Branchen | Israel | Künstliche Intelligenz
Israels Vorsprung bei KI steht auf dem Prüfstand
Internationale Big-Tech-Unternehmen nutzen Israel als Standort für die Entwicklung von KI-Anwendungen. Die Herausforderungen nehmen aber zu.
15.01.2025
Von Wladimir Struminski | Israel
Israel gilt als Hightech-Nation und belegt dies auch mit einer führenden Position bei der Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI). Im "Global AI Index" des britischen Medienunternehmens Tortoise lag das Land 2024 auf Platz 9 von 83. Führend sind die USA, gefolgt von China. Der Index erfasst eine Kombination aus Indikatoren in Clustern wie Fachkräfte, regulatorischer Rahmen, aber auch die Marktgröße und das Geschäftsumfeld. Daraus ergeben sich sowohl Rückschlüsse auf die absolute Leistungsfähigkeit der Länder als auch darauf, wie diese im Verhältnis zur Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft dastehen.
Ein genauerer Blick offenbart die Herausforderungen, vor denen Israel trotz der guten Position steht. So konnten Länder wie Frankreich oder Deutschland ihre Positionen in den vergangenen Jahren verbessern und Israel überholen, das 2021 noch auf Rang 5 des Global AI Index lag. Israel punktet vor allem mit der großen Zahl und der regen Aktivität von KI-Firmen sowie dem hohen technologischen Entwicklungsstand und den hoch qualifizierten Arbeitskräften. Dagegen gibt es bei der Politik der Regierung zur Förderung der KI-Branche erhebliche Mängel. Zudem läuft die Integration von KI-Lösungen in die lokale Wirtschaft und Verwaltung schleppend.
Ausländische Techgiganten betreiben die größten Zentren
Trotz der gemischten Erfolgsbilanz bietet Israel ausländischen Unternehmen zahlreiche Chancen zur technologischen und kommerziellen Zusammenarbeit. Im Dezember 2024 waren im Land 2.157 KI-Firmen tätig. Das geht aus der Datenbank der gemeinnützigen israelischen Hightech-Organisation Start-up Nation Central (SNC) hervor. Die Zahl entspricht 31 Prozent aller israelischen Hochtechnologieunternehmen. Mit 66 Prozent verfügten die meisten KI-Firmen über marktgängige Produkte.
Ein großer Teil der Unternehmen ist relativ klein. Im Dezember 2024 beschäftigten 45 Prozent von ihnen bis zu zehn Mitarbeitende. Es gibt jedoch auch eine Reihe von größeren Unternehmen: Ende 2024 hatten 70 Unternehmen einen Personalbestand zwischen 200 und 500, immerhin 47 hatten mehr als 500 Mitarbeitende.
Überdies unterhalten 32 ausländische Unternehmen in Israel Forschungs- und Entwicklungs- oder Innovationszentren für KI. Die größten dieser Zentren, mit jeweils mehr als 500 Mitarbeitern, gehören Amazon, Intel, Google, Microsoft, Motorola und Nvidia. Ende 2024 waren zudem 17 ausländische Wagnis- und Beteiligungskapitalfonds in der israelischen KI-Branche tätig.
Start-ups in Israel ziehen KI an
Das wichtigste Betätigungsfeld für KI im Land ist Softwareentwicklung. Nach Angaben des israelischen Think-Tanks RISE boten 2024 insgesamt 61 Prozent aller KI-Unternehmen Lösungen für den Softwarebereich an. Hier spielt die Stärke Israels in der Entwicklung von Cybersecurity-Lösungen eine Rolle.
2023 gab es nach Angaben der Wagniskapitalgesellschaft YL Ventures einen Boom bei der Gründung von israelischen Cybersecurity-Start-ups. Diese würden mit dem Einsatz von KI nun den nächsten Schritt gehen, so eine Analyse des Unternehmens. An zweiter Stelle der KI-Nutzer lag der Biowissenschaftssektor. Andere Branchen spielten eine untergeordnete Rolle.
Anwendungsbranche | Anteil an KI-Unternehmen |
---|---|
Software | 61 |
Biowissenschaften | 18 |
Kommunikationstechnik | 7 |
Agrartechnologie | 4 |
Cleantech | 2 |
Halbleiter | 1 |
Sonstige Technologien | 7 |
Laut einer Studie von Deloitte (mit F2 und Google) hat Israel vor allem bei der Entwicklung von KI-Anwendungen beste Chancen, sich als führender internationaler Standort weiterzuentwickeln. Das gelte insbesondere für solche Lösungen, die sich auf eine bestimmte Anwendungsbranche spezialisieren. In den letzten Jahren sei fast die Hälfte aller KI-Investitionen in diesen Bereich geflossen. Auch für branchenübergreifende Mehrzwecklösungen sieht Deloitte hohes Entwicklungspotenzial. Den Bereichen Hardware, Infrastruktur und Cloud schreibt die Studie mittelhohe Wachstumschancen zu.
Harter Kampf um den Klassenerhalt
Bei allen Erfolgen hat die israelische KI-Szene auch grundlegende Schwächen. So sehen die Experten von Deloitte in Israel nur geringes Potenzial bei KI-Grundmodellen (Foundation Models) und bei der Anwendung des Quantencomputings zur Verbesserung von Algorithmen. In diesen Bereichen bestünden erhebliche Eintrittsbarrieren, vor allem wegen des massiven Investitionsbedarfs. Einem kleinen Land wie Israel falle es schwer, diese Barrieren zu überwinden.
Zudem verliert Israel nach Einschätzung der Israel Innovation an Attraktivität. Auch High-Tech-Investoren fürchten langfristige Folgen der innenpolitischen Spannungen und des im Oktober 2023 ausgebrochenen Krieges im Gazastreifen. Bereits 2022 hätte sich zudem die ungenügende Unterstützung der Branche durch die Regierung bemerkbar gemacht. Trotz mehrerer Anläufe ist die staatliche Finanzierung für KI ungenügend, ebenso wie der regulatorische Rahmen für die Integration der KI in die einheimische Wirtschaft und Verwaltung. Eine fehlende nationale Strategie zur Entwicklung der künstlichen Intelligenz bemängelte Ende 2024 auch das Amt des Staatskontrolleurs (vergleichbar mit dem Bundesrechnungshof).
Sorgen bereitet auch der zunehmende Mangel an hoch qualifizierten Arbeitskräften. In Berufen, die auf fortgeschrittene akademische Abschlüsse angewiesen sind, herrsche, so die Innovationsbehörde, erheblicher Mangel. Zudem wanderten weiterhin zahlreiche Hochschulabsolventen ins Ausland ab.
Diese Herausforderungen schlagen sich inzwischen auch in Zahlen und Rankings nieder. In den Jahren 2022 und 2023 brachen die Investitionen in die israelische KI nach Ermittlungen des RISE-Instituts um kumuliert 71 Prozent ein. Der Rückgang in Europa habe dagegen nur 24 Prozent und in den USA 27 Prozent betragen. Und auch im Global AI Index von Tortoise Media könnte Israel bald aus den Top-Ten ausscheiden.
- Israel
- Branchen
- Software
- Künstliche Intelligenz
- Startup
- Branchen