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Chinas Bedarf an Flugzeugen wächst ungebrochen
Trotz Corona und des sich langfristig abschwächenden Wirtschaftswachstums bleiben die Absatzprognosen für Flugzeuge hervorragend. Auch der Dienstleistungsmarkt legt kräftig zu.
01.12.2021
Von Roland Rohde | Hongkong
Die Coronapandemie hat die chinesische Luftfahrtbranche kräftig aufgemischt. Zwar bekam das Reich der Mitte das neuartige Virus zunächst schnell in den Griff, sodass die Bevölkerung ab dem Sommer 2020 weitgehend zur Normalität zurückkehren konnte. Doch wegen der Deltavariante kam es seit dem frühen Herbst 2021 wiederholt zu neuen lokalen Ausbrüchen. Die Ansteckungszahlen sind absolut betrachtet äußerst gering. Jedoch verfolgt die Regierung eine eiserne Null-Covid-Politik und fährt jedes Mal schwerste Geschütze auf.
So wurden unter anderem Airports zeit- beziehungsweise teilweise geschlossen und zahlreiche Flugverbindungen gestrichen. Reisen innerhalb des Landes sind zum Jahresende 2021 nur noch vereinzelt möglich. Entsprechend sind die Passagierzahlen auf inländischen Strecken seit August 2021 nach Angaben der Civil Aviation Administration (CAAC) kräftig eingebrochen. Bis weit in das Jahr 2022 ist mit Störungen zu rechnen. Nach Einschätzung von Experten könnte es sogar erst 2024 wieder einen uneingeschränkten Reiseverkehr geben. Mit anderen Worten: Die Volksrepublik lässt noch zwei weitere Jahre ihre Grenzen mehr oder weniger dicht. Lediglich die Grenze zur Sonderverwaltungsregion Hongkong dürfte früher öffnen.
Bis 2040 sollen rund 8.500 Flugzeuge an China geliefert werden
Wie wirkt sich dieses Szenario auf Chinas Bedarf an Flugzeugen aus? Interessanterweise erwarten Flugzeugbauer keinen nachhaltigen Effekt. Der Hersteller Boeing hat seine aktuelle Prognose für die kommenden Jahre sogar leicht nach oben angepasst. Für den Zeitraum 2021 bis 2040 erwartet das US-Unternehmen rund 8.700 Flugzeugauslieferungen an China. Das sind 100 Stück mehr als in der Vorhersage von 2020 bis 2039. In der Vorvorjahresprognose (2019 bis 2038) war Boeing sogar von 600 Maschinen weniger ausgegangen.
Der Konkurrent Airbus ist etwas vorsichtiger und rechnet für den Zeitraum 2021 bis 2040 mit etwas mehr als 8.200 Jetlieferungen. Allerdings erwartet der europäische Flugzeugbauer zugleich, dass das Absatzvolumen auf dem chinesischen Markt deutlich größer sein wird als in Nordamerika oder Europa. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Airbus-Prognose deutlich von Boeings Schätzung.
Region/Land | Boeing-Prognose | Airbus-Prognose |
---|---|---|
Asien-Pazifik (ohne China) | 8.945 | 9.400 |
Nordamerika | 9.160 | 6.420 |
Europa | 8.705 | 6.960 |
China | 8.700 | 8.220 |
Mittlerer Osten | 3.000 | 3.020 |
Lateinamerika | 2.530 | 2.460 |
Russland, Zentralasien | 1.540 | 1.440 |
Afrika | 1.030 | 1.100 |
Embraer setzt auf starke Nachfrage nach Regionaljets
Der staatliche chinesische Flugzeugbauer Commercial Aircraft Corporation of China (COMAC) geht für die Jahre 2021 bis 2040 von fast 9.100 Auslieferungen (Maschinen mit mehr als 50 Sitzen) aus. Das entsprechende Marktvolumen beziffert die Firma – ebenso wie Boeing – auf 1,4 Billionen US-Dollar (US$). Während Boeing das Potenzial für Regionaljets als sehr begrenzt betrachtet, ist COMAC wesentlich optimistischer. Embraer beziffert den chinesischen Bedarf an Jets mit bis zu 150 Sitzplätzen bis zum Jahr 2040 auf rund 2.200 Stück. Davon entfallen 900 Einheiten auf Turboprop-Maschinen.
Typ* | Boeing-Prognose | COMAC-Prognose |
---|---|---|
Regionaljets | 360 | 953 |
Single Aisle | 6.490 | 6.295 |
Dual Aisle/Widebody | 1.650 | 1.836 |
Frachtmaschinen | 200 | k.A. |
Gesamt | 8.700 | 9.084 |
Auftragsvolumen (in Billionen US$) | 1,4 | 1,4 |
Für den hohen Bedarf gibt es zwei große Treiber. Einerseits steigt der Druck, alte Maschinen durch spritsparende Modelle zu ersetzen. Dadurch lassen sich Kosten senken und Emissionsziele erreichen. Andererseits wächst der Flugverkehr stetig weiter. Laut Boeing steigen die Einnahmen pro Passagierkilometer im innerchinesischen Verkehr von 2021 bis 2040 um jährlich 5,6 Prozent. Demzufolge dürfte sich auch das absolute Passagieraufkommen im gleichen Zeitraum auf circa 1,5 Milliarden Personen verdreifachen. Zugleich wird der internationale Flugverkehr zwischen China und dem Rest der Welt stetig zulegen.
Schätzungen basieren auf realistischen Grundannahmen
Die Prognosen basieren auf der Annahme, dass sich das chinesische Wirtschaftswachstum deutlich abschwächen wird. COMAC geht für den Zeitraum 2021 bis 2040 von einer durchschnittlichen jährlichen realen Zunahme des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von lediglich 2,6 Prozent aus. Embraer setzt ein Plus von 2,9 Prozent an. Damit beschreiben die Unternehmen ein durchaus realistisches Szenario. Immer mehr Ökonomen erwarten, dass der Volksrepublik zwei Jahrzehnte mit relativ niedrigen Wachstumsraten bevorstehen.
Jedoch wachsen in Ländern mit einem mittleren Einkommensniveau wie China der inländische Tourismus und der einheimische Flugverkehr in der Regel deutlich schneller als das BIP. Zu beachten ist, dass in diesen Bereichen ein enormer Nachholbedarf besteht. Viele Millionen Chinesen saßen noch nie zuvor in einem Flugzeug.
Die größte Herausforderung für die Flugbranche kommt mit dem Hochgeschwindigkeitsbahnverkehr hingegen aus einer ganz anderen Ecke. Obwohl das Netz bereits bestens ausgebaut ist, soll es bis 2035 nochmals um rund 80 Prozent erweitert werden. Auf immer mehr Strecken bekommen Fluggesellschaften damit Konkurrenz. Immerhin sollen bis zur Mitte des kommenden Jahrzehnts auch mehr als 160 neue Airports entstehen, viele davon allerdings im Hinterland.
Zunehmend kaufen Leasinggesellschaften die Flugzeuge.
Rund 60 Prozent aller in China ausgelieferten Jets werden nach Aussagen von Luftfahrtexperten nicht von den Airlines direkt, sondern von Leasinggesellschaften gekauft. Dabei handelt es sich entweder um Spezialanbieter oder um Tochtergesellschaften von großen chinesischen Banken. Die sinkende Ertragskraft der Fluglinien infolge von Covid-19 dürfte die Quote weiter nach oben drücken.
Dienstleistungsmarkt bei 1,8 Billionen US-Dollar
Nicht nur der Markt für Flugzeuge selbst wächst stetig. Bei den entsprechenden Dienstleistungen erwartet Boeing ebenfalls eine starke Zunahme. Für den Zeitraum 2021 bis 2040 ergibt sich gemäß Schätzungen des US-Unternehmens ein kumuliertes Marktvolumen von 1,8 Billionen US$. Der entsprechende Personalbedarf beläuft sich auf über 400.000 Personen.
Region/Land | Marktvolumen | Personalbedarf |
---|---|---|
Nordamerika | 2.070 | 432.000 |
Europa | 1.895 | 405.000 |
China | 1.800 | 411.000 |
Süd- und Südostasien | 1.225 | 288.000 |
Mittlerer Osten, Afrika | 975 | 259.000 |
Restliches Nordostasien, Ozeanien | 720 | 120.000 |
Lateinamerika | 535 | 126.000 |
Russland, Zentralasien | 320 | 83.000 |
Hinzu kommt das Marktvolumen für Wartung, Reparatur und Betrieb, das in Fachkreisen mit MRO abgekürzt wird. Dieses liegt in China laut Branchenanalysten noch bei weniger als 10 Milliarden US$ per anno. Nach dem Ende der Coronakrise dürfte das Volumen diese Schwelle aber überschreiten. Der Geschäftsbereich war 2020/21 stark durch den Umbau von Passagierjets in Frachtmaschinen gekennzeichnet.