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Baltische Einzelhändler mit gemischten Gefühlen

Lebensmitteleinzelhändler in Estland, Lettland und Litauen erleben schwierige Zeiten. Doch es gibt Anlass zum Optimismus. Davon könnten auch deutsche Firmen profitieren. 

Von Niklas Becker | Helsinki

Lebensmitteleinzelhändler in Estland, Lettland und Litauen bekommen die derzeit schwierige wirtschaftliche Situation zu spüren. Das zeigt eine von der Europäischen Kommission veröffentlichte Unternehmensumfrage. Mit einem Wert von 4 lag der Vertrauensindex der Lebensmitteleinzelhändler im April 2024 lediglich in Lettland im positiven Bereich. Ein positiver Index bedeutet, dass mehr Unternehmen die aktuelle Lage eher "gut" und nicht als "schlecht" bewerten. In Litauen (minus 1) und Estland (minus 8) lag der Index hingegen im negativen Bereich. 

Grund für die gedrückte Stimmung unter den baltischen Einzelhändlern sind die Umsatzentwicklungen der Branche. In allen drei Ländern wurde 2023 ein preisbereinigter Rückgang der Umsätze des Lebensmitteleinzelhandels verzeichnet. Sie fielen stärker aus als im EU-Durchschnitt. Auch in den ersten vier Monaten 2024 läuft das Geschäft im Baltikum alles andere als prächtig für die Unternehmen. 

Höchste Inflation im EU-Vergleich

Die deutlichen Anstiege der estnischen, lettischen und litauischen Verbraucherpreise haben sich negativ auf die Konsumausgaben der Haushalte ausgewirkt. Im Jahr 2022 verzeichneten Estland, Lettland und Litauen die höchsten Zuwächse der Verbraucherpreise im EU-Durchschnitt. Und auch 2023 wuchsen die Preise in den drei Ländern kräftiger als im EU-Durchschnitt. Vor allem die Energiekosten sind in den Regionen seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine deutlich gestiegen. Die Verbraucher mussten die Mehrausgaben deshalb an anderer Stelle einsparen. Die Preisentwicklungen haben dazu geführt, dass die Lebensmittelpreise in Estland und Lettland 2023 über dem EU-Durchschnitt lagen. 

Alles eine Frage des Preises

Baltische Konsumenten sind aufgrund der hohen Inflationen in den letzten Jahren sehr preissensibel geworden. Angebote spielen beim Lebensmitteleinkauf eine immer größere Rolle. So lag beispielsweise der Anteil von Angebotsprodukten im durchschnittlichen Einkaufswagen beim estnischen Einzelhändler Selver 2021 bei etwa 35 Prozent. Im Dezember 2023 waren es schon 55 Prozent. Zudem erledigen estnische Verbraucher ihren Wocheneinkauf immer häufiger in verschiedenen Läden, um die Produkte zu den jeweils günstigsten Preisen zu kaufen. Gewohnte Marken werden immer häufiger gegen günstigere eingetauscht. 

Ein ähnliches Bild ergibt sich in Litauen. So gaben bei einer 2023 von Lidl durchgeführten Umfrage mehr als 80 Prozent der befragten litauischen Verbraucher an, dass der Preis ein wichtiger Faktor für ihre Kaufentscheidung ist. Für 66 Prozent der Befragten spielt zudem die Zusammensetzung des Produkts eine wichtige Rolle. Jeder dritte Kunde schaut zudem auf die Herkunft des Produkts und für jeden fünften ist der Markenname ein wichtiges Kriterium bei der Kaufentscheidung.

Kaufkraft wächst wieder

Es gibt aber auch gute Nachrichten. In allen drei Ländern werden die Reallöhne und damit die Kaufkraft der Haushalte 2024 wieder steigen. Für Litauen erwartet die Swedbank 2024 einen Zuwachs der Reallöhne um mehr als 8 Prozent, der deutlichste Zuwachs seit fünf Jahren. Das hellt die Stimmung unter den litauischen Verbrauchern merklich auf. Sie bewerten ihre aktuelle finanzielle Situation im Mai 2024 als gut und erwarten für die kommenden zwölf Monate eine weitere Verbesserung ihrer eigenen Lage. Sie planen daher auch größere Anschaffungen. 

Für Lettland und Estland prognostiziert die Swedbank reale Lohnanstiege um 6,5 beziehungsweise 3,8 Prozent. Dass die Reallöhne in Estland weniger stark wachsen als in den anderen beiden Ländern liegt an der für 2024 prognostizierten höheren Inflation. In Litauen werden die Verbraucherpreise 2024 laut Swedbank um 1 Prozent, in Lettland um 1,5 Prozent und in Estland um 3,5 Prozent zulegen. 

Auch deutsche Lebensmittel stehen in den baltischen Regalen

Für deutsche Nahrungsmittelexporteure sind die drei baltischen Staaten keine einfachen Absatzmärkte. Zum einen sind es drei vergleichsweise kleine Länder. Zum anderen gibt es im Lebensmittelbereich eine große lokale Konkurrenz. Die stark wachsenden Lebensmittelpreise in den drei Ländern verbessern jedoch die Aussichten für deutsche Unternehmen, da ihre Produkte auch preislich wettbewerbsfähiger werden. 

Handelszahlen von Eurostat zeigen, dass deutsche Unternehmen bereits eine große Bandbreite von Lebensmitteln in die drei baltischen Staaten exportieren. 2023 waren es Produkte im Wert von insgesamt mehr als 600 Millionen Euro. Im Vergleich zu 2021 ist das ein nominaler Zuwachs um 54 Prozent. Da die Exportzahlen nicht preisbereinigt veröffentlicht werden, kann so ein Vergleich vor dem Hintergrund der deutlichen Preissteigerungen 2022 und 2023 jedoch nur als Tendenz und nicht als statistische Größe betrachtet werden. 

Die Ausfuhrzahlen nach Gewicht bestätigen jedoch, dass die deutschen Lebensmittelexporte in die baltischen Staaten tatsächlich gestiegen sind und kein reiner Preiseffekt vorliegt. Wie Detailzahlen zeigen, exportiert Deutschland nach Estland vor allem zubereitete Lebensmittel, nach Lettland Gemüse und Früchte. Bei den deutschen Exporten nach Litauen stellen Milch und Milcherzeugnisse die wichtigste Produktgruppe.  

Bereits erfolgreich auf den baltischen Märkten etabliert ist der deutsche Einzelhändler Lidl. Besonders in Lettland war der Markteintritt von Lidl aus lokaler Verbrauchersicht ein großer Erfolg. Denn vor diesem gab es ein Duopol im lettischen Lebensmitteleinzelhandel. Die beiden Unternehmen Maxima und Rimi dominierten die Branche. Der Markteintritt von Lidl hat den Wettbewerb merklich erhöht. 

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