Indien muss in die Abfallbehandlung investieren. Strengere Recycling- und Entsorgungsvorschriften bieten wachsende Geschäftschancen.
In Indiens Städten wachsen die Müllberge
Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg Indiens hat sich auch die Müllproblematik verschärft - vor allem in den schnell wachsenden Ballungszentren. Zwar hat die Regierung seit 2015 die Ausgaben für die Kreislaufwirtschaft kontinuierlich erhöht, doch der Investitionsbedarf bleibt gewaltig. Allein in den Städten sollen sich die Siedlungsabfälle bis 2041 auf 200 Millionen Tonnen verdoppeln, prognostiziert der Verband ASSOCHAM. Um das Müllaufkommen nur in diesem Segment bewältigen zu können, müssten bis 2030 etwa 65 Milliarden US-Dollar (US$) an Investitionen in die Kreislaufwirtschaft fließen, schätzt das Ministry of Housing and Urban Affairs (MoHUA).
Nicht nur die indischen Haushalte produzieren immer mehr Müll, auch bei Gewerbe-, Industrie- und Bauabfällen erwartet das Ministerium weiterhin starke Zuwächse. Die Coronapandemie hat zudem für einen sprunghaften Anstieg bei medizinischen Abfällen gesorgt. Seit Juni 2020 hat sich das Volumen um ein Viertel auf durchschnittlich 800 Tonnen pro Tag erhöht. Schon vor COVID-19 konnten nur etwa 80 Prozent davon umweltgerecht entsorgt werden, so dass immer mehr Krankenhausabfälle auf zum Teil illegalen Deponien landen. Beim Elektroschrott sind die Defizite noch größer. Von den 5 Millionen Tonnen, die im Finanzjahr 2019/20 (1. April bis 31. März) angefallen sind, dürften nur rund 10 Prozent umweltgerecht entsorgt worden sein, so die Einschätzung von ASSOCHAM.
Großer Nachholbedarf bei Recycling und Entsorgung
Zuständig für die Abfallbehandlung sind die kommunalen Verwaltungsbezirke (Urban Local Bodies) der Städte und Gemeinden. Diese müssen im Rahmen der seit 2016 geltenden Solid Waste Management Rules die Sammlung, Trennung, Behandlung und Entsorgung des Siedlungsabfalls organisieren. Indien hat zumindest bei der Sammlung in den letzten fünf Jahren beachtliche Fortschritte erzielt. Inzwischen wird in 98 Prozent der rund 86.000 Bezirke der Müll an der Türe abgeholt - und damit in doppelt so vielen wie noch 2015. Bei den weiteren Behandlungsschritten werden die Defizite allerdings immer offensichtlicher: Nur 70 Prozent des Mülls werden getrennt, knapp 60 Prozent weiterverarbeitet, 30 Prozent auf legalen Deponien entsorgt und lediglich 13 Prozent des gesamten Haushaltsmülls der Wiederverwertung zugeführt, so eine Analyse von Urban Management Consultants.
Eckdaten zur indischen Kreislaufwirtschaft 1)Siedlungsabfälle (Millionen Tonnen) | 100 |
.Organische Abfälle | 53 |
.Papier | 11 |
.Plastik | 10 |
.Metall und Elektroschrott | 9 |
.Glas | 4 |
Sondermüll (Millionen Tonnen) 2) | 9 |
Legale Deponien | 1.160 |
Abfallkompostieranlagen | 1.531 |
Biogas- und Biomethananlagen | 37 |
Ersatzbrennstoffkraftwerke (Waste to electricity) | 26 |
Anlagen zu Bauschuttbehandlung | 6 |
1) Angaben für 2019; 2) Finanzjahr 2017/18Quelle: Statistikbehörde MOSPI; Recherchen von Germany Trade & Invest
Damit eröffnen sich Geschäftschancen entlang der gesamten Wertschöpfungskette in der Kreislaufwirtschaft. Angefangen bei Müllbehältern und -fahrzeugen, die eine Trennung der Wertstoffe schon bei der Sammlung ermöglicht. Da die Abfallbehandlung bislang kaum automatisiert ist, wächst der Bedarf an Sortier- und Recyclinganlagen. Zudem soll die Rest- und Sondermüllentsorgung ausgebaut und verbessert werden. Dazu müssen bestehende Deponien versiegelt sowie Endlagerstätten und Müllverbrennungsanlagen unter anderem für medizinische Abfälle errichtet werden. Das alles dürfte für zusätzliches Wachstum in der Abfallwirtschaft sorgen. Deren Umsatz soll bis 2024 auf 3,5 Milliarden US$ zulegen, von 2,5 Milliarden US$ im Jahr 2017.
Verbot von Einwegplastikprodukten beschlossen
Künftig sollen die Verursacher bei der Mülltrennung stärker in die Verantwortung genommen werden. Was bereits für Unternehmen, Restaurants und Wohnungsgenossenschaften gilt, könnte bald für alle städtischen Haushalte Realität werden. Damit will Indien die Recyclingquote bei Papier, Glas und Plastik erhöhen. So werden 40 Prozent des Kunststoffabfalls nicht gesammelt und recycelt. Bis 2031 soll sich das Plastikmüllvolumen auf 31 Millionen Tonnen verdreifachen. Ab 1. Juli 2022 gilt deshalb ein Verbot von Einwegplastikprodukten wie Geschirr, Besteck und Bechern sowie von dünnen Kunststofftüten. Die Federation of Indian Chambers of Commerce & Industry (Ficci) beziffert das Geschäftspotenzial beim Plastikrecycling auf 2 Milliarden US$ pro Jahr.
Auch bei anderen Müllsegmenten will die Regierung die Zügel bei Herstellerverantwortung, Entsorgung und Wiederverwertung anziehen. Ziel ist es, die Abfallbehandlung in die Hände der organisierten Wirtschaft zu überführen. Im Juli 2019 hat das indische Umweltministerium einen ersten Entwurf der National Resource Efficiency Policy vorgestellt. Darin werden auch Recycling-Quoten für unterschiedliche Produkte und Wertstoffe und ein Deponieverbot für Kunststoffe, Glas und Papier bis 2025 angestrebt.
Seit August 2021 gelten in Indien neue Regelungen für die Entsorgung von Altfahrzeugen. Bis 2023 will die indische Regierung gemeinsam mit dem Privatsektor 50 Verschrottungszentren für Kfz im ganzen Land einrichten. Der Autobauer Tata Motors hat im August 2021 den Bau einer Einrichtung in Gujarat mit einer Kapazität von 36.000 Fahrzeugen pro Jahr angekündigt. Die HDFC Bank schätzt das Geschäftsvolumen für die Fahrzeugentsorgung auf jährlich 6 Milliarden US$.
Regierung stellt 19 Milliarden US$ für Abfallbehandlung bereit
Für die Anbieter von Ausrüstung und Dienstleistungen für die Kreislaufwirtschaft bietet die Verlängerung der Swachh Bharat Mission-Urban (SBM-U) bis 2025/26 Geschäftschancen. Deren Ziel ist es, die Abfalltrennung beim Verursacher zu verbessern, den Plastikmüll zu reduzieren, alte Deponien zu sanieren sowie neue Müllverbrennungs- und Waste-to-Energy-Anlagen in den Städten und Biogasanlagen auf dem Land zu bauen. Die Regierung plant für das SBM-U-Programm in den nächsten fünf Jahren Budgetmittel von 19 Milliarden US$ ein. Im Rahmen des 2 Billionen US$ schweren Infrastrukturprogramms hat Invest India 128 Vorhaben entlang der gesamten Wertschöpfungskette in der Abfallbehandlung mit einem Investitionsvolumen von 2,2 Milliarden US$ identifiziert, die bis 2026 realisiert werden sollen.
Ausgewählte Investitionsprojekte in der Abfallwirtschaft in IndienProjekt | Investition (in Mio. US$) | Stand | Projektträger |
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Cluster-Projekt zur Abfallbehandlung (Bau von Kompostier- oder Waste-to-Energy-Anlagen) im Bundesstaat Haryana | 68,1 | Technologieoffene Ausschreibung im Oktober 2021; Fertigstellung: 2023 | Municipal Corporation Ambala |
Bau einer Recyclinganlage für Bauschutte in Kolkata (Kapazität: 500 Tonnen/Tag) | 7,6 | Projektphase; Fertigstellung bis Ende 2022 | Hyderabad Integrated Municipal Solid Waste, Kolkata Municipal Corporation |
50 Entsorgungs- und Recyclingzentren für Altfahrzeuge | k.A. | Planungsphase; Finanzierung als PPP; erste Absichtserklärung unterzeichnet | Ministry of Road Transport and Highways |
Anlage zur Produktion von Biogas aus organischen Abfällen (100 Tonnen/Tag) in New Delhi | k.A. | Absichtserklärung unterzeichnet; Fertigstellung bis 2023 | South Delhi Municipal Corp., Indraprastha Gas Ltd |
Bau von 3 Recycling- und Entsorgungszentren für Elektroschrott in New Delhi | k.A. | Planungsphase; Fertigstellung bis 2023 | Municipal Corporation of Delhi |
Bau von 14 Recyclinganlagen für Elektroschrott (Kapazität insgesamt 150.000 Tonnen/Jahr) | k.A. | Projektphase; Fertigstellung bis Ende 2022 | Attero Recycling |
Bau einer Recyclinganlage für Lithium-Ionen-Batterien (Kapazität: 1.000 Tonnen/Jahr) in Gujarat | k.A. | Planungsphase | Hydromet Solutions |
Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest
Von Boris Alex
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New Delhi