Wirtschaftsausblick | Jordanien
Vom Puffer- zum Frontstaat
Der Gaza-Krieg stellt Jordaniens Geschäftsmodell in Frage. Wenn es zum Bruch mit Israel kommt, werden neue Partner benötigt.
18.01.2024
Von Detlef Gürtler | Berlin
Top-Thema: Vor einem Bruch mit Israel
Mit dem Ausbruch des Krieges in Gaza hat sich das Verhältnis zwischen Israel und Jordanien drastisch verändert. Seit dem Friedensvertrag mit Israel im Jahr 1994 bestand ein nicht immer spannungsfreies, aber relativ stabiles Verhältnis zwischen beiden Staaten. Doch seit Oktober 2023 besteht die Gefahr, dass der Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas auch das direkt an Jordanien angrenzende Westjordanland erreicht. Es ist von Israel besetzt und wird von den Palästinensern als Teil ihres künftigen Staats beansprucht.
Jordanien befürchtet, dass zumindest Teile der israelischen Regierung auch die Vertreibung der fast drei Millionen Palästinenser aus dem Westjordanland nach Jordanien planen. Auch der Status des jordanischen Königs König Abdullah II. als Hüter der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem wurde öffentlich in Frage gestellt. Sie ist eines der wichtigsten Heiligtümer in der islamischen Welt.
Die Gefährdung des politischen und religiösen Status Quo hat auch wirtschaftliche Folgen. Direkt betroffen ist ein 2021 mit Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) vereinbartes Wasser-Energie-Projekt: VAE-Solarstrom sollte israelische Entsalzungsanlagen antreiben, die dafür Wasser nach Jordanien liefern sollten. Jordanien hat die finale Unterzeichnung des Vertragswerks erst einmal abgesagt - ob nur verschoben oder endgültig gestoppt, muss sich noch zeigen.
Auch jenseits dieses Projekts sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Jordanien und Israel eng - und jetzt gefährdet. Insbesondere bei der Wasser- und Energieversorgung ist Jordanien stark von Israel abhängig, Alternativen dazu müssten erst aufgebaut werden. Möglich wäre dies durch den Ausbau erneuerbarer Energien, die israelisches Gas ersetzen könnten, sowie durch eigene Entsalzungskapazitäten.
Wirtschaftsentwicklung: Wachstum unter Vorbehalt
Die jüngsten Wirtschaftsprognosen berücksichtigen den Gaza-Krieg noch kaum. Im vor Kriegsbeginn erstellten "World Economic Outlook" des Internationalen Währungsfonds (IWF) werden Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zwischen real 2,5 und 2,7 Prozent pro Jahr erwartet. Die im November 2023 aktualisierte Prognose der Economist Intelligence Unit (EIU) reduziert die BIP-Wachstumserwartungen auf gut 2 Prozent pro Jahr, warnt aber vor "signifikanten Auswirkungen" auf Jordanien im Fall einer Ausweitung des Krieges.
Selbst wenn sich das Verhältnis zu Israel nach Ende des Krieges wieder verbessern sollte, dürfte Jordanien seine Beziehungen zu anderen Nachbarstaaten intensivieren - allen voran Saudi-Arabien. Dort hat sich die Entwicklungsdynamik stark nach Nordwesten entlang der Rotmeerküste verlagert, und damit in unmittelbare Nachbarschaft zu Akaba, Jordaniens einziger Hafenstadt. Aber auch ein Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu Syrien und Irak kann auf die Tagesordnung kommen.
Die wirtschaftliche Integration in eine innerarabische Arbeitsteilung steht zwar noch ganz am Anfang. Sie kann sich aber für Jordanien zu einem neuen Geschäftsmodell entwickeln, das das bisherige Modell eines von internationalen Transferzahlungen abhängigen Pufferstaats ergänzen oder gar ersetzen kann.
Investitionen: Wachstumsfeld erneuerbare Energien
Die Attraktivität Jordaniens für Investoren hat zuletzt deutlich zugenommen: Lagen nach Angaben der EIU-Experten die Zuflüsse an ausländischen Direktinvestitionen im Jahr 2021 noch bei 600 Millionen US-Dollar (US$), wird für 2023 ein Anstieg auf 1,4 Milliarden US$ geschätzt, und bis 2025 eine weitere Zunahme auf 2,3 Milliarden US$.
Wichtige Wachstumsfelder sind hierbei der Kali- und Phosphatabbau am Toten Meer sowie die Energie- und die Touristikbranche. Insbesondere bei einer Abkopplung von israelischen Gaslieferungen ist mit einer starken Zunahme der Solarstromkapazitäten zu rechnen.
Der Tourismus spielt für die Wirtschaft Jordaniens eine bedeutende Rolle, da er zum Ausgleich der stets stark defizitären Handelsbilanz beiträgt. Das 4. Quartal 2023 verzeichnete allerdings kriegsbedingt Rückgänge von 40 bis 70 Prozent bei Besuchen und Übernachtungen sowie den praktisch kompletten Einbruch des Kreuzfahrt-Tourismus.
Außenhandel: Reduziertes Defizit
Insbesondere durch das starke Wachstum des Tourismus hatte sich das Außenhandelsdefizit Jordaniens zuletzt verringert. Deckten die Exporte noch 2020 nur 56,5 Prozent der Importe, waren es 2022 bereits 68,1 Prozent. Die wichtigsten Exportgüter sind Düngemittel sowie Textilien. Bei den Importen liegen Nahrungsmittel vorn.
Auch im Außenhandel mit Deutschland ist die jordanische Position zuletzt stärker geworden, wenn auch von sehr niedrigem Niveau aus. Zwar erreichten die deutschen Warenimporte aus Jordanien im Jahr 2022 nur 11,3 Prozent der Exporte dorthin - aber noch 2020 lag dieser Wert bei 4,9 Prozent. Innerhalb von zwei Jahren konnten die Einfuhren aus Jordanien verdreifacht werden, hauptsächlich getragen von Textilien und Schmuck.
Deutsche Perspektive: Pionierstaat für Fachkräftemigration
Bei einer Umorientierung Jordaniens hin zu arabischen Nachbarn müsste das Königreich sich auf die Stärkung eigener produktiver Potenziale fokussieren. Daraus können sich für deutsche Unternehmen Chancen in den Bereichen Infrastruktur, Energie und Investitionsgüter ergeben. Darüber hinaus rückt auch der Export von Fachkräften ins Blickfeld.
Für viele jordanische Familien sind Überweisungen im Ausland arbeitender Angehöriger eine wesentliche Einnahmequelle. Im Jahr 2022 machten solche Transfers gemäß IWF 3,1 Milliarden US$ aus, mehr als 6 Prozent des BIP. Eine steigende Zahl von Projekten und Unternehmen versucht, jordanische Beschäftigte als Fachkräfte für Deutschland zu gewinnen. Ein Ende 2023 in Amman eröffnetes deutsch-jordanisches "Zentrum für Arbeitsmobilität" verstärkt diesen Trend - und könnte sogar ein Pionierprojekt für außereuropäische Fachkräftegewinnung werden.
Weitere Informationen zu Jordanien finden Sie auf unserer GTAI-Länderseite