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Ostseeanrainer setzen sich ambitionierte Offshore-Ziele
Der Ostseeraum hat großes Potenzial für Offshore-Windenergie. Bisher wird dieses wenig ausgeschöpft. Die Anrainerstaaten wollen das nun ändern.
29.04.2024
Von Niklas Becker | Helsinki
Im April 2024 haben sich die Energieministerien von Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen und Schweden in Vilnius getroffen, um über die Möglichkeiten der Offshore-Windenergie in der Ostsee zu beraten. Ergebnis dieses Treffens ist die sogenannte "Vilnius Declaration on Offshore Wind Development in the Baltic Sea". In dieser Erklärung erkennen die acht Staaten den allerersten Offshore-Netzentwicklungsplan (ONDP) an, den der Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (Entso-E) im Januar 2024 veröffentlicht hat.
Interessant dabei: Laut ONDP werden sich die Offshore-Kapazitäten im EU-Ostseeraum 2030 auf 26,7 Gigawatt belaufen. Im Jahr 2040 sollen es fast 45 Gigawatt und 2050 rund 70 Gigawatt sein. Damit setzen die Unterzeichner mit der Vilnius Declaration ambitioniertere Ziele. Denn in der 2022 verabschiedeten sogenannten Marienborg Declaration beziffern die acht Staaten die geplante Offshore-Kapazität im Jahr 2030 noch auf 19,6 Gigawatt. Aktuell sind Windparks mit einer Gesamtkapazität von knapp 3 Gigawatt in der Ostsee installiert.
Übertragungsnetzbetreiber sollen aktiver werden
Um die Ziele zu erreichen, wollen die acht Staaten die Bereitstellung der erforderlichen Infrastruktur sowie des nötigen Rechtsrahmens beschleunigen. Sie wollen die Entwicklung von neuen Projekten und Hubs unterstützen, die die Offshore-Windparks in der Ostsee miteinander verbinden. Dazu nehmen die Länder die nationalen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) stärker in die Pflicht: Die Offshore-Netzplanung müsse durch eine engere Zusammenarbeit der betreffenden Betreiber erfolgen, heißt es in der Willenserklärung. Zudem ermutige man die ÜNB, Möglichkeiten für weitere multinationale Offshore-Projekte zu analysieren. Laut Europäischer Kommission beläuft sich das Gesamtpotenzial für Offshore-Windkraftanlagen in der Ostsee auf 93,5 Gigawatt.
Deutsche Erfahrung gefragt
Der Ausbau der Offshore-Windenergie in der Ostsee hat in den letzten Jahren merklich an Fahrt aufgenommen. In der jüngeren Vergangenheit fand eine Reihe von Auktionen für die Vergabe von Seegebieten zur Errichtung von Windparks statt. Übrigens: Besonders in den drei baltischen Staaten arbeiten lokale Windenergieentwickler oft mit erfahrenen Partnern aus dem Ausland zusammen.
Eine Mammutaufgabe wird der Anschluss der neuen Windparks an die nationalen Stromnetze. Das ist interessant für deutsche Unternehmen, denn per Unterseekabel könnte Deutschland direkt mit den Offshore-Windparks anderer Ostseestaaten verbunden werden. Ein erstes Projekt gibt es bereits in Estland. Der sogenannte Baltic WindConnector soll die estnischen Windfarmen im Meer direkt mit dem deutschen Festland verbinden und so den Export von grünem estnischen Strom in die Bundesrepublik ermöglichen. Auf deutscher Seite wird das Projekt von Übertragungsnetzbetreiber 50hertz betreut. Geplant ist eine 750 Kilometer lange Leitung mit einer Kapazität von 2 Gigawatt.
Auch Litauen könnte Strom liefern
Eine ähnliche Idee gibt es auch für ein deutsch-litauisches Unterseekabel. Damit wäre auch Litauen direkt an das deutsche Stromnetz angeschlossen. Dieses Projekt ist jedoch noch in einem sehr frühen Stadium. Die Ostseeanrainer kommen aber nicht nur als Stromlieferanten infrage. Der überschüssige Strom der Region könnte auch für die Herstellung von Wasserstoff genutzt werden, der per Pipelines nach Deutschland exportiert wird, zum Beispiel aus Finnland.
Besonders die baltischen Staaten müssen aber zunächst die eigenen Energieerzeugungskapazitäten massiv ausbauen, bevor sie Energie exportieren können. Anders sieht es in Finnland aus: Das nordische Land dürfte 2024 auf das Gesamtjahr betrachtet erstmals stromautark werden. Dank einer Reihe von neuen Windenergieprojekten - auch in der finnischen Ostsee - wird das Land zeitnah mehr Strom erzeugen, als es für den heimischen Bedarf braucht.