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ChatGPT in China: Chatbots hinter der Great Firewall
Gesichtserkennung, mobiles Zahlen und autonomes Fahren - künstliche Intelligenz drängt längst in den chinesischen Alltag. Die Regierung greift in die Chatbot-Entwicklung ein.
23.04.2023
Von Robert Herzner | Hongkong
Die großen chinesischen Softwareunternehmen Baidu, Alibaba und Tencent sind globale Technologieführer in der Künstlichen Intelligenz (KI). Mit Chatbots, elektronischen Dialogsystemen wie ChatGPT, erreicht KI neue Zielgruppen. Dabei verbinden sich kommerzielle und private Nutzung. Insbesondere die jüngere chinesische Generation ist aufgeschlossen neuen Technologien gegenüber. Die Nutzung von ChatGPT ist in China allerdings kaum möglich, wie bei den meisten ausländischen Software-Programmen. Daher entstehen hinter der "Great Firewall" chinesische Alternativen.
Baidu entwickelt chinesischen Chatbot "Ernie"
Selbstverständlich ist der von OpenAI entwickelte Chatbot ChatGPT auch in China ein großer Trend. Für die Registrierung ist allerdings eine ausländische Telefonnummer sowie VPN erforderlich. Dies schränkt den Zugang ein. Internationale Aufmerksamkeit erzielte das chinesische Unternehmen Baidu mit der Präsentation des eigen entwickelten Chatbots Ernie am 16. März 2023. Ernie ist das Akronym für "Enhanced Representation Through Knowledge Integration".
Aufgrund der im Vergleich zu ChatGPT begrenzten Leistung hat die Bevölkerung jedoch das Programm kritisch aufgenommen. In Anbetracht der hohen Jugendarbeitslosigkeit sind viele mit ChatGPT-Erfahrung zudem besorgt, dass ihr Arbeitsplatz in Zukunft von der KI ersetzt werden könnte.
Ernie ist, wie sein westliches Pendant, ein Large Language Model (LLM). Es ist aber speziell für den chinesischen Markt konzipiert und der Fokus liegt auf chinesischen Compliance-Bestimmungen. Die Trainingsdaten basieren auf der chinesischen Sprache. Damit greift das Modell auf Quellen zurück, die dem heimischen Markt entsprechende Ergebnisse generieren. Was die Rechenleistung anbelangt, hat Baidu den selbst entwickelten KI-Chip Kunlun eingesetzt. Außerdem verfügt die Software über umfangreiche Erfahrung in der Suchtechnik, laut MIT Technology Review "Billionen Webseiten, zig Milliarden Such- und Bilddaten, Hunderte Milliarden täglicher Sprachdaten und 550 Milliarden Fakten."
Breites KI-Ökosystem
Ausgehend von der vielfältigen Aufstellung chinesischer KI-Entwickler, lassen sich Unternehmen der Branche in drei Ebenen aufteilen, so Angaben des Chinese Institute of New Generation Artificial Intelligence Development Strategies. Die erste Ebene beinhaltet Plattformanbieter für Hardware und Cloud-Lösungen wie Baidu, AliCloud, JD, Tencent, iFlytek und Huawei.
So arbeitet Huawei aufgrund des hohen Datenvolumens für KI an der Entwicklung von 5.5G-Netzkomponenten, einer weiteren Evolution des 5G-Netzes. Auf der zweiten Ebene stehen Firmen in der Verbindung zu individuellen Softwarelösungen, die nicht über die Hardware-Infrastruktur verfügen, etwa Xiaomi, PingAn, Sunin, Didi, Bytedance und Songshu AI. Der dritten Ebene gehören Unicorns an wie Sensetime, YITU, MEGVII und Cloudwalk. Firmen verschiedener Ebenen befassen sich mit der Entwicklung von Chatbot-Programmen. Viele der Firmen befinden sich auf amerikanischen Sanktionslisten.
Chatbots auf Grafikchips angewiesen
Um ein LLM-Sprachmodell zu kommerzialisieren, benötigen Microsoft & Co. laut TrendForce mehr als 30.000 Nvidia A100-Chips, deren Export von den USA nach China untersagt ist. Laut New Street Research hält Nvidia 95 Prozent Marktanteil bei Grafikprozessoren (GPUs), die für maschinelles Lernen eingesetzt werden können. Entsprechend muss China sich möglicherweise auf Quantität statt Qualität bei GPUs verlassen, nachdem es von den USA von den fortschrittlichsten Chips abgeschnitten wurde. Daher fördert die Regierung eine breite Anzahl von Unternehmen.
Unternehmen1) | Marktwert (Mrd. US$)2) | Gründungsjahr | Ort | |
---|---|---|---|---|
1 | 7,9 | 2014 | Beijing | |
2 | 4,7 | 2011 | Beijing | |
3 | 3,1 | 2015 | Guangzhou | |
4 | 3,1 | 2015 | Beijing | |
5 | 3,1 | 2014 | Beijing | |
6 | 2,2 | 2016 | Beijing | |
7 | 2,2 | 2012 | Shanghai | |
8 | 1,6 | 2009 | Beijing | |
9 | 1,6 | 2015 | Chongqing | |
10 | 1,6 | 2014 | Hangzhou |
Selbstverständlich tragen diese Unternehmen substantiell zum globalen KI-Markt bei, mittelfristig zeichnet sich jedoch eine Schwächung des chinesischen Anteils ab.
China hält 25 Prozent am globalen KI-Markt
Für den Zeitraum 2022 bis 2027 gehen Analysten davon aus, dass der chinesische KI-Markt um 65,6 Milliarden US-Dollar wachsen wird, dies entspricht einer jährlichen Zunahme (CAGR) um 20,9 Prozent. Damit liegt China exakt im Rahmen den Erwartungen für den globalen Markt, dieser soll in diesem Zeitraum ein CAGR von 20,2 Prozent erzielen, so Precedence Research.
Somit ist bei KI keine überdurchschnittliche Entwicklung Chinas zu erwarten, der globale Marktanteil von 25 Prozent 2022 dürfte sich in den kommenden vier Jahren auf 16 Prozent reduzieren. Insbesondere im Bereich der Chatbots können Gründe in der Verfügbarkeit von GPU-Chips liegen, dies führt zu weniger guten Modelliterationen und Rechenleistungen. Es bleibt abzuwarten, wie Unternehmen die Vorteile des chinesischen Marktes nutzen - die schiere Anzahl an Nutzern, die Infrastruktur und der Zugriff auf Big Data.
Chatbots stellen Regierung vor Herausforderung
Für die Regierung stellt diese Form der KI eine große Herausforderung dar. Mit KI in Form von ChatGPT liegt eine Web-3.0-Technologie vor, deren Dezentralisierung eine Regulierung sehr erschwert. Die Regierung reagiert sensibel auf Dinge, die außerhalb ihres Kontrollvermögens liegen. Um die Kontrolle zu gewährleisten, bestehen Richtlinienbeschränkungen und technische Einschränkungen wie Netzwerkblockierung.
Die Cyberspace Administration of China (CAC) hat am 11. April 2023 einen Maßnahmenentwurf zur Regulierung der Entwicklung und Nutzung generativer KI-Dienste veröffentlicht. Diese basiert auf dem bestehenden Rechtsrahmen zur Daten- und Cybersicherheit. Unter anderem müssen die mittels KI erzeugten Inhalte mit den sozialistischen Werten Chinas in Einklang stehen. Der Entwurf sieht generell eine Sicherheitsprüfung durch die CAC vor, bevor neue Produkte oder Dienstleistungen durch generative KI der Öffentlichkeit angeboten werden. Bei Beschwerden von Nutzern – sei es bezüglich Inhalt oder Datenschutzverletzungen – muss der Anbieter reagieren. Gemäß Entwurf hat er drei Monate Zeit, die KI entsprechend zu trainieren, um künftig derartige Vorfälle zu vermeiden. Ebenfalls sind entsprechende inhaltliche Filter zu implementieren. |
Durch Datenschutzbestimmungen können Modelltrainings eingeschränkt werden. Nach der Staatsdoktrin ist eine Entwicklung mit "chinesischem Charakter" auch bei Chatbots zu erwarten. Bereits 2021 veröffentlichte das Ministerium for Science and Technology die Ethikspezifikationen für Künstliche Intelligenz der neuen Generation. Um auf Open AI in den USA zugreifen zu können, entwickeln nach Angaben von Branchenexperten teilweise chinesische Firmen ihre Chat-Programme über ihre Niederlassungen in den USA.
Entsprechend vollzieht China einen Balanceakt, wie es eine weltweit führende KI-Rolle einnehmen kann, wenn die Kontrolle des Informationsraums über Innovation und Kreativität, ob menschlich oder nicht, im Vordergrund steht. Das kann die Entwicklung und Einführung von LLM-Chatbots deutlich einschränken und China im Rennen um die KI einen Schritt hinter den Westen zurückfallen lassen.