Branche kompakt | Italien | Pharmaindustrie, Biotechnologie
Branchenstruktur
Die italienische Pharmaindustrie ist forschungsstark, was deutschen Unternehmen gute Kooperationsmöglichkeiten eröffnet. Viele Hersteller erweitern ihre Kapazitäten.
21.02.2025
Von Torsten Pauly | Mailand
Italien war 2022 der größte Pharmaproduzent in der EU, so die neuesten verfügbaren Angaben des europäischen Dachverbandes EFPIA (European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations). Der Wert der Pharmaproduktion hat sich 2022 und 2023 um insgesamt 51,2 Prozent auf 52 Milliarden Euro erhöht. Im gleichen Zeitraum sind die italienischen Exporte um zusammen 48 Prozent gestiegen. Farmindustria beziffert die Ausfuhrquote der italienischen Hersteller für 2023 auf 94 Prozent. Auch der italienische Importbedarf ist 2022 und 2023 um insgesamt 26,7 Prozent gestiegen.
Große Bedeutung hat die Auftragsfertigung und -forschung für andere Hersteller, Contract Development and Manufacturing Organization (CDMO). In diesem Segment waren italienische Pharmafirmen 2023 mit einem Umsatz von 3,6 Milliarden Euro führend in Europa. Ihr Anteil entsprach 23 Prozent der entsprechenden europäischen Gesamtproduktion.
Forschung setzt auf künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz gewinnt in Italiens Pharmaforschung und -entwicklung rasch an Bedeutung, nicht zuletzt wegen des zunehmend gängigen Open-Innovation-Ansatzes, das heißt der Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftszweigen. Im Jahr 2023 haben bereits 38 Prozent aller italienischen Pharmaunternehmen künstliche Intelligenz in ihrer Forschung eingesetzt, so Farmindustria. Diese kommt insbesondere bei der Entwicklung von Molekülen und der Analyse von Patientendaten zum Tragen.
Für klinische Studien haben die italienischen Pharmaunternehmen 2023 laut Farmindustria 700 Millionen Euro ausgeben. An erster Stelle stehen dabei neue Präparate zur Neoplasiebehandlung, gefolgt von Medikamenten für Nervenkrankheiten, Atemwegserkrankungen, Herzkreislauf- und Verdauungsstörungen. Etwa 38 Prozent aller klinischen Studien haben Orphanarzneien zur Behandlung seltener Krankheiten zum Gegenstand.
Insgesamt hat die Branche 2023, Farmindustria zufolge, 2 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung investiert. Das waren 21 Prozent mehr als 2018. Diese Aufwendungen haben 2023 etwa 16,8 Prozent der Bruttowertschöpfung ausgemacht. Damit ist die Branche laut dem Verband der forschungsintensivste Zweig in Italiens verarbeitendem Gewerbe. Ein wichtiger VentureCapital-Fonds ist Future Health Ventures.
Lombardei ist europäisches Life-Science-Zentrum
Laut einer Studie des Industrieverbandes Assolombarda ist die Lombardei - gemessen an der Bruttowertschöpfung - die viertentwickelteste Life-Science-Region Europas, nach Baden-Württemberg, Katalonien und der Île-de-France. Einer Untersuchung von Listup zufolge waren dort 2024 auch 27 Prozent aller italienischen Pharma-Start-ups ansässig, darunter allein 19 Prozent in Mailand.
In der Lombardei waren 2023 insgesamt 37 Prozent aller italienischen Pharmabeschäftigten tätig. Weitere bedeutende Regionen sind Latium mit einem Anteil von 19 Prozent, die Toskana mit 11 Prozent, Venetien mit 8 Prozent und die Emilia Romagna mit 6 Prozent aller Stellen. Pharmacluster, Polo farmaceutico genannt, sind jedoch auch in anderen Landesteilen zu finden, etwa in Neapel und der Region Friaul - Julisch Venetien. In Piemont existiert unter anderem ein bedeutendes Cluster für Biotechnologie.
Ausländische Investoren haben große Bedeutung
Alle führenden internationalen Pharmakonzerne bedienen den italienischen Markt und unterhalten dort oft eine Produktion und Forschungsabteilung. Ausländische Branchenunternehmen haben laut Farmindustria eine größere Bedeutung als aus Italien stammende. Dies geht aus einem vom Verband erstellten Indikator hervor, der den Umsatz, die Investitionshöhe, den Export, die Beschäftigten und die Steuerzahlungen einbezieht. Hieran hatten Pharmafirmen mit italienischem Kapital 2023 einen Anteil von 42 Prozent. Auf Investoren aus den USA entfielen 26 Prozent, auf Pharmaunternehmen in anderweitiger ausländischer Hand weitere 32 Prozent.
Das mit 1.033 Millionen Euro umsatzstärkste Unternehmen aus Deutschland war 2023 Merck Serono S.p.A. Es folgten Bayer S.p.A. mit 712 Millionen Euro, Boehringer Ingelheim Italia mit 429 Millionen Euro und Beiersdorf S.p.A. mit 292 Millionen Euro. Der Pharma- und Medizintechnikproduzent B.Braun hat 2023 etwa 156 Millionen Euro umgesetzt.
Unternehmen | Umsatz 2023 | Anzahl der Beschäftigten 2023 |
---|---|---|
A. Menarini Industrie Farmaceutiche Riunite Srl | 4.376 | 17.839 |
Chiesi farmaceutici S.p.A. | 3.026 | 6.566 |
Recordati industria chimica e farmaceutica S.p.A. | 2.082 | 4.455 |
Keridon S.p.A. | 1.429 | 5.071 |
Sanofi Italia | 1.423 | 1.522 |
Alfasigma S.p.A. | 1.367 | 2.894 |
Novartis Farma SpA | 1.361 | 1.554 |
Merck Serono S.p.A. | 1.033 | 852 |
Italfarmaco S.p.A. | 986 | 3.624 |
Pfizer Italia S.r.l. | 978 | 954 |
Insgesamt gab es 2023 laut Farmindustria 220 italienische Hersteller von Medikamenten und anderen Pharmapräparaten. Darüber hinaus haben 64 Unternehmen Grundstoffe für die Pharmaindustrie erzeugt. Im Jahr 2023 hat die italienische Pharmaindustrie 70.000 Menschen beschäftigt. Weitere 83.000 Arbeitsplätze waren indirekt von der Pharmaindustrie abhängig, etwa in der Logistik oder bei Zulieferern. Der durchschnittliche Nettoumsatz je Beschäftigten lag in der italienischen Pharmaindustrie 2023 bei 452.000 Euro. Das waren 173.000 Euro weniger als in Deutschland.
Hinter dem jüngsten Produktions- und Exportanstieg stehen hohe Investitionen in Sachanlagen, die sich 2021 und 2022 auf 2,9 Milliarden Euro summierten. Auch in den kommenden Jahren laufen Großprojekte.
Akteur/Projekt | Investitionssumme | Projektstand | Anmerkungen |
---|---|---|---|
Johnson & Johnson Medical | 580 | Planung | Bis 2029 investiert der Konzern 580 Millionen Euro in Italien, darunter 125 Millionen in den Ausbau der Produktion in Latina |
Chiesi farmaceutici S.p.A. | 400 | Planung, tw. Bau | Bis 2030 entsteht ein neues Biotech-Zentrum in Parma |
Merck Serono S.p.A. | 160 | Bau | Erweiterung der Produktion in Bari |
Novartis Farma S.p.A. | 100 | Bau | Aufbau einer Produktion und Forschungsabteilung für radiopharmazeutische Krebsbehandlungen in Ivrea bis 2026 |
Zambon S.p.A. | 70 | Planung, tw. Bau | Aufbau einer neuen Auftragsproduktion (CDMO) in Vicenza bis 2029 |
Novartis Farma S.p.A. | 32 | Bau | Aufbau einer Forschungsabteilung in Torre Annunziata (bei Pompei) |
Takeda Italia S.p.A. | 30 | Planung, tw. Bau | Modernisierung der Produktion in Pisa und Rieti |
Besonders im Norden nimmt der Fachkräftemangel zu
Das zuletzt kräftige Wachstum bringt für die italienische Pharmaindustrie verschärfte Personalprobleme mit sich. Zwischen 2018 und 2023 hat die Branche die Zahl der Stellen um 9 Prozent erhöht. Der Fachkräftemangel ist aufgrund des hohen Anforderungsprofils noch ausgeprägter als in anderen Industriezweigen. Im Jahr 2023 hatten 54 Prozent aller in der Pharmaindustrie Beschäftigten einen Hochschulabschluss, weitere 36 Prozent hatten Abitur.
Der Mangel an Fachkräften ist im wirtschaftsstarken Norden noch weitaus stärker als im vielerorts strukturschwachen Süden Italiens. Von dort wandern Talente ab. Mangels fehlender Jobperspektiven haben zwischen 2012 und 2021 im Schnitt 12.000 Jungakademiker im Alter von bis zu 34 Jahren den Mezzogiorno verlassen. Dieser umfasst die sechs südlichen Festlandsregionen und die Inseln Sizilien und Sardinien.