Branchen | Italien | Chemische Industrie
Branchenstruktur
Italien ist ein wichtiger und großer Standort der europäischen Chemieindustrie, dessen Fokus bei Spezialchemikalien liegt.
19.01.2022
Von Oliver Döhne | Mailand
Nummer drei in Europa
Hinter Deutschland und Frankreich ist Italien der drittgrößte Produzent von chemischen Erzeugnissen in der Europäischen Union. Im Jahr 2020 steuerte Italien mit einem Produktionswert von 51 Milliarden Euro (85 Milliarden Euro bei Hinzurechnen der Pharmaindustrie) rund 10 Prozent zu der europäischen Chemieproduktion bei. Global liegt Italien auf dem zehnten Platz. Die chemische Industrie gilt als eine der wettbewerbsfähigsten, produktivsten und innovativsten italienischen Industriesparten. Der Anteil der Investitionen, die in Forschung und Entwicklung fließen, übertrifft deutlich die meisten anderen Branchen. In Italiens industriellem Herz Lombardei ist sie die am stärksten spezialisierte Industriebranche überhaupt.
Bezüglich der Unternehmensstruktur koexistieren laut Fachverband Federchimica drei Arten von Firmen: Kleine beziehungsweise mittelständische lokale Firmen mit einem hohen Innovationsgrad machen rund 39 Prozent der Produktion aus. Rund 38 Prozent der Produktion kommt von Niederlassungen internationaler Konzerne, die in Italien unter anderem für den Weltmarkt produzieren. Für die restlichen 23 Prozent sind große einheimische Firmen wie Versalis, Mapei oder Bracco verantwortlich. Laut Federchimica sind in Italien rund 2.800 Branchenfirmen aktiv. 267 ausländische Firmen produzieren in Italien. Die Beschäftigtenzahl der Branche liegt bei rund 111.000 Beschäftigten, davon sind 78 Prozent im Norden des Landes eingesetzt, 42 Prozent in der Lombardei.
Große Expertise bei Spezialchemikalien
Besondere Expertise hat Italien bei Fein- und Spezialchemie, die etwa 44 Prozent der lokalen Produktion ausmacht. Stark ist Italien unter anderem bei Vorprodukten für Medikamente, Kosmetika, Reinigungsmitteln und anderen chemiebasierten Konsumprodukten, bei denen es mehr auf Qualität als auf günstige Massenproduktion ankommt. Auch bei Zusatzstoffen für Schmiermittel und für Zement, bei Katalysatoren, Laminaten, Stabilisatoren für Gummi und Plastik, Produkten für die Bearbeitung und Behandlung von Textilien und Leder, Farben, Pigmenten, Lacken, Klebstoffen und Spezialchemikalien für verschiedenste Industriebranchen ist Italien exzellent. Konsumchemikalien machen etwa 15 Prozent und Basischemikalien und Fasern rund 41 Prozent der Produktion aus.
Rund 70 Prozent von Italiens Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen kommt laut Branchenverband Federchimica aus der verarbeitenden Industrie. Größter Abnehmer ist die Kunststoff- und Gummiindustrie mit rund 20 Prozent. Es folgen Textil-, Metall-, Pharma-, Lebensmittel-, Bau-, Elektro-, Papier-, Automobil- sowie Holz- und Möbelindustrie. An die Landwirtschaft gehen 4,3 Prozent, in kommunale Dienstleistungen, wie beispielsweise die Wasserwirtschaft, gehen rund 14 Prozent.
Regionale Cluster
Geographisch ist die italienische Chemieindustrie auf Norditalien konzentriert. Dort arbeiten 78 Prozent aller Beschäftigten der Branche. Rund ein Drittel der Branchenfirmen und 42 Prozent der Beschäftigten sind in der Region Lombardei angesiedelt, wo laut Branchenkennern ein besonders gutes Netzwerk aus Unternehmen, Instituten und Dienstleistern besteht. Gemessen an der Anzahl der Erwerbstätigen und der Zahl der Unternehmen ist die Lombardei nach Nordrhein-Westfalen, Bayern und Rheinland-Pfalz und Ile de France die fünftwichtigste Region der Chemiebranche in Europa. Weitere Branchencluster bestehen in den Regionen Emilia-Romagna (13 Prozent der Angestellten und 12 Prozent des Umsatzes, insbesondere bei Ravenna), im Piemont (10 Prozent der Angestellten und 10 Prozent des Umsatzes, Alessandrai) und in Venetien (10 Prozent der Angestellten und 8 Prozent des Umsatzes, Porto Marghera). Chemiecluster existieren zudem in Sizilien (Ragusa, Sicracusa), Sardinien (Porto Torres), Toscana (Rosignano), Umbrien (Terni) und Apulien (Taranto).
Sparte | 2019 | 2020 | Veränderung 2020/19 |
---|---|---|---|
Industriegase | 839 | 850 | 1,3 |
Farbstoffe und Pigmente | 920 | 1.019 | 10,8 |
Andere anorganische Basischemikalien | 1.413 | 1.586 | 12,2 |
Düngemittel und Stickstoffverbindungen | 917 | 758 | -17,3 |
Kunststoffe in Primärformen | 6.897 | 7.637 | 10,7 |
Pflanzenschutzmittel und andere chemische Produkte für die | 530 | 740 | 39,6 |
Farben, Lacke, Druckfarben | 3.130 | 5.039 | 61,0 |
Waschmittel, Reinigungs- und Poliermittel | 1.898 | 2.600 | 37,0 |
Parfüms, Kosmetik und Seifen | 3.574 | 4.301 | 20,3 |
Synthetische und künstliche Fasern | 801 | 556 | -30,6 |
Deutsche Firmen vor Ort
Deutsche Branchenunternehmen sind in Italien gut vertreten und die großen Chemiekonzerne unterhalten seit Jahrzehnten lokale Niederlassungen. BASF hat in Italien beispielsweise 13 Standorte, davon sechs Produktionen, unter anderem in in der Lombardei (Vorstoffe für Hygiene- und Pflegeprodukte in Fino Marnasco, Chemikalien für die Metall-, Glas- und Kunstoffbehandlung in Giussano, Chemikalien für die Schuhproduktion in Zingonia), im Piemont (Poliuretane in Villanova D'Asti), in der Emilia-Romagna (Zusatzstoffe für Plastik in Pontecchio Marconi bei Bologna) und im Latium (Katalysatoren in Rom). Auch Bayer betreibt in Italien zwei Produktionsanlagen, eine Arzneimittelproduktion in Garbagnate bei Mailand und eine für Agrarchemikalien in Filago bei Bergamo.
Unternehmen | Sparte | Umsatz weltweit | Umsatz in Italien |
---|---|---|---|
Grundchemie und Zwischenprodukte, Kunststoffe, Kautschuke | 3.381 | 2.545 | |
Gruppo Mapei | Bauchemische Produkte für die Verlegung von Wand- und Bodenbelägen | 2.772 | 837 |
Pharmazie, Diagnostik | 1.199 | 656 | |
Polyamid, Kunstfasern und Kunststoffe | 1.019 | 621 | |
Technische, industrielle, reine und spezielle Gase und Arzneimittel | 974 | 420 | |
Polyol, Polyurethane, Polyester und Spezialstoffe für Coating | 780 | 399 | |
Industrielle Gase, technologische Verfahren, Gesundheitswesen | 692 | 507 | |
Alkid, Heilend, Latex, Polyester, Säuren, Weichmacher usw. | 671 | 488 | |
Medizinische Gase | 629 | 532 | |
Kosmetik | 604 | 355 |
Italienische und deutsche Firmen sind oft eher Partner in einer gemeinsamen Lieferkette als dass sie direkte Konkurrenten wären. Italienische Firmen sind häufig stark spezialisiert, produzieren aber weniger Grundchemikalien.