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Fachkräfte
Trotz eines großen Arbeitskräfteangebots kämpfen Unternehmen mit Fachkräftemangel. Der hohe Anteil informell Beschäftigter und Defizite im Bildungssystem bleiben Herausforderungen.
12.02.2025
Von Dennis Barbosa | São Paulo
Brasilien verfügt über eine Erwerbsbevölkerung von 109 Millionen Personen. In den vergangenen Jahren ist die Arbeitslosigkeit schrittweise gesunken. Zwischen August und Oktober 2024 lag sie bei 6,2 Prozent. Das ist der niedrigste Wert seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 2012, wie das Brasilianische Institut für Geografie und Statistik (IBGE) meldet. In einigen Bundesstaaten, darunter Rondônia, Mato Grosso und Santa Catarina, ist die Arbeitslosenquote mit rund 2 Prozent sogar noch niedriger.
Trotz des großen Arbeitskräftepotenzials haben viele Unternehmen Schwierigkeiten, ihre Teams zu verstärken. Dies spiegelt sich auch in der aktuellen Ausgabe der Studie Global Talent Shortage von ManpowerGroup wider. Demnach geben 80 Prozent der Arbeitgeber in Brasilien an, Probleme bei der Besetzung offener Stellen zu haben. Damit liegt das Land über dem Durchschnitt der 40 untersuchten Länder (77 Prozent) und gleichauf mit dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Kanada. In Deutschland ist die Situation mit einem Wert von 82 Prozent noch angespannter.
Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und die hohen Lohnnebenkosten stellen insbesondere die brasilianische Industrie vor wachsende Herausforderungen. Laut einer Studie des Industrieverbands CNI vom 2. Halbjahr 2024, zählt der Fachkräftemangel zu den Hauptsorgen des Wirtschaftszweigs. "Das Problem hat sich in den letzten Quartalen verschärft, was auf einen angespannten Arbeitsmarkt und eine steigende Produktion zurückzuführen ist. Dies erhöht den Kostendruck für Unternehmen und könnte mittelfristig die finanzielle Lage der Branche und ihre Erholung beeinträchtigen“, erklärt Marcelo Azevedo, Leiter des Bereichs Wirtschaftsanalyse von CNI.
Herausforderungen im Arbeitsmarkt: Informalität und Überqualifikation
Während es an Fachkräften mangelt, bietet der brasilianische Arbeitsmarkt eine hohe Zahl an Arbeitskräften, die gering qualifizierte Tätigkeiten ausüben. Rund 40 Prozent der Beschäftigten arbeiten im informellen Sektor. Sie genießen nicht die gleichen Rechte und Sozialleistungen wie Beschäftigte im formalen Arbeitsmarkt.
Zudem zeigt sich ein Missverhältnis zwischen Qualifikationen und Anforderungen: Immer mehr Arbeitnehmer haben ein höheres Bildungsniveau als für ihre Tätigkeiten erforderlich. Laut einer Studie des Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung (Ipea) stieg der Anteil überqualifizierter Arbeitnehmer von 2012 bis 2020 von 26 auf 38 Prozent. Seitdem verharrt der Wert auf diesem Niveau. Dies verdeutlicht den Bedarf an strukturellen Reformen, um mehr hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen und die Qualifikationen der Beschäftigten besser mit den Anforderungen des Arbeitsmarkts in Einklang zu bringen.
Bildungsdefizite als strukturelle Herausforderung
Trotz der Überqualifikation in bestimmten Bereichen steht das brasilianische Bildungssystem vor erheblichen Herausforderungen. Im internationalen Pisa-Test 2022, der die Kompetenzen von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern in 81 Ländern bewertet, schnitt Brasilien besonders in Mathematik - einem kritischen Bereich - schwach ab. Nur 27 Prozent der brasilianischen Schülerinnen und Schüler erreichten das Kompetenzniveau 2, das als Mindestanforderung für adäquates Lernen gilt. Im Vergleich dazu liegt der Durchschnitt der OECD-Länder bei 69 Prozent. Nur 1 Prozent der brasilianischen Jugendlichen erreichte die höchsten Kompetenzstufen 5 und 6, bei denen komplexe Probleme gelöst und Strategien bewertet werden. Der OECD-Durchschnitt beträgt hier 9 Prozent.
Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, die Qualität der Bildung in Brasilien zu verbessern, um langfristig die Qualifikationen der Arbeitskräfte und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu steigern.
Brasilien im weltweiten VergleichFolgende Karte ermöglicht den Vergleich zwischen zahlreichen Ländern weltweit. Bitte beachten Sie, dass die Werte in der Karte aus international standardisierten Quellen stammen und somit ggf. von Angaben aus nationalen Quellen im Text abweichen können. |