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Regierung fördert die Arzneimittelproduktion in Brasilien
Die Pharmahersteller in Brasilien expandieren und investieren. Um die lokale Wirkstoffproduktion anzuregen, bietet der Staat neue Anreize.
31.07.2024
Von Gloria Rose | São Paulo
Die Nachfrage nach Arzneimitteln in Brasilien wächst. In den vergangenen fünf Jahren stieg der Umsatz der Pharmaindustrie nominal um durchschnittlich 11,9 Prozent. Dies zeigen Zahlen des Marktforschungsinstituts IQVIA. Im Vergleich zu anderen Schwellenländern altert die brasilianische Bevölkerung schnell, was der Pharmaindustrie gute Perspektiven eröffnet. Laut IQVIA dürfte die Nachfrage in den kommenden Jahren um 7 bis 10 Prozent pro Jahr zulegen. Statista Market Insights geht für 2024 bis 2028 von einem durchschnittlichen jährlichen Marktwachstum von 6,6 Prozent aus.
In den ersten vier Monaten 2024 verzeichnete der Herstellerverband Sindusfarma in US-Dollar (US$) einen Anstieg des Einzelhandelsumsatzes um 15,2 Prozent. Gerechnet in brasilianischen Reais (R$) legte der Umsatz um 11,7 Prozent zu. Die Absatzmenge stieg um 4,8 Prozent.
Arzneimittel werden teurer
Zum April 2024 gestattete die Regulierungsbehörde des Pharmamarktes "Câmara de Regulação do Mercado de Medicamentos" (CMED) eine Anhebung der Preisobergrenzen für Arzneimittel um 4,5 Prozent. Das entspricht dem allgemeinen Anstieg der Verbraucherpreise im Jahr 2023. Darüber hinaus sorgt die Erhöhung der Umsatzsteuern in elf Bundesstaaten für steigende Medikamentenpreise.
Etwa 60 Prozent des Umsatzes erzielt Brasiliens Pharmaindustrie im Apothekeneinzelhandel sowie über den stark zunehmenden E-Commerce. Ein Viertel der Verkäufe geht auf die Rechnung des öffentlichen Gesundheitswesens "Sistema Único de Saúde" (SUS); der Rest entfällt auf private Gesundheitseinrichtungen.
Indikator *) | 2021 | 2022 | 2023 | Veränderung 2023/22 (in %) |
---|---|---|---|---|
Umsatz Medikamente insgesamt (Mrd. US$) | 16,4 | 20,7 | 23,7 | 14,5 |
Absatzmenge Medikamente insgesamt (in Mio. Einheiten) | 4.946 | 5.340 | 5.324 | -0,3 |
Umsatz Generika (Mrd. US$) | 2,6 | 3,0 | 3,6 | 20,6 |
Absatzmenge Generika (in Mio. Einheiten) | 1.749 | 1.892 | 1.981 | 4,7 |
Staat fördert Pharmaproduktion für öffentliches Gesundheitssystem
Seit dem Regierungswechsel Anfang 2023 steigen die staatlichen Ausgaben für Medikamente steil an. Im Jahr 2023 wuchsen sie um fast 30 Prozent. Im laufenden Jahr will die Regierung einen Rekordwert von mehr als 1 Milliarde US$ für das Programm "Farmácia Popular" zur Verfügung stellen, 74 Prozent mehr als 2023.
Die Regierung rückt die Branche stärker in den Fokus. Im September 2023 initiierte sie die Entwicklung eines Wirtschafts- und Industriekomplexes der Gesundheitswirtschaft CEIS (Complexo Econômico-Industrial da Saúde). Die Gesundheitsindustrie ist auch eine der geförderten Produktionsbereiche der neuen Industriepolitik, im Rahmen derer die Entwicklungsbank BNDES zinsgünstige Finanzierungen bereitstellt. Bis 2026 soll das Gesundheitsministerium 1,6 Milliarden US$ für die Fördermaßnahmen aufwenden. Dadurch sollen Investitionen von insgesamt 8,4 Milliarden US$ angestoßen werden. Derzeit überarbeitet das Ministerium die Vorgaben für öffentlich-private Produktionspartnerschaften, die sogenannten PDPs. Daneben soll das Programm PDIL die Forschung und Entwicklung des Sektors stimulieren.
Besonders wichtig ist der Regierung die Stimulierung der lokalen Wirkstoffproduktion. Obwohl Brasilien zu den Top-10-Märkten weltweit gehört und zwei Drittel der Arzneimittel vor Ort produziert werden, importieren die Hersteller über 90 Prozent aller zugrundeliegenden Wirkstoffe und Vorprodukte. Drei Viertel der Einfuhren stammen aus China und Indien. Laut dem Verband der Wirkstoffproduzenten Abiquifi werden lediglich 124 pharmazeutische Wirkstoffe vor Ort produziert, davon bislang nur 15 gefördert durch PDPs.
Unternehmen | Umsatz 2022 *) | Veränderung 2022/2021 |
---|---|---|
Pfizer | 1.573 | -23,2 |
Eurofarma | 1.552 | 13,3 |
Hypera Pharma | 1.463 | 27,1 |
Grupo NC | 1.312 | 18,5 |
Sanofi Medley | 990 | 8,1 |
Aché | 965 | 23,6 |
Novartis Biociências | 784 | 17,5 |
Roche | 775 | 4,0 |
União Química | 727 | 12,6 |
Abbott | 533 | 2,3 |
Hohe Investitionen
Animiert durch die Vorhaben der Regierung kündigten die zwölf größten Konzerne, die dem Verband Grupo FarmaBrasil angeschlossen sind, bis Ende 2026 Investitionen von 3,2 Milliarden US$ an. Davon sollen 1,7 Milliarden in neue Fabriken, Maschinen und Anlagen fließen.
In Santa Cruz (Rio de Janeiro) entsteht der größte und modernste Produktionskomplex für Vakzine und Biopharmazeutika in Lateinamerika. Für den Complexo Industrial de Biotecnologia em Saúde (Cibs) soll das Baukonsortium NCPFI-RJ rund 1 Milliarde US$ aufwenden.
Generika stehen im Fokus
Die zunehmende Marktdurchdringung von Generika und Biosimilars spielt den brasilianischen Pharmakonzernen in die Hände. Im Jahr 2024 laufen in Brasilien rund 200 Patente aus. Der Herstellerverband PróGenéricos erwartet ein beschleunigtes Marktwachstum der Nachahmerpräparate und rechnet damit, dass 2024 wenigstens 40 neue Generika auf den brasilianischen Markt kommen. Zu den aktivsten Generikaproduzenten in Brasilien zählen die Firmen EMS (Grupo NC), Eurofarma, Sandoz und Cimed. Darüber hinaus investieren die Konzerne in die Entwicklung von Analogpräparaten. Biosimilars kommen erst seit 2015 auf. Die Gesundheitsbehörde Anvisa verbessert derzeit den Rechtsrahmen für Biosimilars.
Außerdem kommen immer mehr Partnerschaften mit F&E-intensiveren Konzernen aus Indien und China zu Stande. Zuletzt schloss der Hersteller Biomm eine Partnerschaft mit dem indischen Fabrikanten Biocon, um den brasilianischen Markt direkt nach dem Patentablauf von Ozempic Ende 2026 mit einem Biosimilar zu versorgen. Mit dem begehrten Diabetes-Medikament Ozempic verzeichnete der dänische Hersteller Novo Nordisk 2023 am brasilianischen Markt das stärkste Wachstum.
In den Fokus rückt zunehmend auch der Verkauf verschreibungsfreier Arzneimittel (Over The Counter - OTC). Das Marktforschungsinstitut IQVIA verzeichnete 2023 ein Wachstum des Absatzes von OTC-Produkten um 16,2 Prozent auf 17,6 Milliarden US$. Stimuliert wird der OTC-Verkauf durch den Trend der Apotheken, ihr Angebot auch um Gesundheitsdienstleistungen wie Labortests und Impfungen zu erweitern.
Brasiliens Pharmaindustrie expandiert
Die brasilianischen Pharmahersteller erweiterten in den vergangenen Jahren ihre Portfolios, indem sie Produkte multinationaler Konzerne übernahmen. Mittlerweile expandieren sie auch gezielt in Auslandsmärkte, um sich für den verschärften Preiswettbewerb am brasilianischen Markt zu stärken. Besonders wichtig sind Kolumbien und andere Märkte Lateinamerikas, die die Vorgaben der Regulierungsbehörde Anvisa anerkennen. Die Exportförderagentur APEX unterstützt die Laboratorien aktiv bei der Erschließung der Auslandsmärkte.
Bezeichnung | Anmerkungen |
---|---|
Außenhandelsinformationen für die deutsche Exportwirtschaft | |
AHK Brasilien | Anlaufstelle für deutsche Unternehmen in São Paulo, Rio de Janeiro und Porto Alegre |
Ministério da Saúde (MS) | Brasilianisches Gesundheitsministerium |
Agencia Nacional de Vigilância Sanitária (Anvisa) | Gesundheitsaufsichtsbehörde |
Interfarma | Verband der Pharmaindustrie und -forschung |
Sindusfarma | Branchenverband |
Abiquifi | Verband der Wirkstoffproduzenten |
FCE Pharma | Fachmesse in São Paulo, 4. bis 6.6.2024 |
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