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Branchen | Estland | Windenergie

Offshore-Windkraft nimmt langsam Gestalt an

In Estland laufen verschiedene Offshore-Projekte. Branchenkenner sind dennoch enttäuscht, denn es könnten mehr sein. Anstehende Auktionen bieten Chancen zum Markteintritt. 

Von Niklas Becker | Helsinki

In Estland sind derzeit drei Offshore-Windparks in fortgeschrittenem Planungsstadium, davon jeweils eines der estnischen Unternehmen Saare Wind Energy, Enefit Green und Utilitas Wind. Bei jedem Windpark ist eine Leistung von rund 1 Gigawatt geplant. Sie sollen zwischen 2028 und 2030 ans Netz gehen. "Die Firmen finalisieren derzeit ihre Umweltgenehmigungen. Alles läuft nach Plan", berichtet Terje Talv, CEO des estnischen Windenergieverbands. Kritischer Faktor beim Ausbau der Offshore-Windenergie sind unter anderem die hohen Kosten, weshalb Estland auch auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Firmen angewiesen ist.

"Momentum verpasst"

Noch zum Jahresbeginn 2023 sah es danach aus, als würde die Offshore-Windkraft in Estland richtig durchstarten. Neben den laufenden Projekten zeigten auch viele internationale Firmen Interesse. Rund ein halbes Jahr später, im Oktober 2023, hat sich das Blatt jedoch gewendet. "Das Interesse internationaler Offshore-Windparkentwickler hat merklich nachgelassen", sagt Talv. Ein Grund dafür sei die wirtschaftliche Abkühlung.

Auch der Offshore-Boom in vielen anderen Ländern mache sich bemerkbar. "Die Firmen haben ihr Portfolio konsolidiert und konzentrieren sich nun auf andere Märkte. Das Momentum war definitiv da", erklärt Talv. Mit RWE, TotalEnergies und Ørsted haben sich drei große internationale Offshore-Windparkentwickler vom estnischen Markt zurückgezogen. Die Expertin sieht dafür zum einen wirtschaftliche Gründe: "In Estland gibt es beispielsweise keine Interkonnektoren, mit denen der Strom aus den Offshore-Windparks exportiert werden könnte. Es gibt aber auch keine großen Produktionsbetriebe, die den Strom abnehmen können." 

Direktes Seekabel nach Deutschland geplant
Der deutsche Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz hat im Mai 2023 eine Absichtserklärung mit dem estnischen Übertragungsnetzbetreiber Elering unterzeichnet. Gegenstand der Übereinkunft ist ein Projekt namens Baltic WindConnector: ein 750 Kilometer langes Seekabel, das estnische Offshore-Windparks direkt mit Mecklenburg-Vorpommern verbinden soll. 

Laut dem Branchenverband gibt es zudem administrative Herausforderungen. So wurden Bekanntmachungen - beispielsweise für Auktionen - bis vor kurzem ausschließlich auf Estnisch veröffentlicht. Die geplanten Offshore-Auktionen wurden zudem mehrmals verschoben. 

Marktkenner berichten von Turbulenzen 

Andere Branchenexperten berichten im Gespräch mit GTAI von weiteren Turbulenzen auf dem estnischen Offshore-Markt. Es gebe Diskussionen, ob sich das Land auf die ersten drei Entwickler (Saare Wind Energy, Enefit Green und Utilitas Wind) und ihre Projekte konzentrieren oder den Markt auch für andere Unternehmen öffnen sollte. Einige dieser drei Entwickler setzten sich dem Vernehmen nach dafür ein, dass Estland keine weiteren Offshore-Auktionen für die Verpachtung von Meeresböden durchführen solle. Zunächst müsse das Problem des Netzanschlusses und des Energieüberschusses gelöst werden. Solange sollte das Land nach Ansicht der Firmen nur mit diesen drei Entwicklern und ihren bestehenden Projekten zusammenarbeiten. 

"Das wäre ein fatales Signal für den gesamten Offshore-Markt, aber auch für die gesamte Region", kommentiert ein Branchenkenner. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Auktionen gestoppt oder abgebrochen würden, sei jedoch hoffentlich gering, so der Experte. Zuletzt könnte Marktkennern zufolge der Eindruck entstanden sein, dass einige der drei ersten Entwickler von der Regierung bevorzugt behandelt würden. Dies sei jedoch nicht der Fall. "Einige administrative Entscheidungen wurden aus Mangel an Verständnis über die möglichen Auswirkungen auf neue Marktteilnehmer und die Marktsicherheit im Allgemeinen getroffen", berichtet eine befragte Person.

Experten berichten außerdem von starkem Druck seitens der estnischen Regierung, die Offshore-Auktion für Differenzverträge schnell zu organisieren. Das soll zum Erreichen der Klimaschutzziele 2030 beitragen. In einem solchen Fall könnten laut Branchenkennern jedoch nur ein bis zwei Firmen wirklich davon profitieren. In Anbetracht der Herausforderungen bei der Finanzierung und der Lieferkette sei es fast unmöglich, dass der neue Windpark bis 2030 ans Netz gehen wird. Laut Experten wäre die beste Lösung deshalb die Öffnung des Marktes und die Entwicklung eines Gesamtkonzepts für den estnischen Offshore-Markt. Dies müsse auch Lösungen für Interkonnektoren umfassen.  

Lokales Förderprogramm für Gemeinden
Estlands Kommunen würden vom Ausbau der Offshore-Windenergie finanziell profitieren. So erhalten Gemeinden mit einem Abstand von weniger als 20 Kilometer zum Offshore-Windpark sowie mit Küstenzugang direkte Zahlungen vom Windparkbetreiber. Diese richten sich nach der Höhe des Börsenstrompreises. Der Betrag wird unter allen Gemeinden aufgeteilt, die die Kriterien für das jeweilige Projekt erfüllen. 

Weiterhin ein Markt mit viel Potenzial 

Nach Ansicht der Brancheninsider bietet der estnische Offshore-Windenergiemarkt weiterhin viele Möglichkeiten und Potenziale. Sie erwarten daher den Markteintritt weiterer Offshore-Entwickler. "Aufgrund der aktuellen Marktbedingungen - Herausforderungen in der Lieferkette, Finanzierungskosten und knappen Ressourcen im Allgemeinen - suchen die führenden globalen Unternehmen höchstwahrscheinlich nach stabileren und bekannteren Märkten", sagt ein Branchenexperte. Er fügt hinzu: "Die baltischen Staaten sind für Offshore-Entwickler geeignet, die bereit sind, ein größeres Risiko einzugehen und zu einem späteren Zeitpunkt davon zu profitieren - indem sie den First Mover Advantage nutzen".

Auch der estnische Windenergieverband ist weiterhin optimistisch. "Ich glaube nach wie vor an Offshore-Windenergie in Estland", sagt Verbandschefin Talv. Laut Verband gibt es weiterhin Interesse von internationalen Entwicklern. So haben beispielsweise sieben Firmen Anträge zur Teilnahme an den zum Jahresende 2023 geplanten Offshore-Auktionen eingereicht.

Nadelöhr beim Ausbau des estnischen Offshore-Sektors ist das heimische Stromnetz. Traditionell liegt die inländische Stromerzeugung im Osten des Landes. Die Offshore-Windparks werden sich jedoch an der Westküste befinden. Das Übertragungsnetz im Westen Estlands müsste deshalb erheblich ausgebaut werden. 

Das estnische Stromnetz wurde nie für den Energieexport oder eine große einheimische Industrie gebaut. Daher wäre der Anschluss von Windparks an das estnische Übertragungsnetz nur mit einer geringen Kapazität möglich. Eine Lösung könnte ein direktes Unterseekabel von den Offshore-Windparks beispielsweise nach Deutschland sei.

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