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Brasilien fördert immer mehr Erdöl
Die Erdölproduktion steigt kontinuierlich. Nun werden Tiefseefelder vor der nördlichen Küste erschlossen. Gleichzeitig fließt viel Geld in die Dekarbonisierung.
30.10.2023
Von Gloria Rose | São Paulo
Die globale Energiewende ist im Gang. Langfristig wird die Nachfrage nach fossiler Energie sinken. Mittelfristig nimmt der Bedarf aber weiter zu. Die Internationale Energieagentur (IEA) geht davon aus, dass die weltweite Ölfördermenge von 2022 bis 2028 von knapp 100 Millionen auf 105,7 Millionen Barrel pro Tag steigen wird.
Dabei soll ein Viertel des zusätzlichen Erdöls aus Südamerika kommen. In den Tiefseefeldern vor der Küste von Brasilien und den benachbarten Ländern Guyana und Suriname wurden im vergangenen Jahrzehnt große Felder entdeckt. Ihr Vorteil: Eine hohe Wirtschaftlichkeit und ein vergleichsweise niedriger CO2-Fußabdruck bei der Förderung.
Brasilien unter den Top 5
Brasilien wird bis 2030 voraussichtlich unter die fünf größten Erdölproduzenten der Welt vorrücken. Heute liegt das Land auf Rang 9. Dabei soll die Fördermenge von derzeit etwa 3,3 Millionen auf über 5,4 Millionen Barrel pro Tag steigen, erwartet das auf Energie und Bodenschätze spezialisierte Beratungsunternehmen Wood Mackenzie.
Mit der zunehmenden Produktion wächst auch die Nachfrage nach Dienstleistungen und Technologie. Brasiliens aufstrebender Öl- und Gassektor bietet gute Chancen für deutsche Unternehmen. Doch Markteinsteiger brauchen einen langen Atem. "Es dauert seine Zeit, um ein Kontaktnetzwerk, eine solide Position und erfolgreiche Geschäftsbeziehungen aufzubauen", sagt Julio Cesar Moreira vom Erdöl- und Erdgasinstitut IBP.
In der brasilianischen Öl- und Gasindustrie dominiert Petrobras. Kein anderer Ölmulti auf der Welt betreibt so viele schwimmende Bohrplattformen wie der halbstaatliche Konzern. Laut dem aktuellen Investitionsplan wird Petrobras bis 2027 weitere 18 sogenannte Floating Production Storage and Offloading Units (FPSOs) in Betrieb nehmen.
Hergestellt werden die Erdölförderschiffe hauptsächlich in China, aber auch in Indonesien, Singapur und Südkorea. Auch die Entsorgung alter Plattformen rückt in den Fokus der Zulieferer und Dienstleister der Branche. Bis 2027 werden 26 Plattformen, darunter acht FPSOs, ausrangiert.
Nicht nur Petrobras vergibt Projekte. Insgesamt 84 Unternehmen fördern Öl und Gas in Brasilien. Bei fast der Hälfte handelt es sich um multinationale Gesellschaften. Laut einer Wood Mackenzie-Studie werden unabhängige Betreibergesellschaften bis 2027 voraussichtlich 10 Milliarden US-Dollar (US$) investieren und die Produktion auf 485.000 Barrel pro Tag verdreifachen. Neben der Offshore-Produktion wird auch die Förderung an Land deutlich zulegen.
Exploration konzentriert sich auf die nördliche Küste Brasiliens
Schwerpunkte der Offshore-Förderung sind bislang die Tiefseefelder im Santos-Becken und dem Campos-Becken. Während die Produktion im Santos-Becken vor der Süd- und Südostküste Brasiliens weiter ansteigt, weisen die Felder im Campos-Becken vor der Küste der Bundesstaaten Rio de Janeiro und Espírito Santo Zeichen der Erschöpfung auf. Um den Wachstumskurs zu halten, muss die Branche neue Felder entwickeln. Die Regulierungsbehörde ANP erwartet für den Fünf-Jahreszyklus bis 2027 Investitionen in Exploration in Höhe von 4 Milliarden US$. Dabei soll der Großteil in Felder vor der Küste Nordbrasiliens fließen.
So erhielt Petrobras Ende September 2023 die erste Umweltlizenz für Explorationsbohrungen im Meer vor dem Amazonas-Delta. In den fünf Tiefseebecken des "Margem Equatorial" vermutet der Ölriese Vorkommen von mindestens 10 Milliarden Barrel Erdöl. Im August 2023 erregte das Vorhaben in Deutschland mediale Aufmerksamkeit. Brasiliens Präsident Lula da Silva sprach sich während des Amazonas-Gipfels in Belém für die Bohrungen aus und sorgte damit weltweit für Aufruhr unter Klimaaktivisten.
Doch nicht nur Petrobras investiert in die Exploration vor der Nordküste. Tätig sind auch die brasilianischen Unternehmen Enauta, Aquamarine, 3R Petroleum und Prio sowie die britischen Firmen Shell, BP und Chariot. Auch Murphy Oil Corporation (USA), Sinopec (China), Mitsui (Japan), Galp (Portugal) und TotalEnergies (Frankreich) verfügen hier über Aktiva.
Für Net-Zero-Ziel 2050 muss Petrobras mehr investieren
Petrobras senkte seine CO2-Emissionen von 2015 bis 2022 um 39 Prozent. Allerdings investiert der Konzern deutlich weniger in erneuerbare Energieträger als europäische Gesellschaften. Um weiterhin Zugang zum Finanzmarkt zu haben, muss der Ölgigant die Dekarbonisierung zukünftig entschlossener angehen. Schließlich richtet sich der Kapitalmarkt auch in Brasilien zunehmend an Nachhaltigkeitskriterien aus. Mit der zunehmenden Fördermenge von Erdöl muss folglich auch das Budget steigen, das Petrobras für die Energiewende aufwendet. Laut dem neuen Investitionsplan sollen künftig 6 bis 15 Prozent der Gesamtinvestitionen in "grüne" Projekte fließen. Internationale Ölmultis sind auf dem Gebiet bereits seit Jahren aktiv.
Für die Dekarbonisierung setzt der Ölkonzern verstärkt auf Offshore-Windkraft. Im September 2023 kündigte Petrobras an, Anlagen mit einer Gesamtleistung von 30 Gigawatt installieren zu wollen, einen Teil davon in Partnerschaft mit dem norwegischen Konzern Equinor. Eine wichtige Voraussetzung ist die Regulierung. Noch 2023 will der Gesetzgeber einen Rechtsrahmen für Offshore-Windkraft verabschieden.
Zudem rücken CO2-Speicherung und grüner Wasserstoff in den Fokus. In 23 Tiefseebohrfeldern speist Petrobras bereits heute das bei der Produktion freigesetzte Gas wieder in die Lagerstätten ein. Nur noch ein Bruchteil wird abgefackelt. Dadurch lagerte der Konzern im Jahr 2022 mehr als 10 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ein und steigerte zeitgleich die Fördermenge an Erdöl.
Ab 2027 will Petrobras auch Kohlendioxid aus den Raffinerien in Salzlagern speichern. Allerdings mangelt es auch dafür an staatlicher Regulierung. So wartet die Wirtschaft in Brasilien nach wie vor auf einen Rechtsrahmen für den Emissionshandel, für CCUS (Carbon capture, utilisation and storage) sowie für CO2-armen Wasserstoff. Der Druck auf den Gesetzgeber steigt.
Petrobras will seine CO2-Emissionen mindern. Dabei setzt der Konzern auf mehr Energieeffizienz in der Förderung, dem Transport sowie bei seinen landesweit zehn Raffinerien. Im Juli 2023 kündigte Petrobras an, jeweils 20 Millionen US$ in die Anlagen Replan in Paulínia (São Paulo) und Refap in Canoas (Rio Grande do Sul) zu investieren.
Ein weiteres Feld ist die Herstellung von Biokraftstoffen. Im Jahr 2023 brachte Petrobras den sogenannten Diesel R auf den Markt. Bis 2027 soll die Produktion des Kraftstoffs von derzeit 1,6 Milliarden auf 10,6 Milliarden Liter pro Jahr steigen. Kostenpunkt: voraussichtlich 600 Millionen US$. Zudem ist eine Anlage für Biokerosin und reinen Biodiesel geplant.
Darüber hinaus fördert Petrobras Innovationswettbewerbe zur Entwicklung von Biokraftstoffen und CO2-armem Wasserstoff. Bei einem der Wettbewerbe setzte sich das brasilianische Start-up Green Energy Solutions mit seiner Pyrolysetechnologie durch. |
Bezeichnung | Anmerkungen |
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Außenhandelsinformationen für die deutsche Exportwirtschaft | |
Anlaufstelle für deutsche Unternehmen | |
ANP | Regulierungsbehörde für Erdöl, Erdgas und Biokraftstoffe |
IBP | Verband der brasilianischen Erdöl- und Erdgasindustrie |
Rio Oil&Gas 2024 | Fachmesse in Rio de Janeiro, 23. bis 26.09.2024 |
OTC Brasil | Offshore Technology Conference (OTC), Fachkonferenz in Rio de Janeiro, nächste Veranstaltung voraussichtlich im Oktober 2024 |