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Wirtschaftsumfeld | China | Standards und Normen

Es fehlt eine europäische Standard-Strategie

Eine neue Studie der Europäischen Handelskammer in China zu den globalen Ambitionen des Landes bei Standards ist ein Weckruf, erklärt ihr Präsident Jörg Wuttke im Gespräch mit GTAI.

Von Corinne Abele | Shanghai

Joerg Wuttke, Vice President, Chief Representative, China, BASF (China) Joerg Wuttke | © Galina Wuttke​

GTAI: Herr Wuttke, warum hat die Europäische Handelskammer ihre Studie zur technischen Standardsetzung gerade jetzt veröffentlicht? Hat China globale Standards als strategisches Mittel entdeckt?

Wuttke: Anlass für die Studie war der 20. Jahrestag des Beitritts Chinas zur Welthandelsorganisation am 11. Dezember 2001. Eines der Themen war damals die Öffnung des Landes für internationale Standards und seine Mitwirkung. Bislang ist dies kaum der Fall.

"Wir sehen nach wie vor einen staatsgelenkten Ansatz, wohingegen wir Europäer industrieseitig, liberal und bottom-up herangehen."

China hat einen Plan, wo ist der europäische Plan? Unsere Studie soll ein Weckruf für Regierungen und Unternehmen sein – verbunden mit der Aufforderung an die chinesische Seite, sich an das etablierte internationale Standardisierungssystem anzupassen und dieses nicht zu unterwandern. Die zukunftsorientierte Schaffung von Standards muss in unseren Unternehmen Chefsache sein.

GTAI: China engagiert sich inzwischen deutlich stärker in den internationalen Gremien für Standardisierung und Normung. Wie können und sollen wir Europäer damit umgehen?

Wuttke: Bis 2025 will China 85 Prozent seiner nationalen Normen an internationale anpassen. Neue Standards sollen künftig in weniger als 18 Monaten entwickelt werden. Die Volksrepublik möchte global bei der Standardisierung stärker mitsprechen und verwendet viel Energie darauf, sich in den internationalen Standardisierungs- und Normierungsorganisationen zu platzieren. Stellt sie in relevanten Komitees den Vorsitz, hat sie die Agenda im Griff und kann im Vorfeld entscheidender Abstimmungen auf Unternehmen und Länder zugehen. Dabei umwirbt China vor allem kleinere Länder, um wichtige Mehrheiten zu bekommen.

Wir Europäer haben die internationalen Standardisierungsorganisationen jahrelang dominiert. Was die aktive Mitgliedschaft in den Technischen Komitees der International Organization of Standardization (ISO) angeht, liegt China längst vor den USA, Frankreich und Japan und nur noch knapp hinter England und Deutschland. Um dem wachsenden Einfluss des Landes zu begegnen, benötigen wir ein engeres Zusammenspiel zwischen unseren Behörden und Industrieverbänden. Uns muss es weiterhin gelingen, in den Gremien Toppositionen zu besetzen, um die Agenda mitbestimmen zu können.

"Deutschland steht bislang beim Setzen von Standards an der Spitze."

Doch wo sollen künftig Ingenieure mit dem nötigen Fachwissen herkommen? China ist hier in der Breite aufgestellt. Die zukunftsorientierte Schaffung von Standards muss in unseren Unternehmen Chefsache sein. Finanzielle Unterstützung gibt es jedoch im Gegensatz zu China nicht.

GTAI: In welchen Bereichen könnte es in absehbarer Zeit internationale Standards „made in China“ geben?

Wuttke: In Bereichen, in denen in China die wirtschaftliche Musik spielt und es weltweit die größte Nachfrage stellt, kann und will Peking den Takt vorgeben. Wenn alle mitspielen dürfen, ist das nicht schlimm. Die Frage ist, ob ein Kastensystem aufgebaut wird. Chinas Nachfrage-Hebel ist groß: Allein im Chemiesektor wird China in den nächsten zehn Jahren 60 Prozent zum globalen Wachstum beitragen; 2030 wird die Hälfte der weltweiten Chemieproduktion in China stattfinden. China hat mit Made in China 2025 die Bereiche benannt, die es künftig dominieren möchte: Dazu zählen Telekommunikation, Halbleiter, autonom fahrende Elektroautos, aber auch Smart Grid. In diesen Bereichen werden sie sich um internationale Standards mit „Chinese Characteristics“ bemühen. Doch ob ein Standard sich weltweit durchsetzt und angenommen wird, entscheiden auch Unternehmen und Kunden.

GTAI: Welche Rolle spielt Chinas neue Seidenstraße, wenn es um die Durchsetzung chinesischer Standards geht?

Wuttke: China sucht seine Verbündeten dort, wo es ihm leichtfällt, seine Standards zu etablieren. Das gilt natürlich für Projekte entlang der neuen Seidenstraße. Allerdings ist interessant, dass Länder wie Kasachstan nicht bereit sind, allein chinesische Standards zu akzeptieren. Sie fahren zweigleisig - mit chinesischen und europäischen Standards.

GTAI: Inwieweit können europäische Unternehmen in China an der Gestaltung von Standards und Normen im Land mitwirken?

Wuttke: Unsere Studie "The Shape of Things to Come: the Race to Control Technical Standardisation" hat ergeben, dass sich 37 Prozent der befragten Unternehmen in den entsprechenden Komitees engagieren.

"Generell gilt: Je zukunftsträchtiger die Technologien, desto schwieriger sind Mitsprache- und Mitgestaltungsmöglichkeiten europäischer Unternehmen vor Ort."

Hierfür haben wir in der Studie zahlreiche Beispiele aufgeführt. Es geht dabei weniger um gesetzliche Beschränkungen, sondern vor allem um prozessuales Spießrutenlaufen: Wir werden beispielsweise einfach nicht informiert oder eingeladen.

GTAI: Könnten unterschiedliche Standards zu verstärktem Decoupling führen?

Wuttke: Dort, wo es letztlich um Werte geht wie bei künstlicher Intelligenz oder Überwachungstechnologien, beim Schutz privater Daten oder Menschenrechten wird es zu unterschiedlichen Standards kommen. Europäische Industrieunternehmen folgen bei diesen Themen einem strengen Gesetzgeber.

Tatsächlich möchte China kein Decoupling, sondern global mitspielen und dann global dominieren. Auch chinesische Firmen wollen ihre Produkte weltweit verkaufen. Die Frage ist, ob sie in eigenem Unternehmensinteresse handeln oder von der chinesischen Regierung orchestriert werden. Letztlich geht es für China auch darum, künftig nicht mehr Milliarden für Technologielizenzen beispielsweise im Kommunikationsbereich zu bezahlen, sondern mit eigener Technologie selbst Geld zu verdienen.

"Bislang sind nur 1,8 Prozent der internationalen Standards chinesische."

Drittklassige Unternehmen stellen Produkte her, zweitklassige bringen eigene Technologien hervor und erstklassige Unternehmen setzen Standards. Und das will China erreichen.

GTAI: Herr Wuttke, besten Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Corinne Abele, GTAI Büro Shanghai

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