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Daytime view of Budapest landmarks in autumn | © GettyImages/Sergey Alimov

Special | 20 Jahre EU-Osterweiterung | Ungarn

Ungarn: Robuster Handel mit Gesundheitsgütern

Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Ungarns. Ungarn ist relevant für die Exporte der deutschen Gesundheitswirtschaft. Einige Unternehmen haben dort auch Niederlassungen. 

 

Von Walter Liedtke (pressto GmbH)

Ungarn liegt nicht nur mitten in Europa und ist Teil der Europäischen Union, sondern das Land ist seit Dezember 2007 auch Mitglied im Schengenraum. Dadurch fallen die Grenzkontrollen zu anderen EU-Staaten weg. Anfang Mai 2011 wurden zudem die letzten Beschränkungen für ungarische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der freien Wahl des Arbeitsplatzes in allen EU-Mitgliedsstaaten aufgehoben. 

Aufgrund gravierender Rechtsstaatlichkeitsdefizite wurden in den vergangenen Jahren insgesamt mehr als 30 Milliarden Euro an EU-Mitteln eingefroren. Davon hat die EU erst im Dezember 2023 rund zehn Milliarden Euro freigegeben. Die Folge der ausbleibenden Zahlungen aus Brüssel: Ungarn werden viele Milliarden im Haushalt fehlen. Das dämpft die Erwartungen an staatliche Investitionen. Im zweiten Halbjahr 2024 hat Ungarn turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Dadurch hat das Land für sechs Monate die Chance, größeren Einfluss auf die Agenda der Europäischen Union zu nehmen. Für die EU-Ratspräsidentschaft sind die wichtigsten Themen im Bereich der Gesundheit die Prävention sowie kardiovaskuläre Krankheiten.

Handel trotz Wandel 

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich eingetrübt: Die größten Risiken sehen Firmen laut einer Konjunkturumfrage der AHK Ungarn in der schwachen Nachfrage und bei den Arbeitskosten. Aber auch der Fachkräftemangel und die Energiepreise belasten weiterhin. Die Wirtschaftspolitik der ungarischen Regierung ist unberechenbarer geworden und die Rechtssicherheit hat abgenommen. Doch die Handelsbeziehungen erweisen sich als robust. Deutsche Unternehmen erwirtschaften elf Prozent des ungarischen Unternehmens-Bruttoinlandsprodukts. Dale A. Martin, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Siemens Zrt., erläutert im Gespräch mit Germany Trade and Invest: "Heute investieren Unternehmen nicht mehr aufgrund des Lohnniveaus in Ungarn. Man muss das komplexe Geflecht aus EU-Mitgliedschaft, geografischer Nähe zu Deutschland, guter Infrastruktur, gut ausgebildeten und motivierbaren Mitarbeitern, günstigen Unternehmenssteuern und staatlicher Förderpolitik als Ganzes betrachten. Wenn man diese Elemente addiert, ist eine Ansiedlung in Ungarn weiterhin interessant."

Die Finanzierung des Gesundheitswesens ist auch in Ungarn zunehmend ein Problem, berichtet Kirsten Grieß, GTAI-Korrespondentin in Budapest: "Der Anteil öffentlicher Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt hat über die Jahre kontinuierlich abgenommen: 2005 waren es noch 8,0 Prozent, im Jahr 2022 nur noch 6,7 Prozent. Das ist einer der geringsten Werte innerhalb der EU." 

Das Gesundheitssystem steht vor einem großen Umbruch

Ungarn verfügt über ein Krankenversicherungssystem mit einer einzigen Krankenkasse. Das Nationale Institut für die Verwaltung des Krankenversicherungsfonds (NEAK) verwaltet den einzigen Krankenversicherungsfonds. Er bietet einen umfassenden Versicherungsschutz. Die Krankenversicherungsbeiträge werden von den Arbeitnehmern (3 Prozent des Einkommens) und von den Arbeitgebern (15 Prozent) erhoben. Die Verwaltung des Gesundheitssystems liegt beim Innenministerium.

Die Kommunen sind für die Organisation der Primärversorgung zuständig. Die Leistungen der Allgemeinmediziner werden überwiegend von privaten Einzelpraxen erbracht. Einige Gemeinden besitzen auch eigene Polikliniken, in denen die lokale Bevölkerung ambulant versorgt wird.

Die Ärzte an öffentlich finanzierten Krankenhäusern werden jedoch relativ schlecht bezahlt, so dass die besten von ihnen in der Privatwirtschaft arbeiten. Das ist nicht das einzige Problem. Kirsten Grieß: "Ein strukturelles Problem sind auch die extrem späten Zahlungen der öffentlichen Einrichtungen für Beschaffungen. Regelmäßig muss die Regierung einspringen und Geld dazuschießen."

Um die Gesundheitsversorgung langfristig stabil aufzustellen, plant die ungarische Regierung deshalb eine Gesundheitsreform, berichtet die GTAI-Korrespondentin: "Erste Priorität hat dabei die Umstrukturierung des Systems, also die Lastenverteilung der Leistungserbringer. Die Verschuldung soll durch einen effizienteren Betrieb reduziert werden." Im November 2024 sollen Details zu der Gesundheitsreform veröffentlicht werden. Bei der Beschaffung möchte man generell, also nicht nur in der Gesundheitswirtschaft, in Zukunft den Anteil ungarischer Lieferanten auf 20 bis 30 Prozent erhöhen. Das soll über spezifische Ausschreibungselemente geschehen.

Deutsche Medizintechnik im Einsatz

Ein gutes Beispiel für ein deutsches Unternehmen, das einen Firmensitz in Ungarn unterhält, ist die B. Braun SE – ein deutsches Pharma- und Medizinbedarfs-Unternehmen mit Sitz im hessischen Melsungen. Die ungarische Niederlassung B. Braun Avitum Ungarn Zrt. bietet in 18 Dialysezentren des Landes Behandlungen für Patienten mit Niereninsuffizienz an. Das Unternehmen versorgt nach eigenen Angaben mit Hilfe von 600 Mitarbeitern und moderner Medizintechnik 2.400 Dialysepatienten. Das entspricht 40 Prozent der Bedürftigen in Ungarn.

Eine interessante Einrichtung vor allem für Anbieter von E-Health-Dienstleistungen ist das ungarische Nationallabor für Gesundheit (https://www.eglab.hu/en/) in Szeged. Seine Aufgabe ist es, die wissenschaftliche Grundlage für eine daten- und analysegestützte Entscheidungsfindung in den Bereichen Gesundheit, Krankheits- und Pandemiebekämpfung in Ungarn zu schaffen. Durch Überwachung, Big-Data-Methoden und Modellierung sollen Lösungen für mehr Resilienz des ungarischen Gesundheitssystems geschaffen werden.

Thermalquellen und Zahntourismus

Der Gesundheitstourismus ist ein relevanter Wirtschaftsfaktor in Ungarn. Dies gilt einerseits für Kommunen, die über Thermalquellen verfügen. Mit etwa 1300 registrierten Thermal- und Heilwasserquellen ist Ungarn das Land mit den weltweit größten und ergiebigsten Vorkommen. Mehr als 300 Quellen werden in den Kurbädern, den Heilbädern und Sanatorien genutzt. Außerdem reisen in jedem Jahr rund 70.000 Patienten wegen einer Zahnbehandlung nach Ungarn. Dadurch sollen sich bis zu 70 Prozent der Kosten im Vergleich zu einer Behandlung in Deutschland einsparen lassen. Viele Menschen aus dem benachbarten Österreich nutzen diese Möglichkeit. Mit einem Anteil von 40 Prozent am Zahntourismus ist Ungarn Europas Spitzenreiter. 

 

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