Wirtschaftsumfeld | Finnland | Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten
Lohnkosten
Der finnische Arbeitsmarkt ist stark organisiert. Noch gibt es viele allgemeinverbindliche Tarifverträge. Das könnte sich in Zukunft ändern.
24.01.2022
Von Niklas Becker | Helsinki
Löhne und Gehälter
Die finnischen Arbeitskosten sind zuletzt nur leicht gestiegen. In der gewerblichen Wirtschaft lagen sie 2020 laut Eurostat bei 34,9 Euro pro Stunde. 2016 waren es 34,3 Euro. Zum Vergleich: In Deutschland sind die Kosten von 33,1 Euro auf 36,7 Euro und in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) im Durchschnitt von 26 Euro auf 28,2 Euro gestiegen. Im EU-Arbeitskosten-Ranking belegt Finnland 2020 damit nach Deutschland und den Niederlanden den zehnten Platz.
Die finnische Arbeitsproduktivität hat sich hingegen etwas verschlechtert. 2020 lag die nominale Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen zwar 10,5 Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt und das nordische Land belegte im EU-Ranking vor Deutschland den neunten Platz. Zwischen 2018 und 2020 verzeichnete Eurostat im Jahresvergleich jedoch jeweils einen Rückgang der realen Arbeitsproduktivität. Mit einem realen Rückgang der Produktivität um 0,8 Prozent hatte Finnland 2020 einen der geringsten Rückgänge im Jahresvergleich. Nur Irland und Litauen standen noch besser da. Im EU-Durchschnitt sank die Produktivität 2020 um 4,6 Prozent.
2018 | 2019 | 2020 | 2021 | |
---|---|---|---|---|
nominal (in Euro) | 3.455 | 3.532 | 3.595 | 3.6631) |
nominale Veränd. (in %) 2) | 1,3 | 1,3 | 0,8 | 1,9 |
Tarifverhandlungen spielen eine große Rolle
Der finnische Arbeitsmarkt zeichnet sich durch einen hohen Organisationsgrad sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer aus. Im Land haben Tarifverträge daher Tradition. Seit 2007 werden die Tarifverhandlungen weniger stark zentral organisiert. Stattdessen gewinnen die Verhandlungen auf Branchenebene an Bedeutung.
Derzeit gelten in Finnland rund 160 allgemeinverbindliche Tarifverträge. Diese legen über den gesetzlichen Rahmen hinausgehende Abmachungen zwischen Arbeitgeber und -nehmer fest. Grundsätzlich sind die tarifvertraglichen Regelungen umfassender und weitreichender als die gesetzlichen. Zu den wichtigsten Bestandteilen der Tarifverträge gehören Vorgaben zum branchenspezifischen Mindestlohn, zur Wochenarbeitszeit sowie Regelungen zum Urlaubsgeld und zukünftigen Gehaltssteigerungen. Die Arbeitnehmer verzichten wiederum auf ihr Recht zum Arbeitsstreik.
Entsendung von Mitarbeitern erfordert genaue Prüfung
Die allgemein verbindlichen Tarifverträge decken verschiedene Branchen ab. Sie sind für einen bestimmten Zeitraum (in der Regel zwei Jahre) gültig und werden dann neu verhandelt. Die Verträge sind für alle Unternehmen der jeweiligen Branche bindend. Allerdings gibt es auch Tätigkeitsfelder, die nicht abgedeckt sind. In diesem Fall gelten die gesetzlichen Vorgaben.
Wenn deutsche Firmen Mitarbeiter nach Finnland entsenden und einer Branche mit entsprechendem finnischen Tarifvertrag angehören, gelten die Regelungen ebenfalls. Nicht selten gibt es in Finnland Tarifverträge für Sektoren, für die es in Deutschland keine gibt. Vor dem Entsenden der Mitarbeitenden empfiehlt sich daher eine genaue Prüfung. Unterstützung dabei bietet die Deutsch-Finnischen-Handelskammer (AHK Finnland).
Branchenverträge könnten rechtliche Bindung verlieren
Der 2007 gestartete Trend der Dezentralisierung könnte sich fortsetzen. Im Herbst 2020 hat mit dem Forstindustrieverband erstmals eine Arbeitgeberorganisation erklärt, keine Tarifverhandlungen mehr im Namen seiner Mitglieder führen zu wollen. Stattdessen sollen die Verträge in Zukunft auf Firmenebene vereinbart werden. Die Branche erhofft sich dadurch mehr Flexibilität. Weitere Arbeitgeber könnten folgen. Entscheiden sich in Zukunft mehr Arbeitgeber oder -verbände, sich nicht mehr an den Verhandlungen zu beteiligen, verlieren die einzelnen Tarifverträge ihre Allgemeinverbindlichkeit und sind damit nicht mehr bindend.
Auf Arbeitnehmerseite wird befürchtet, dass die Löhne durch die Dezentralisierung der Verhandlungen in Zukunft verhaltener steigen oder sich die Arbeitsbedingungen verschlechtern könnten. Im Zuge dieser Diskussion werden Stimmen laut, die einen gesetzlichen Mindestlohn in Finnland fordern.
2019 (in Euro) | Veränderung 2019/18 (in %) *) | |
---|---|---|
Insgesamt | 3.527 | 1,8 |
Bauwirtschaft | 3.512 | 1,9 |
Bergbau | 3.734 | -3,4 |
Verarbeitendes Gewerbe, darunter | 3.718 | 1,6 |
Nahrungsmittelindustrie | 3.389 | 0,7 |
Papierindustrie | 4.247 | 1,1 |
Chemische Industrie | 4.116 | 2,6 |
Maschinenbau | 3.985 | 2,1 |
Fahrzeugbau | 3.145 | -0,5 |
Informations- und Kommunikationstechnologie | 4.530 | 5,5 |
2020 (in Euro) | Veränderung 2020/19 (in %) 1) | |
---|---|---|
Geschäftsführerin/Chief Executive Officer 2) | 8.740 | 6,5 |
Vertriebsleiterin | 7.416 | 4,4 |
Ingenieurin (ohne Elektrotechnik) | 4.879 | 2,0 |
Software- und Anwendungsentwicklerin und -Analystin | 4.808 | 3,6 |
Sekretärin | 2.846 | 1,5 |
Fachkraft für Buchhaltung und Rechnungswesen | 3.298 | 0,1 |
Kraftfahrerin (Lkw und Bus) | 3.089 | 0,4 |
November 2021 (in Euro) 1) | |
---|---|
Produktionsmitarbeiterin (0-2 Jahre Berufserfahrung) 2) | 1.900 |
Produktionsmitarbeiterin (5-10 Jahre Berufserfahrung) | 2.000 |
Produktionsmitarbeiterin (mehr als 15 Jahre Berufserfahrung) | 2.550 |
Weitere Lohnbestandteile
Prämien sind in Finnland als zusätzliche, freiwillige Gehaltskomponenten weit verbreitet. Sehr häufig werden erfolgsabhängige Prämien an die Belegschaft ausgezahlt. Die Arbeitgeber schließen für ihre Angestellten vielfach Zusatzversicherungen und Betriebsrenten ab. Je nachdem, zu welchem Arbeitgeberverband ein Unternehmen gehört, sind solche Zusatzversicherungen, die beispielsweise für den Arbeitnehmer ein bestimmtes Rentenniveau absichern sollen, aufgrund bestehender Tarifverträge verpflichtend.
Arbeitgeber kooperieren außerdem mit privaten Gesundheitsdienstleistern, um die gesetzlich vorgeschriebene betriebliche Gesundheitsfürsorge zu organisieren und um Mitarbeitern attraktive Zusatzleistungen zu bieten. Bei den nicht-monetären Leistungsanreizen spielt die Flexibilität von Arbeitszeit und -ort, vor allem zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine wichtige Rolle.
Sozialversicherungsbeiträge
Da die Struktur der sozialen Sicherung in Finnland anders als in Deutschland geregelt ist, decken sich die in der Tabelle zu den Sozialversicherungsabgaben aufgeführten Begriffe inhaltlich nicht mit den in Deutschland verwendeten Begriffen. So werden das Gesundheitswesen und Krankheitskosten in Finnland weitgehend über Steuern finanziert. Der von den Arbeitgebern erbrachte Krankenversicherungszuschuss ist daher lediglich als kleiner Beitrag zur Finanzierung des gesamten Gesundheitswesens zu sehen.
Zu beachten ist jedoch, dass der Arbeitgeber in Finnland verpflichtet ist, seinen Mitarbeitern betriebliche Vorsorge- und Krankenbehandlungsleistungen in einem bestimmten Mindestmaß zur Verfügung zu stellen. In aller Regel geschieht dies durch den Einkauf entsprechender Leistungen bei einem privaten Ärztehaus oder bei einem kommunalen Gesundheitszentrum.
Damit die Arbeitgeberabgaben korrekt abgeführt werden, nutzen viele deutsche Unternehmen die Gehaltsbuchhaltungsdienstleistungen der AHK Finnland. Diese führt die Arbeitgeberabgaben an die Finanzbehörden ab und übernimmt auf Wunsch die Gehaltsadministration sowie nötige Registrierungen.
Rentenversicherung (Arbeitgeberanteil) | 18,7 1) 17,2 2) |
Krankenversicherungszuschuss (Arbeitgeberanteil) | 1,34 |
Arbeitslosenversicherung (Arbeitgeberanteil) | 0,50 3) |
Gruppenlebensversicherung durchschnittlich (Arbeitgeberanteil) | 0,055-0,070 4) |
Unfallversicherung (Arbeitgeberanteil) | verschieden 5) |