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Wirtschaftsumfeld | Guatemala | Standortanalyse

Warum deutsche Mittelständler in Guatemala investieren

Breite Industrie, geringe Produktionskosten und Nähe zu den USA: Guatemala hat gute Argumente für Nearshoring. Kommt jetzt der Investitionsboom?

Von Sofia Hempel | Bonn

Das deutsche Unternehmen Paulig setzt auf Nearshoring: Ab dem kommenden Jahr will der Teppichfabrikant seine Kunden in den USA und Kanada nicht mehr von Marokko aus beliefern, sondern aus Guatemala. Dafür baut der Mittelständler eine Fabrik nahe der Stadt Antigua, etwa 50 Kilometer von der Hauptstadt Guatemala-Stadt entfernt. Für den Standort hat Paulig noch größere Pläne, denn mittelfristig will es von Guatemala aus auch Teppiche nach Asien exportieren.

Darum kommt Guatemala für Nearshoring in Frage

Die geografische Nähe zu den USA und ein Freihandelsabkommen mit der größten Volkswirtschaft der Welt sind entscheidende Faktoren für Nearshoring. Insgesamt verfügt Guatemala über 13 aktive Handelsabkommen, darunter mit den anderen Ländern der Region. Auch die breite Industrie ist eine wichtige Voraussetzung für eine Investition in eine Fabrik. "Von zehn Produkten, die in Zentralamerika hergestellt werden, kommen vier aus Guatemala. Deshalb sind wir als Werkbank der Region bekannt", wirbt Wirtschaftsminister Janio Rosales. 

Wichtige Branchen sind unter anderem die Nahrungsmittelproduktion, die Bekleidungs- und die Textilindustrie sowie Plastik- und Metallverarbeitung. Zudem fertigen einige Pharmaunternehmen Medikamente für den regionalen Markt. Rund 14 Prozent der Wirtschaftsleistung entsteht im verarbeitenden Gewerbe. Die Produktionskosten sind vor allem wegen der niedrigen Löhne gering. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation lag der durchschnittliche Monatslohn 2021 bei 309 US-Dollar (US$).

Gut zu wissen!

Darum kommen Investoren nach Guatemala

Das sollten Investoren beachten

Geografische Nähe zu den USA

71 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter haben keine offizielle Beschäftigung

Freihandelsabkommen mit den USA und mehreren Ländern der Region

Mangelhafte Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur

Größter Markt Zentralamerikas

Korruption, vor allem in Regierungskreisen, weit verbreitet

Geringe Produktionskosten, vor allem wegen niedriger Lohnkosten

Zunehmende Machtkonzentration des Staates

Makroökonomische Stabilität

Hohe Kriminalität

Regierung fördert Investitionen in Fertigungsbetriebe

Unternehmen, die für den Export produzieren, erhalten vom Staat Steuererleichterungen. Als besonders offen gilt das ZOLIC-Förderregime, da es branchenunabhängig ist. Zudem verlangt es keine Mindestinvestitionssumme. Das Ley de Máquila richtet sich dagegen speziell an die Textil- und Bekleidungsindustrie, die nach dem Agrarsektor die zweitwichtigste Exportbranche des Landes ist.

Das Unternehmen Paulig haben aber noch andere Faktoren überzeugt, berichtet Geschäftsführerin Kristina Drechsel. "Die makroökonomische Stabilität war ebenfalls ein entscheidender Grund für eine Investition." In der Tat: In den letzten drei Jahrzehnten hatte Guatemala das am wenigsten schwankende Wachstum unter seinen strukturellen Konkurrenten, heißt es bei der Weltbank. Die Staatsverschuldung und das Haushaltsdefizit gehören zu den niedrigsten und stabilsten der Welt. Die nationale Währung, der Quetzal, entwickelt sich seit 20 Jahren konstant. 

Fünf Tipps für einen Markteinstieg in Guatemala

1. Unterstützung holen bei der Deutsch- Guatemaltekischen Industrie- und Handelskammer (AHK). Diese ist mit den Behörden und politischen Entscheidungsträgern bestens vernetzt.


2. Zeit nehmen bei der Suche nach geeigneter Person für Geschäftsaufbau. Sie sollte das Land bereits im Vorfeld sehr gut kennen.


3.  Ressourcen für Ausbildung von Personal einplanen!


4.  Kultur und Mentalität der Menschen beachten! Guatemalteken hängen sehr stark an der Familie.


5. Extrabudget für Sicherheit einplanen! Denn 10 bis 12 Prozent des Etats investiert ein typisches Unternehmen in private Sicherheit.

Guatemala ist größter Markt in Zentralamerika

Auch als Absatzmarkt hat Guatemala Potenzial. Mit fast 19 Millionen Einwohnern und einer Wirtschaftsleistung von 91 Milliarden US$ ist es die größte Volkswirtschaft Zentralamerikas. Unternehmen, die sich hier niederlassen, beliefern in der Regel nicht nur den guatemaltekischen Markt, sondern die gesamte Region, einschließlich der Karibikstaaten wie der Dominikanischen Republik. Firmen erschließt sich so ein Markt mit über 60 Millionen Konsumenten.  

Mit dieser Strategie ist der deutsche Hersteller von Hochdruckkompressoren Kaeser seit über 30 Jahren sehr erfolgreich. Anfänglich bearbeitete er den Markt über einen lokalen Händler, schon bald baute Kaeser eine Regionalzentrale in Guatemala-Stadt. Mittlerweile hat die Firma einen Marktanteil von über 90 Prozent und der Umsatz wächst jährlich um 15 bis 20 Prozent.

Wie groß das Vertrauen in die weitere Entwicklung ist, belegt die jüngste Investition: 20 Millionen US$ hat sich Kaeser sein neues Headquarter in bester Hauptstadtlage kosten lassen. Der Bau des achtstöckigen Gebäudes habe gerade einmal zwei Jahre gedauert, berichtet Geschäftsführer Byron Lemus. Um die 100 Menschen arbeiten da aktuell, ausgelegt ist die Zentrale für 200 Angestellte. Rund ein Drittel des Personals bei Kaeser sind Techniker. Und dieses bildet das Unternehmen selbst aus, denn eine passende Ausbildung gibt es im Land nicht. Bald schon will Kaeser sein Personal in einer eigenen Schule ausbilden.

Zahlreiche strukturelle Probleme bremsen Investitionen

Kaeser und Paulig stehen beispielhaft für Guatemalas Potenzial. Auch weil Unternehmen heute mehr denn je neue Absatzmärkte erschließen und für stabile Lieferketten sorgen müssen, dürften verstärkt Standorte in den Blick rücken, die deutsche Firmen bislang wenig beachtet haben. In Guatemala haben sie bis 2020 gerade einmal 230 Millionen Euro investiert, allen voran im verarbeitenden Gewerbe. In Chile, das genauso viele Einwohner hat, ist der Bestand zehnmal so hoch. 

Guatemala hat viele strukturelle Defizite, die zu einer geringen Produktivität führen und ein Risiko für Investoren darstellen: zunehmende Machtkonzentration des Staates, unzureichende Rechtstaatlichkeit und Korruption. Im Corruption Perceptions Index 2022 landete es auf dem 150. Rang von 180 untersuchten Ländern.

Auch die Liste der sozialen Probleme ist lang: Kinderarbeit, vor allem in der Landwirtschaft, ist weit verbreitet. Sie ist eine Folge der Armut und der fehlenden Perspektive auf dem Arbeitsmarkt: 71 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter arbeiten in Guatemala informell, das ist sogar für lateinamerikanische Verhältnisse eine erschreckend hohe Zahl. Viel zu wenig investiert der Staat in Bildung und Infrastruktur. Die Analphabetenquote betrug 2018 noch 19,2 Prozent. Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Costa Rica

Die Privatwirtschaft hat sich mit diesem Vakuum arrangiert. "Wenn der Staat keine Straße baut, dann macht es eben ein Unternehmen. Die Wirtschaft und das Land funktionieren wegen des starken Privatsektors", berichtet die Geschäftsführerin der Deutsch-Guatemaltekischen Industrie- und Handelskammer (AHK) Andrea Obrock. Und trotzdem: Wenn der Staat seine Verantwortung nicht erkennt, wird weiterhin Mexiko, der große Nachbar im Norden, die Früchte des Nearshoring-Trends ernten. 

Update: In einer früheren Version hieß es, dass die Bekleidungs- und Textilbranche die wichtigste Exportbranche des Landes sei. Eine noch größere Bedeutung hat aber der Agrarsektor. Wir haben den Fehler korrigiert.

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