Special | Chile | Klimaschutz im Dialog
"Die Erde muss ein bewohnbarer Ort bleiben"
Niemand in Chile negiert den Klimawandel. Das eröffnet Chancen, auch schmerzhafte Maßnahmen zum Klimaschutz zu implementieren. Das Land hat sich bis 2050 ehrgeizige Ziele gesetzt.
13.10.2022
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
María Heloisa Rojas Corradi, besser bekannt als Maisa Rojas, ist seit dem Regierungswechsel vom 11. März 2022 Umweltministerin im Kabinett des neu gewählten chilenischen Präsidenten Gabriel Boric. Maisa Rojas promovierte über Atmosphärenphysik an der Universität Oxford, bevor sie sich unter anderem als Mitautorin des Sachstandsberichts des Weltklimarats einen Namen machte (Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen; Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC).
Maisa Heloísa Juana Rojas Corradi, Minister for the Environment | © Maisa Heloísa Juana Rojas Corradi, Minister for the EnvironmentWie einschneidend ist die Problematik des Klimawandels im Land?
In Chile ist der Klimawandel Realität. Wir erleben bereits heute seine Folgen wie Dürren, Hitzewellen, Überschwemmungen, Waldbrände und den Anstieg des Meeresspiegels. Laut Prognosen werden extreme Klimaereignisse in Zukunft noch öfter und intensiver stattfinden.
Mit anderen Worten: Chile ist ein vom Klimawandel gefährdetes Land. Wir erfüllen sieben der neun Kriterien, die im Rahmenabkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen genannt sind und die ein Land für den Klimawandel besonders anfällig machen.
Deshalb hat das Thema für die Regierung absolute Priorität. Präsident Gabriel Boric sieht sich in der Pflicht, der ersten ökologisch ausgerichteten Regierung in der Geschichte Chiles vorzustehen. Wir müssen zu einem neuen Entwicklungsmodell finden, in dem die Sorge um Menschen und Umwelt im Zentrum stehen.
Welche Rolle spielt der Klimawandel in der öffentlichen Wahrnehmung?
Die Chileninnen und Chilenen spüren die Auswirkungen des Klimawandels am eigenen Leib. Schon seit mehr als einem Jahrzehnt leidet unser Land beispielsweise unter einer Dürre. Laut der letzten nationalen Umfrage des Umweltministeriums machen 71 Prozent der Befragten menschliches Handeln für den Klimawandel verantwortlich. Nur 17 Prozent der Befragten sehen natürliche Ursachen im Vordergrund. Negiert hat den Klimawandel niemand. Anders ausgedrückt: Die chilenische Bevölkerung ist sich der Existenz des Klimawandels bewusst und welche Folgen er mit sich bringt. Dies wird uns dabei helfen, notwendige Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben.
Was ist die zentrale Strategie Ihrer Regierung zur Bekämpfung des Klimawandels?
Im Juni 2022 trat das Rahmengesetz zum Klimawandel (Ley Marco de Cambio Climático) in Kraft. Ziel ist es, Chile bis spätestens 2050 kohlenstoffneutral und klimaresilient zu machen. Das Gesetz wird in alle Entscheidungen der Ministerien Eingang finden. Es verpflichtet zur Ausarbeitung sektoraler Klimaschutzpläne mit konkreten Maßnahmen sowie von dezentralen Plänen auf regionaler und kommunaler Ebene.
Darüber hinaus greift es auf die bereits bestehende langfristige Klimastrategie zurück: einen Fahrplan, wie Chile seine Verpflichtungen durch konkrete Maßnahmen über die kommenden 30 Jahre erfüllen wird. Und es erkennt alle internationalen Verpflichtungen an, die Chile im Bereich Klimaschutz eingegangen ist.
Welche Chancen ergeben sich daraus für Unternehmen?
Es gibt riesige Chancen für Innovation, Unternehmertum und neue Geschäfte. Die Welt erlebt gerade einen Wendepunkt: Bis 2030 müssen wir unsere Emissionen halbieren. Dafür benötigen wir Investitionen in neue Technologien und Prozesse. Die chilenischen Unternehmen müssen dafür Produkte und Dienstleistungen bereitstellen.
Die Bewältigung der Klimakrise eröffnet Chancen für neues Wachstum. Laut einer Studie in Kooperation mit der Weltbank aus dem Jahr 2020 geht das Erreichen der Klimaneutralität bis 2050 für Chile mit einer Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts von 4,4 Prozent über dem Referenzwert einher. Die Maßnahmen werden ein Motor für nachhaltige Entwicklung sein sowie allen Chilenen und Chileninnen qualitativ hochwertige Arbeitsplätze und weitere Vorteile bringen.
Wo sehen Sie neue Hindernisse für den Klimaschutz in Chile?
Das Hauptrisiko in Chile wie auf der ganzen Welt liegt darin, dass die Dringlichkeit zur Bekämpfung des Klimawandels nicht verstanden wird. Wenn wir jetzt im Einklang mit der Wissenschaft handeln, können wir sicherstellen, dass die Erde ein bewohnbarer Ort bleibt. Wir haben ein kleines Zeitfenster, das wir nicht verstreichen lassen dürfen.
Wie ist Ihre eigene Sicht auf die Klimaproblematik in Chile?
Die Klimakrise, der Verlust an Biodiversität und die Umweltverschmutzung stehen alle in einem Zusammenhang und müssen auf globaler Ebene gelöst werden. Dies ist eine so wichtige Herausforderung, dass wir die Zusage und Unterstützung von allen Akteuren brauchen. Chile leistet darin bereits seinen Beitrag.
Wo würden Sie gerne auf konkrete Zusagen oder Unterstützung von Deutschland und seinen Unternehmen zählen können?
Deutschland ist ein natürlicher Geschäftspartner Chiles im Kampf gegen den Klimawandel. Deutsche Firmen hatten bei innovativen und technologischen Fragen schon immer die Nase vorn. Deshalb begrüßen wir es, wenn deutsche Unternehmen, die Lösungen für die Klimakrise anbieten wollen, unser Land als Investitionsstandort in Betracht ziehen und die besten verfügbaren Umweltstandards anwenden. Wir gehen davon aus, dass Deutschland auf internationaler Ebene weiter eine führende Rolle bei den Klimaverhandlungen spielt und Europas Klimaambitionen vorantreibt.
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