Wirtschaftsausblick | Lettland
Besserung in Sicht
Hohe Inflation und eine schwächelnde Auslandsnachfrage trüben die Stimmung der lettischen Wirtschaft. EU-Fördermittel und steigende Reallöhne könnten das Blatt zeitnah wenden.
23.12.2022
Von Niklas Becker | Helsinki
Wirtschaftsentwicklung: Zweite Jahreshälfte macht Hoffnung
Lettlands Wirtschaft wird im Gesamtjahr 2023 - vor allem dank der zu erwartenden positiven Entwicklungen in der zweiten Jahreshälfte - nach Einschätzungen der Europäischen Kommission real um 1,4 Prozent wachsen. Damit würde das Wachstum kräftiger ausfallen als in den Nachbarländern Estland (- 0,4 Prozent) und Litauen (+ 0,5 Prozent). Das lettische Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird den Prognosen zufolge auch stärker wachsen als der EU-Durchschnitt (+ 1,0 Prozent).
Wachstumstreiber dürfte vor allem der Privatkonsum werden. Der schrittweise Rückgang der Inflation wird sich in der zweiten Jahreshälfte 2023 positiv auf die Kaufkraft der Haushalte auswirken. Unterstützt wird das lettische Wachstum zudem durch einen stärkeren Einsatz von EU-Fördermitteln. Nach Einschätzung der Swedbank besteht jedoch ein Risiko, dass sich dieser weiter verzögert.
Mit einem Anstieg der Verbraucherpreise um 17,2 Prozent registrierte Lettland 2022 nach Estland und Litauen die dritthöchste Inflation innerhalb der EU. Den Höhepunkt erreichte die Teuerung im September 2022 mit einem Anstieg um 22 Prozent. Seitdem ist ein Rückgang bei den Preissteigerungen zu verzeichnen. Im Mai 2023 meldete Lettland einen Inflationsanstieg um 12,3 Prozent. Für das Gesamtjahr 2023 prognostiziert die Europäische Kommission 9,3 Prozent.
Indikator | 2021 | 2022 | Vergleichsdaten Deutschland 2022 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. Euro) | 33,6 | 39,1 | 3.869,9 |
BIP pro Kopf (Euro) | 17.850 | 20.710 | 46.182 |
Bevölkerung (Mio.) | 1,9 | 1,9 | 83,4 |
Investitionen: Baubranche auf Erholungskurs
Lettlands Investitionen nehmen wieder an Fahrt auf. Nachdem das Land 2022 noch einen geringen realen Anstieg der Bruttoanlageinvestitionen um 0,7 Prozent verzeichnete, prognostiziert die Europäische Kommission für 2023 einen Zuwachs um 1,7 und für 2024 um 4 Prozent. Im 1. Quartal 2023 legten die Investitionen im Jahresvergleich bereits um 8,2 Prozent zu. Entscheidend hierfür war eine Erholung bei den Bauinvestitionen. Hier wurde zwischen Januar und März 2023 mit 17,2 Prozent erstmals seit dem 1. Quartal 2020 wieder ein realer Anstieg im Jahresvergleich verzeichnet. Dies ist vor allem auf die positive Entwicklung bei den Nichtwohnbauten zurückzuführen.
Für das Gesamtjahr 2023 wird der Zuwachs der Bauinvestitionen mit 1 Prozent laut Europäischer Kommission jedoch verhaltener ausfallen. Ein deutlicheres Wachstum erwarten die Experten hingegen bei den Ausrüstungsinvestitionen (+ 2 Prozent). Positive Impulse für die lettischen Investitionen in den kommenden Jahren werden die europäischen Fördermittel liefern. Zwischen 2021 und 2027 erhält das baltische Land 4,2 Milliarden Euro aus dem EU-Kohäsionsfonds. Pro Jahr entspricht das 1,4 Prozent des BIP.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mio. Euro) | Projektstand | Projektträger |
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Bahnlinie "Rail Baltica" Estland-Lettland-Litauen | 7.000 | Im Bau; weitere Ausschreibungen laufen | |
Gemeinsamer Offshore-Windpark mit Estland "Elwind" | 1.000 | Planung | |
Onshore-Windparks mit einer Gesamtleistung von 800 MW | 900 | Planung | SIA „Latvijas vēja parki“ (Joint Venture von Latvenergo und Latvijas valsts meži) |
Kombikraftwerk im Torf-Abbau-Gebiet | 300 | Im Bau | |
Bau eines Gefängnisses in Liepāja | 125 | Planung | Tiesu namu aģentūra |
Entwicklung der Rigaer Straßenbahninfrastruktur | 124 | Planung | Rīgas satiksme |
Schaffung eines Kultur- und Sportviertels in der Nähe von Grīziņkalns | 88 | Im Bau | Latvijas Nacionālais sporta centrs |
Ladestationen für E-Autos | 5 | Umsetzung | |
Ausbau der Malzproduktion | 4 | Planung | Latmalt Tochtergesellschaft der landwirtschaftlichen Genossenschaft Latraps |
Öffentliche Ausschreibungen veröffentlicht das zuständige staatliche Büro IUB (Iepirkumu uzraudzibas birojs) auf seiner Homepage in lettischer Sprache.
Informationen zu EU-Binnenmarktausschreibungen bietet GTAI auf ihrer Internetseite an.
Konsum: Reallohnwachstum erwartet
Die Stimmung unter den lettischen Verbrauchern lag zum Jahreswechsel 2022/2023 auf einem historischen Tiefpunkt. Grund hierfür sind unter anderem die hohen Verbraucherpreise und Energiekosten. Im Frühjahr 2023 hat sich die Lage etwas verbessert. Der von Lettlands Statistikamt veröffentlichte Vertrauensindikator lag im Mai 2023 allerdings weiterhin im negativen Bereich. In der zweiten Jahreshälfte 2023 dürfte sich die Stimmung weiter aufhellen, da eine deutliche Verbesserung der Kaufkraft der lettischen Bevölkerung erwartet wird.
Die Swedbank erwartet, dass die Löhne im Land dann auch wieder schneller steigen als die Inflation. Das wird den Privatkonsum stimulieren. Der Lohndruck wird aufgrund des zunehmenden Arbeitskräftemangels im Land mittelfristig weiter anhalten. Die Europäische Kommission warnt, dass die lettischen Lohnerhöhungen durch Produktivitätssteigerungen ausgeglichen werden müssen. Ansonsten drohe ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit.
Außenhandel: Warenexport schwächelt
Lettlands Exporte werden in naher Zukunft nicht mehr so deutlich wachsen wie in der jüngeren Vergangenheit. Grund hierfür ist die nachlassende Auslandsnachfrage, besonders im Bausektor. Die negativen Auswirkungen der abgekühlten Wirtschaftslage sind bereits bei den Exporten im 1. Quartal 2023 sichtbar. Diese lagen preisbereinigt 0,5 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Eine Belebung der lettischen Ausfuhren wird eintreten, sobald die Inflation in den anderen EU-Ländern zurückgeht und so die Auslandsnachfrage wieder angekurbelt wird. Dies dürfte noch im Jahresverlauf 2023 geschehen. Die Europäische Kommission erwartet daher für das Gesamtjahr 2023 einen realen Zuwachs der lettischen Exporte um 2,4 Prozent.
Für die Importe wird zwar ein kleineres Wachstum um 1,5 Prozent prognostiziert. Der höhere Anstieg der Ausfuhren - um 0,9 Prozentpunkte - wird jedoch nicht ausreichen, um den negativen lettischen Außenbeitrag zu kompensieren. Dieser lag 2021 und 2022 deutlich im negativen Bereich. Zurückzuführen ist das auf einen negativen Außenbeitrag beim Warenhandel. Beim Dienstleistungshandel erwirtschaftet das baltische Land seit Jahren einen kräftigen Überschuss.
2021 | 2022 | Veränderung 2022/2021 | |
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Importe | 18.969 | 24.967 | 31,6 |
Exporte | 16.194 | 20.491 | 26,5 |