Indonesiens Gesundheitssektor expandiert. Die Regierung zieht dabei lokale Medizintechnik der Importware vor und senkt damit die Versorgungsqualität.
Indonesien hat das Gesundheitssystem eines aufstrebenden Schwellenlandes. Mit steigendem Wohlstand wird die Versorgung weiter ausgebaut. Jedes Jahr wächst die Bevölkerungszahl um fast 3 Millionen Menschen, die durchschnittliche Lebenserwartung ist mittlerweile auf über 70 Jahre gestiegen. Auch das Gesundheitsbewusstsein steigt. Mehr Menschen suchen heute, im Vergleich zu früheren Zeiten, auch bei kleineren Gesundheitsproblemen professionelle Hilfe.
Gleichzeitig erhöhen Zivilisationskrankheiten die Nachfrage. Immer mehr Menschen essen verarbeitete und stark zuckerhaltige Nahrungsmittel. Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen, insbesondere in den Städten. In allen medizinischen Fachbereichen steigt der Bedarf nach einer Versorgungsinfrastruktur.
Es gibt verschiedene Angaben über die Entwicklung des indonesischen Gesundheitsmarktes. Fitch Solutions schätzt die Gesundheitsausgaben 2022 auf 41,4 Milliarden US-Dollar (US$). Bis 2026 sollen sie auf 53,5 Milliarden US$ steigen. Der Markt für Medizintechnik wächst demnach im selben Zeitraum von 1,2 Milliarden auf 1,9 Milliarden US$. Das treibt die Importnachfrage, denn mangels eigener Herstellung entfällt wertmäßig mehr als 90 Prozent aller Medizintechnik in Indonesien auf ausländische Produkte.
Der Importbedarf hat sich nach Angaben von UN Comtrade zwischen 2015 und dem Coronajahr 2020 von 500 Millionen US$ auf 1,2 Milliarden US$ mehr als verdoppelt. China ist der wichtigste Bezugsmarkt. Von dort kaufen indonesische Krankenhäuser mittlerweile nicht mehr nur einfache Massenware, sondern zunehmend auch Hochtechnologie. Diese kommt ansonsten zu großen Teilen aus Deutschland und den USA.
Regierung will Produktion im Land erzwingen
Für ausländische Anbieter ist Indonesien noch immer ein vergleichsweise kleiner Markt, immerhin mit wenig Konkurrenz von heimischen Herstellern. Denn sie stellen nur einfache Produkte her, wie Spritzen, Gummihandschuhe, Krankenhausmöbel oder Blutdruckmessgeräte. Joint Ventures mit ausländischen Unternehmen produzieren im Land auch Monitore, Inkubatoren und Dentalkameras.
Seit Juni 2021 ist der Markt für ausländische Medizintechnikhersteller deutlich schwieriger geworden. Denn die Regierung schloss ohne Vorwarnung 5.000 medizintechnische Importprodukte von der öffentlichen Beschaffung aus. Im September wurde diese Maßnahme auf 13.400 Produkte ausgeweitet. Die mangelhafte Qualität der im Land produzierten Medizintechnik schlägt durch diese Maßnahme auf die öffentliche Versorgungsqualität durch.
Das Ziel der Maßnahmen: Ausländische Hersteller sollen zu einer Produktion im Land gezwungen werden. Gleichzeitig sollen einheimische Hersteller bessere Marktchancen bekommen. Die Regierung hat in zahlreichen Branchenkongressen bekräftigt, diesen Weg nicht mehr zu verlassen. Er ist Teil einer Wirtschaftspolitik, die mehr Jobs, Know-how und Wertschöpfung ins Land holen will und in ähnlicher Form auch in anderen Industriebranchen angewendet wird.
Chinesische Anbieter könnten westliche ersetzen
Bei dem Verbot geht es um Produkte, die vermeintlich auch im Land hergestellt werden. Branchenkenner vermuten aber, dass die Verbotslisten von Branchenfremden erstellt wurden, ohne Kenntnisse über die Bedürfnisse der Praxis. Dabei wurde ein sogenannter "Freezing" und "Defreezing"-Prozess erschaffen. Zunächst werden die Importprodukte "eingefroren". Sollte es mengenmäßige oder qualitative Engpässe geben, werden sie wieder zugelassen. Marktteilnehmer berichten, dass es ihnen bisher nur ganz vereinzelt gelingt, ihre Produkte wieder listen zu lassen.
Dieser Mechanismus nimmt ausländischen Anbietern die Kalkulationsgrundlage. Beobachter erwarten, dass das öffentliche Beschaffungsverbot viele westliche Anbieter dazu veranlasst, sich aus dem indonesischen Markt zu verabschieden. Denn eine Produktion vor Ort lohnt sich nur bei ganz bestimmten Produkten. Etwa wenn einfache Produkte günstig in hohen Stückzahlen produziert werden können. Hightech-Medizintechnik ist mangels Fachkräften und einer noch zu geringen Marktgröße kaum profitabel herzustellen.
Und so erwarten Marktbeobachter, dass vor allem chinesische Unternehmen Produktionsstätten im Land errichten werden. Viele können durch die staatlichen Förderungen aus Peking ein größeres Risiko eingehen. Ihre Corporate-Governance-Standards sind in der Regel niedriger. Durch Tendenzen zur Schattenwirtschaft können so mancherorts Vorteile im Markt entstehen.
Eckdaten GesundheitsmarktIndikator | Wert |
---|
Einwohnerzahl (2021 in Mio.) | 272,7 |
Bevölkerungswachstum (2021 in % p.a.) | 0,69 |
Altersstruktur der Bevölkerung (2021) | |
Anteil der unter 14-Jährigen (in %) | 24,3 |
Anteil der über 65-Jährigen (in %) | 6,4 |
Durchschnittseinkommen (2021 in US$) | 4.350 |
Gesundheitsausgaben | |
pro Kopf (2019 in US$) | 120 |
öffentlich (in %) | 49 |
privat (in %) | 51 |
Anteil der Gesundheitsausgaben | |
am BIP (2019 in %) | 2,9 |
Anzahl Krankenhäuser (2021), davon | 3.042 |
öffentlich (in %) | 36,6 |
privat (in %) | 63,4 |
Ärzte/1.000 Einwohner (2021) | 0,7 |
Krankenhausbetten/1.000 Einwohner (2021) | 1,4 |
Quelle: BPS 2022; Gesundheitsministerium 2022; WHO 2022; World Bank 2022
Unklares Bild in der Coronakrise
Unter welcher Belastung das indonesische Gesundheitssystem während der Coronakrise gestanden hat, ist schwierig zu beurteilen. Während der ersten Infektionswelle zum Jahreswechsel 2020/2021 blieb es bei Warnungen vor einer Überlastung. Während der zweiten Welle im Juli und August 2022 wurden regionale Überlastungen gemeldet, allerdings bei einer landesweit durchschnittlichen Auslastung der Krankenhäuser von 80 Prozent.
Aussagefähige aktuelle Statistiken darüber, wer mit oder wegen des Coronavirus in einem Krankenhausbett lag, gab es auch in Indonesien nicht. Die tägliche Todesstatistik wurde als Maßstab für eine Präventionspolitik ausgeklammert, weil sie nicht zuverlässig erstellt werden konnte. Belegt sind für Jakarta während der zweiten Welle Schlangen vor den Krankenhäusern - und gleichzeitig leere Spitäler wenige Straßen weiter.
Welchen mittelfristigen Einfluss die Coronakrise ganz konkret auf den Ausbau den Gesundheitssystems hat - jenseits politischer Rhetorik über Vorsorge und Resilienz -, ist unklar. Schließlich hat das Land mit zahlreichen Krankheiten zu kämpfen, die mittelfristig mehr Opfer fordern als Covid, sei es Tuberkulose oder Malaria.
Von Frank Malerius
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Jakarta