutschland folgte an zweiter Stelle (18 Prozent). Gefragt sind insbesondere Originalpräparate und Spezialitäten, die nicht in Argentinien selbst hergestellt werden. Auffällig ist der wachsende Anteil der Biosimilars (2023: 37 Prozent), fast zwanzig Mal mehr als noch vor zwanzig Jahren.

    Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

  • Rahmenbedingungen

    Die Zulassung für Arzneimittel ist in der Regel einfach, soweit die Medikamente bereits in den USA oder der EU zugelassen sind. Der Vertrieb hingegen ist sehr komplex.

    Generell ist die Zulassung von Arzneimitteln, sofern sie bereits in den USA oder in der EU zugelassen sind, unproblematisch. Zuständig ist die Administración Nacional de Medicamentos, Alimentos y Technología Médica (ANMAT).

    Die Restriktionen zur Bezahlung von Importen sind aufgehoben. Derzeit sind Zahlungen bereits wieder nach 30 Tagen möglich.

    Komplexe Vertriebssysteme erschweren den Überblick - Preise sind nicht gleich Preise

    "Den geforderten Preisen stehen oft viel niedrigere gezahlte Preise gegenüber. Für dasselbe Präparat nehmen wir viele verschiedene Preise – je nach Kunde, dessen Kaufvolumen und Verhandlungsgeschick. Tatsächlich sind in den Preisauszeichnungen die später zu gewährenden Rabatte bereits einkalkuliert. Grundsätzlich merkt man, dass das Geld nicht mehr so locker sitzt – die Verhandlungen werden heute härter geführt als früher."

    Argentinischer Branchenvertreter, Buenos Aires

    Der Vertrieb von Arzneimitteln erfolgt zunächst über den Großhandel ("distribuidores"). Dieser arbeitet mit den rund 1.300 Zwischenhändlern zusammen, also den "drogerías integrales", die hauptsächlich preiswerte Medikamente (rezeptpflichtige oder OTC) im Sortiment haben, sowie den "drogerías especializadas", die sich auf hochpreisige Arzneimittel konzentrieren. Von diesen Zwischenhändlern beziehen die etwa 13.500 Apotheken des Landes, mitunter auch die zahlreichen öffentlichen und privaten Gesundheitszentren beziehungsweise Krankenhäuser ihre Produkte. Letztere schließen auch – je nach Volumen – direkt mit den Herstellern oder Großhändlern Verträge ab oder profitieren von den Branchenvereinbarungen. Größter Abnehmer der Branche ist PAMI, die Krankenkasse für Rentner.

    Laut CILFA sind die Distributionskanäle in hohem Maße zentralisiert: Auf lediglich vier Distributoren (von insgesamt 64) entfielen 2021 81 Prozent der in Apotheken fakturierten Arzneimittel. Diese vier wiederum befinden sich im Besitz der großen nationalen und internationalen Player:

    • Rofina (unter anderem Roemmers, Investi Nova Argentina)
    • Disprofarma (unter anderem Bagó)
    • Farmamet (Gador, Casaco, Novartis, Böhringer-Ingelheim)
    • Globalfarm (überwiegend in US-amerikanischer Hand)

    Öffentliche Ausschreibungen finden auf Basis der Rahmenkooperationsvereinbarung Nr. 047 17 statt. Sie fallen in die Zuständigkeit des Gesundheitsministeriums, der Superintendencia de Servicios de Salud, des Instituto de Obra Médico Asistencial und PAMI.

    Die GTAI stellt ausführliche Informationen zum Wirtschafts- und Steuerrecht sowie zu Einfuhrregelungen, Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen zur Verfügung.

    So funktioniert das argentinische Gesundheitssystem

    Das argentinische Gesundheitswesen ist hochkomplex und sehrt fragmentiert. Wir haben einen vereinfachten Überblick für Sie erstellt:

    Das argentinische Gesundheitssystem 

    Rahmendaten zum Gesundheitssektor in Argentinienjeweils jüngste verfügbare Daten
    Indikator                                                                                      

    Wert

    Gesamtbevölkerung (2024*), in Mio.)

    47,1

    Anteil der Bevölkerung über 65 Jahren (2024, in %)

    12,2

    Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (2021, in % des BIP)

    10,4

    - davon öffentlich (Zentralstaat, Provinzen, Gemeinden (in % des BIP) 

    3,1

    Anteil der Bevölkerung, die ausschließlich durch das kostenlose öffentliche Gesundheitssystem versorgt werden (2021, in %)

    32,4

    Anzahl der Ärzte auf 10.000 Einwohner (2020)

    40,7

    Anzahl der Krankenhausbetten auf 10.000 Einwohner

    circa 36

    Anzahl der Apotheker auf 10.000 Einwohner (2016)

    4,9

    * Schätzung durch das argentinische Statistikamt Indec.Quelle: Indec 2019, 2022, 2023 und 2024; CILFA 2024; Gesundheitsministerium, Observatorio Federal Recursos Humanos en Salud (Oferhus), Registro Federal de Establecimientos der Salud (REFES) 2020

    Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

  • Kontaktadressen

    Bezeichnung

    Anmerkungen

    Germany Trade & Invest

    Außenhandelsinformationen für die deutsche Exportwirtschaft

    AHK Argentinien

    Anlaufstelle für deutsche Unternehmen

    Exportinitiative GesundheitswirtschaftDie Exportinitiative bündelt Unterstützungsangebote für die Internationalisierung der Gesundheitswirtschaft
    Ministerio de Salud 

    Nationales Gesundheitsministerium

    Instituto Nacional de Estadística y Censos (INDEC)

    Nationales Statistikamt

    Administración Nacional de Medicamentos, Alimentos y Técnología (ANMAT)Aufsichtsbehörde über die Zertifizierung von Pharmaprodukten, Medizintechnik, neuen medizinische Behandlungen etc.
    Instituto Nacional de Servicios Sociales para Juvilados y Pensionados (PAMI) Nationale Krankenkasse hauptsächlich für Rentner und Pensionäre; größter Abnehmer von Arzneimitteln in Argentinien

    Dirección Nacional de Información Científica (DNIC)

    Nationale Behörde zur Bereitstellung von Informationen (Datenbank) über wissenschaftliche und technologische Entwicklungen im Land

    Sistema Integrado de Información Sanitaria Argentino (SISA)

    Nationale Statistikbehörde zum Gesundheitswesen, vor allem zu medizinischen Einrichtungen

    Observatorio Federal de Talento Humano en Salud (OFETHUS)

    Teil von SISE; verfügt über Daten zu medizinischem Personal

    Cámara Argentina de especialidades Medicinales (CAEME)

    Verband internationaler Branchenunternehmen aus Pharmaindustrie und Medizintechnik 
    Cámara Industrial de Laboratorios Farmacéuticos Argentinos (CILFA)Verband nationaler Pharmaunternehmen
    Fundación Centro de Estudios para el Cambio Estructural (CECE)Private Stiftung mit Studienschwerpunkt Strukturwandel

     

    Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

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