Branchen | Finnland | Automobilindustrie
Jeder dritte Neuwagen fährt vollelektrisch
Finnen kaufen immer weniger Pkw mit Verbrennungsmotoren. Stattdessen steigt die Nachfrage nach E-Autos. Aufgrund der veralteten Fahrzeugflotte ist der Bedarf groß.
21.08.2023
Von Niklas Becker | Helsinki
Autos mit Elektroantrieb spielen auf den finnischen Straßen eine immer größere Rolle. Das zeigen Daten der Straßenbehörde Traficom. Jüngsten Zahlen zufolge hatte fast jeder dritte zwischen Januar und Juli 2023 zugelassene Neuwagen (nur Pkw) einen reinen Elektromotor (BEV). Weitere 20 Prozent waren Plug-in-Hybride. Insgesamt kann also jeder zweite der in den ersten sieben Monaten 2023 neu in Finnland zugelassene Pkw an der Steckdose betankt werden. Im Gesamtjahr 2022 waren es 37 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland waren es zwischen Januar und Juli 2023 laut Kraftfahrt-Bundesamt 22,1 Prozent (16,4 Prozent BEV und 5,7 Prozent Plug-in-Hybrid).
Branchenexperten zufolge haben die Kraftstoffpreise, die im Frühjahr 2022 besonders hoch waren, die Nachfrage nach Pkw mit Elektroantrieb beschleunigt. Dass E-Autos in den ersten sieben Monaten 2023 einen deutlich höheren Anteil hatten, hängt aber auch mit dem Komponentenmangel in der europäischen Automobilbranche zusammen. Ein Teil der zwischen Januar und Juli 2023 zugelassenen Pkw mit Elektroantrieb wurde bereits 2021 und 2022 bestellt, konnte aber erst im Jahresverlauf 2023 ausgeliefert werden.
E-Autos werden für immer mehr Finnen eine Option
Auch Verbraucherumfragen des Gebrauchtwagenhändlers Kamux zeigen, dass das Interesse der Finnen an Elektroautos steigt. Rund 42 Prozent der Befragten würden sich wahrscheinlich für einen Elektro- oder Hybrid-Auto entscheiden, wenn sie 2023 ein neues Fahrzeug kaufen würden. Ein Jahr zuvor waren es noch 37 Prozent. Größtes Kaufhindernis für die knapp 60 Prozent der Befragten, für die ein E-Auto bisher nicht infrage kommt, ist der Anschaffungspreis. Aber auch die Reichweite des Autos sowie schlecht verfügbare Lademöglichkeiten bremsen den Optimismus.
In Finnland sind vor allem junge Erwachsene im Alter von 17 bis 24 Jahren an einem Elektroauto interessiert. Bei ihnen stehen besonders Autos mit reinem Elektromotor hoch im Kurs. Unabhängig vom Alter zeigen zudem die Bewohner der Hauptstadtregion eine höhere Bereitschaft zum Kauf eines Pkw mit Elektroantrieb als die Menschen auf dem Land.
Positive Entwicklung könnte ins Stocken geraten
In der 2. Jahreshälfte 2023 könnte der Anteil der E-Autos geringer ausfallen als in den ersten sechs Monaten. Zum einen sind viele der 2021 und 2022 bestellten Autos ausgeliefert. Zum anderen haben sich die zum Jahresende 2022 stark gestiegenen finnischen Strompreise negativ auf die Nachfrage ausgewirkt. Im Jahresverlauf 2023 sind die Preise dann aber wieder deutlich zurückgegangen. Wie Tero Kallio, Geschäftsführer des finnischen Verbands der Automobilimporteure und der Kfz-Industrie, gegenüber der Tageszeitung Kauppalehti berichtet, ist die Nachfrage nach Elektroautos jedoch noch nicht auf ihr vorheriges Niveau zurückgekehrt. Dem Experten zufolge dürfte dies auch mit der schlechteren Wirtschaftslage sowie den gestiegenen Kreditzinsen zusammenhängen.
Nach Einschätzung der finnischen Kfz-Branche ist aber auch die Ende 2022 ausgelaufene Kaufprämie für E-Autos ein Grund für den erwarteten Nachfragerückgang in der 2. Jahreshälfte 2023. Privatpersonen erhielten für reine Elektroautos, die zwischen 2018 und 2022 bestellt wurden, eine Prämie von 2.000 Euro. "Das Ende der Subvention kam zu einem schlechten Zeitpunkt", sagt Tero Lausala, Geschäftsführer des finnischen Verbands für Kraftfahrzeughandel und -reparatur, gegenüber Kaupalehti. Der Branchenvertreter fordert eine Fortführung der Kaufprämie sowie eine Reform der Kaufanreize.
Gefördert wird der Kauf von E-Autos nach wie vor, auch wenn die Kaufprämie für E-Pkw Ende 2022 ausgelaufen ist: Privatpersonen genießen beim Kauf von Elektroautos weiterhin einen Steuervorteil. Wird ein Auto erstmals in Finnland registriert, so wird eine sogenannte Autosteuer (Autovero) fällig. Sie richtet sich unter anderem nach dem Kaufpreis und dem Schadstoffausstoß des Fahrzeugs. Für E-Pkw entfällt diese Steuer seit 2022. Steuervergünstigungen gibt es auch für E-Dienstwagen.
Benziner und Diesel sind out
Während sich Elektrofahrzeuge in Finnland einer immer größeren Beliebtheit erfreuen, ist die Nachfrage nach Pkw mit reinem Verbrennungsmotor rückläufig. Die Zahl der erstmals in Finnland zugelassenen Neuwagen mit Dieselmotor geht seit 2016 zurück. Beim Benziner ist dieser Trend seit 2018 zu beobachten.
Im Jahr 2022 wurden über 19.000 Verbrenner mit Benzinmotor zugelassen, mehr als in jeder anderen Kategorie. Branchenkenner erwarten aber, dass Pkw mit reinem Elektroantrieb schon sehr bald den größten Anteil an den jährlichen Zulassungen von Neuwagen stellen werden.
Finnland verzeichnete 2022 aufgrund der niedrigen Erstzulassungen von Autos mit reinem Verbrennungsmotor einen deutlichen Rückgang der neu zugelassenen Pkw. Laut Zahlen von Traficom wurden rund 82.000 Autos neu registriert, 17 Prozent weniger als im Vorjahr. Gleichzeitig ist das die niedrigste Zahl an Neuzulassungen seit 1995.
Dabei gibt es in Finnland einen hohen Bedarf für neue Pkw. Die Fahrzeugflotte des Landes zählt zu den ältesten innerhalb der EU. Zum Jahresende 2021 waren fast 30 Prozent aller zugelassenen Pkw älter als 20 Jahre. Nur in Polen (41,3 Prozent) und Estland (33,2 Prozent) waren es noch mehr.
2022 (Anzahl) | Veränderung 2022/2021 (in Prozent) | Januar bis Juli 2023 (Anzahl) | Veränderung Januar bis Juli 2023/ Januar bis Juli 2022 (in Prozent) | |
---|---|---|---|---|
Pkw insgesamt | 81.698 | -17,0 | 53.271 | 8,7 |
davon | ||||
reiner Verbrennungsmotor Benzin | 19.244 | -37,4 | 8.518 | -32,9 |
reiner Verbrennungsmotor Diesel | 5.418 | -35,5 | 2.526 | -26,4 |
reiner Elektromotor (BEV) | 14.530 | 43,1 | 17.003 | 149,6 |
Plug-in-Hybrid (PHEV) | 16.171 | -19,7 | 10.464 | 6,4 |
Hybrid-Elektrofahrzeuge (HEV) | 25.709 | -8,5 | 14.435 | -9,7 |