Markets International 5/24 I Irland I Biopharma
"Irland profitiert von qualifizierten Arbeitskräften, starken Partnerschaften und einem unterstützenden Umfeld"
Dr. Sinead Keogh leitet BioPharmaChem Ireland, welches zur größten Interessengruppe Irlands, Ibec, gehört. Hier ist sie für mehrere staatlich geförderte Bildungsnetzwerke verantwortlich. Ihre fachliche Expertise in angewandter Physik und Nanotechnologie bringt sie zudem in nationale und internationale Gremien ein.
27.11.2023
Von Charlotte Hoffmann | Bonn
Welche Bedeutung hat der Biopharmasektor für die irische Wirtschaft?
Er ist von zentraler Bedeutung, immerhin ist Irland der drittgrößte Exporteur komplexer pharmazeutischer Güter und Arzneimittel in Europa und der zweitgrößte Exporteur von Impfstoffen. Der Sektor erzielt jährliche Exporte von mehr als 100 Milliarden Euro und beschäftigt direkt und indirekt rund 84.000 Menschen. Zudem werden in den nächsten drei Jahren etwa 21.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, was das anhaltend hohe Vertrauen in diesen Bereich unterstreicht.
In welchen Bereichen der biopharmazeutischen Produktion ist Irland führend?
Der Sektor in Irland umfasst traditionelle aktive pharmazeutische Wirkstoffe (API) und Endprodukte, sowie Biotechnologie und neu aufkommende fortgeschrittene Therapeutika, wie Zell- und Gentherapie. Besonders bemerkenswert ist, dass voraussichtlich mehr als die Hälfte des Arbeitsplatzwachstums im Biopharmasektor aus neuen Investitionen in Biologika resultieren wird. Neue Teilsektoren umfassen zum Beispiel Vertragsentwicklungs- und Produktionsunternehmen, sogenannte Contract Development and Manufacturing Organizations. Diese unterstützen andere Firmen bei der Entwicklung und Herstellung von Produkten und bieten spezialisiertes Fachwissen und Produktionskapazitäten an, die Unternehmen auslagern, um ihre Innovationsprozesse zu beschleunigen und Kosten zu senken.
Große Investitionen von Pharmaunternehmen wie Pfizer unterstreichen die Attraktivität Irlands ...
Ja, Pfizer hat in Irland insgesamt neun Milliarden Euro investiert und beschäftigt 5.000 Menschen an fünf Standorten. Vor etwas mehr als einem Jahr kündigte das Unternehmen eine Investition von 1,2 Milliarden Euro in seinem Grange Castle-Werk an, was die größte Expansionsinvestition von Pfizer in Irland ist. Dieses Projekt wird die Kapazität für die Herstellung biologischer Wirkstoffe verdoppeln.
Gibt es noch weitere interessante Projekte?
Ja, um hier nur einmal drei Beispiele zu nennen: Im vierten Quartal 2023 hat AbbVie, ein global tätiges biopharmazeutisches Unternehmen, ein neues europäisches Dienstleistungszentrum in Clonshaugh, Nord-Dublin, eröffnet, und 400 neue Arbeitsplätze geschaffen. Astellas Pharma baut eine hochmoderne Anlage in Tralee, im County Kerry, mit einem Investitionsvolumen von etwa 330 Millionen Euro. Und MSD Ireland hat die offizielle Eröffnung einer neuen, hochmodernen Anlage in Meath angekündigt sowie eine bedeutende Erweiterung seines Standorts in Carlow. Allein die Projekte von MSD repräsentieren eine Investition von mehr als eine Milliarde Euro und werden zur Schaffung von 670 neuen Arbeitsplätzen in Irland führen.
Was macht Irland im Vergleich zu anderen EU-Ländern besonders attraktiv für ausländische Direktinvestitionen in diesem Sektor?
Irland ist bekannt für seine regulatorische Konformität und operative Exzellenz. Das Land profitiert von qualifizierten Arbeitskräften, starken akademisch-industriellen Partnerschaften und einem unterstützenden politischen und industriellen Umfeld. Seine strategische Lage ermöglicht einen einfachen Zugang zu wichtigen globalen Märkten, was es zu einem attraktiven Standort für biopharmazeutische Investitionen macht. Zudem verstärken Irlands kollaborative Kultur und das Engagement für saubere und nachhaltige Produktion seine Attraktivität als einer der globalen Marktführer in den Life Sciences.
Es wird erwartet, dass fortgeschrittene Therapeutika und Impfstoffe, sogenannte Advanced Therapy Medicinal Products (ATMPs), die nächste große Wachstumswelle im Biopharmabereich anstoßen. Wie stellt sich Irland bei ATMPs auf?
Irland verfügt über weltweit führende Institutionen wie das National Institute for Bioprocessing, Research and Training, kurz NIBRT, das Zugang zu hochqualifizierten Forschern und Wissenschaftlern bietet. Das neue CONCEPT-Zentrum von NIBRT in Dublin, das im Dezember 2023 eröffnet wurde, stellt einen bedeutenden Meilenstein für die Zell- und Gentherapie-Forschung in Irland dar. Diese erstklassige Einrichtung ist der Förderung von Innovation, Zusammenarbeit und fortschrittlicher biotherapeutischer Forschung in einem frühen Stadium gewidmet und soll modernste Lösungen für die Forschung an ATMPs hervorbringen. Es ist wichtig, dass wir das Potenzial von CONCEPT nicht nur für ausländische Investitionen ausschöpfen, sondern auch für die Entwicklung eines florierenden einheimischen Ökosystems und Start-up-Umfelds im Bereich der Zell- und Gentherapien.
Ein Bericht der Expert Group on Future Skills Needs (EGFSN) prognostiziert, dass die irische Biopharmabranche bis 2027 um 21.000 Arbeitsplätze wachsen wird. Welche Maßnahmen müssen auf Industrie- und politischer Ebene ergriffen werden, um dem prognostizierten Fachkräftemangel entgegenzuwirken?
Angesichts des Investitionsvolumens von rund 13,9 Milliarden Euro in den vergangenen Jahren, die in Irland getätigt wurden, ist die Prognose der EGFSN nicht überraschend, zumal derzeit schon 3.000 Stellen unbesetzt sind. Traditionell rekrutiert der Sektor viele PhD-Absolventen, was es Irland ermöglicht, in der Wertschöpfungskette weiter nach oben zu klettern, hin zu frühen Entwicklungsphasen und klinischer Produktion. Um diesen Kurs beizubehalten, ist eine kontinuierliche Investition in die Hochschulen entscheidend. Dazu gehört die Unterstützung der Grundausbildung, innovativer Lehrmodelle und hochmoderner Forschungsinfrastruktur. Es ist notwendig, die Finanzierungslücke von 307 Millionen Euro im Hochschulbereich zu schließen, um Irlands Universitäten auf dem neuesten Stand der Forschung zu halten.
Aus welchen Ländern bezieht die irische Biopharmabranche ihre Zwischenprodukte? Gibt es potenzielle Chancen für nicht-irische Lieferanten?
Die Lieferketten im Biopharmabereich sind äußerst komplex, und Unternehmen beziehen Materialien aus ganz Europa und darüber hinaus. Allerdings beobachten wir, dass Unternehmen vermehrt nach Lieferanten in der Nähe suchen, um den CO2-Fußabdruck in ihren Lieferketten zu verringern. Alternativ bevorzugen sie Lieferanten, die eine nachhaltige und verantwortungsbewusste Denkweise haben.
Also spielt der Klimaschutz eine entscheidende Rolle bei der Wahl der Zulieferer?
Definitiv. Der irische Biopharmasektor steht in den nächsten zehn Jahren vor der Herausforderung, klimaneutral zu werden. Die Unternehmen haben ihre Energieeffizienz bereits verbessert, mit einem Rückgang des Energieverbrauchs um 0,4 Prozent im Jahr 2023 – bei einem gleichzeitigen Produktionsanstieg um 48,2 Prozent. Man setzt zunehmend auf sauberere Technologien und energieeffiziente Praktiken, was Innovationen und betriebliche Effizienz vorantreibt. Aber es gibt noch immer viel zu tun.
Was fordert die Branche diesbezüglich von der Politik?
Die Regierung muss sicherstellen, dass die derzeit von der Europäischen Kommission entwickelten Reformvorschläge für den EU-Energiemarkt ausreichend Rücksicht auf den grenzüberschreitenden Charakter des gesamten irischen Energiemarktes nehmen. Darüber hinaus ist eine umfassende nationale Energiestrategie erforderlich, mit klaren Zielen und Zeitplänen, um den Übergang zu einer nachhaltigen Energiezukunft zu gewährleisten, einschließlich der Integration erneuerbarer Energiequellen in das Netz. Wir müssen auch die finanzielle und beratende Unterstützung für Unternehmen verbessern, die Best Practices zur Nachhaltigkeit übernehmen.