Markets International 3/24 I Fachkräftemangel I Interview
"Indische Bewerber möchten von den Besten lernen“
Denise Eichhorn leitet die Abteilung Skilled Migration bei der Deutsch-Indischen Handelskammer. Ihre Aufgaben umfassen die Beratung von Fachkräften in Indien sowie von deutschen Arbeitgebern über die unterschiedlichen Migrationswege und relevanten Voraussetzungen.
20.06.2024
Von Florian Wenke | Mumbai
Deutschland leidet unter fehlenden Fachkräften. Lohnt sich der Blick nach Indien?
Indische Fachkräfte spielen bereits eine bedeutende Rolle in der deutschen Wirtschaft und haben das Potenzial, in Zukunft noch wichtiger zu werden. Während der Fachkräftemangel in Deutschland in aller Munde ist, drängen in Indien jährlich Millionen junger Menschen auf den Arbeitsmarkt. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen, da die indische Bevölkerung mit einem Medianalter von etwa 28 Jahren weiterhin um fast 1 Prozent jährlich wächst. Kein anderes Industrie- oder Schwellenland ist so jung. Im Jahr 2023 hat Indien mit mehr als 1,4 Milliarden Einwohnern China als bevölkerungsreichstes Land der Welt abgelöst. Auf Jahre hinaus werden junge und oft sehr mobile Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.
Menschen sind also ausreichend vorhanden, aber sind diese auch als Arbeitskräfte für deutsche Unternehmen relevant?
Indische Fachkräfte erfüllen bestimmte Voraussetzungen, die sie im internationalen Vergleich besonders attraktiv für deutsche Arbeitgeber machen. Angesichts der begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem heimischen Arbeitsmarkt orientieren sich viele von ihnen ins Ausland. Die Regierung fördert internationale Ausbildungs- und Erwerbsmigration und bemüht sich um eine stetige Verbesserung der Ausbildungsqualität. In Indien erworbene Abschlüsse und Qualifikationen haben gute Anerkennungschancen in Deutschland. Zudem sprechen die meisten Inder unter anderem auch Englisch, das in Indien eine der Amtssprachen ist.
Die Zahl der Arbeitsmigranten aus Indien nimmt kontinuierlich zu, und dieser Trend wird voraussichtlich in den nächsten Jahren anhalten. Allein im Jahr 2022 kamen beispielsweise 26.000 Inder über die „Blaue Karte“ nach Deutschland.
Die „Blaue Karte“ ist eine Aufenthaltstitel für Akademiker. Welche Personengruppen sind hier besonders gefragt?
Deutschen Unternehmen ist mittlerweile bewusst, dass Indien eine Fülle exzellenter Fachkräfte in der IT-Branche hervorbringt. Dennoch beobachten wir auch in anderen Sektoren ein wachsendes Interesse an indischen Talenten. Beispielsweise an MINT-Akademikern, also Leuten mit einem Studium auf dem Gebiet der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.
Gibt es Berufsfelder abseits einer Hochschulausbildung bei denen deutsche Unternehmen besonderes Interesse an Indien zeigen?
Beruflich qualifizierte Fachkräfte aus Indien finden vermehrt Beschäftigungsmöglichkeiten in Bereichen wie Metallverarbeitung, Automatisierungstechnik, Elektroindustrie, Fahrzeugbau, Maschinenbau und im Bauwesen. Auch die Rekrutierung von Pflegekräften hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen.
Und wie sieht es umgekehrt aus? Bevorzugen indischen Fachkräfte bestimmte Berufe, wenn sie nach Deutschland schauen?
In der indischen Wahrnehmung sind bestimmte deutsche Branchen weitaus bekannter als andere. Hierbei denke ich insbesondere an die weltweite Anerkennung von "German Engineering". Viele deutsche Industriemarken stehen für Zuverlässigkeit und technologische Spitzenleistungen. Bewerberinnen und Bewerber aus Indien möchten oft von den Besten lernen und an Innovationen teilhaben. Diese Sektoren üben einen besonders starken Anziehungseffekt auf Ingenieure aus verschiedenen Fachrichtungen sowie Softwareentwickler aus. Andere Branchen, wie beispielsweise das Hotel- und Gaststättengewerbe in Deutschland, sind hingegen weniger bekannt. In der Gesundheitsbranche sind aufgrund der erforderlichen Deutschkenntnisse die Einstiegshürden höher, dennoch verzeichnen wir hier einen deutlichen Anstieg an Anfragen von Arbeitsmigranten.
Allgemein erhalten wir Anfragen von indischen Fachkräften mit Jobangeboten aus verschiedenen Branchen in Deutschland. Indische Fachkräfte werden in den kommenden Jahren daher in nahezu allen Branchen in Deutschland vertreten sein.
Werden wir konkreter. Wie kommt eine deutsche Firma an eine Fachkraft aus Indien?
Der Prozess ähnelt der herkömmlichen Fachkräfterekrutierung. Zunächst sollte das Unternehmen offen dafür sein, Bewerbungen aus Indien zu empfangen. Hierbei ist es wichtig zu überlegen, welche Deutschkenntnisse tatsächlich erforderlich sind. Wenn die Kommunikation innerhalb des Unternehmens auch auf Englisch möglich ist, könnte die Stellenanzeige auf Englisch veröffentlicht werden, um sie für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen. Die Bewerbungsgespräche finden dann fast immer online statt. Unternehmen können auch darüber nachdenken, wie sie die Fähigkeiten und Kenntnisse der Bewerberinnen und Bewerber beispielsweise durch Online-Tests oder andere Aufgaben überprüfen können. Es ist entscheidend, ausreichend Zeit für den Migrationsprozess einzuplanen. Je nach Qualifikation ist möglicherweise ein Anerkennungsverfahren für den indischen Bildungsabschluss erforderlich, was unterschiedlich lange dauern kann. Ebenso benötigt der Visumsprozess Zeit, abhängig vom Visumstyp für die rekrutierte Fachkraft. Diese Zeitspannen sollten berücksichtigt werden.
Läuft es in der Praxis immer so wie beschrieben? Wo lauern die Flaschenhälse?
Tatsächlich könnten viele deutsche Unternehmen offener für Bewerbungen von ausländischen Fachkräften sein. Bewerbungsunterlagen aus Indien sollten genauso sorgfältig geprüft werden wie alle anderen Bewerbungen. Ein weiterer Aspekt ist die Kompromissbereitschaft hinsichtlich der Kommunikationsfähigkeiten. Bedenken Sie, dass Fachkräfte aus Indien oft ein Jahr oder länger investieren, sowohl Zeit als auch Geld, um Deutsch zu lernen – ohne die Gewissheit, dass ein deutsches Unternehmen ein Jobangebot unterbreitet. Dies kann dazu führen, dass Fachkräfte möglicherweise das B1-Niveau erreichen, was ausreicht, um in vollständigen Sätzen zu kommunizieren, jedoch möglicherweise nicht ausreicht, um komplexe Diskussionen oder regionale Dialekte zu verstehen. Wir beobachten, dass die meisten Fachkräfte äußerst motiviert sind, ihre Deutschkenntnisse weiter zu verbessern, insbesondere wenn sie sich in Deutschland befinden. Dennoch sind viele Unternehmen immer noch zögerlich, jemandem eine Chance zu geben, der die Sprache noch nicht perfekt beherrscht. Ein weiteres Problem ist der Mangel an Kapazitäten in Deutschland, insbesondere in Ausländerbehörden und Anerkennungsstellen, was den Prozess verlangsamen kann.
An wen kann man sich bei Fragen zum Thema und auch mit der Bitte um Unterstützung wenden?
Bei Fragen oder Unterstützungsbedarf in diesem Bereich können Sie sich an die Auslandshandelskammer (AHK) Indien wenden. Wir stehen deutschen Unternehmen umfassend zur Seite, sei es in Bezug auf die Unterstützung beim Migrationsprozess einer Fachkraft oder Dienstleistungen zur Identifizierung und Rekrutierung indischer Fachkräfte. Unser Projekt „ProRecognition“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, unterstützt Fachkräfte bei der Anerkennung ihrer indischen Qualifikationen für die Arbeitsmigration nach Deutschland. Im Rahmen unseres Projekts „Hand in Hand for International Talents," gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), bieten wir einen ganzheitlichen Prozess an, der die Rekrutierung, Vorbereitung der Kandidaten, das Matching mit Unternehmen sowie Integrationsmaßnahmen nach der Ankunft umfasst, in Zusammenarbeit mit Partnern in Deutschland. Unser Servicebereich DEinternational unterstützt deutsche Unternehmen bei der Identifizierung von Kandidaten und bereitet sie in Trainings auf die Ausreise vor.