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Eisenbahnsektor bleibt auf Kurs
Das Königreich setzt den Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes fort. In Zukunft soll lokal mehr gefertigt und gewartet werden.
21.06.2022
Von Michael Sauermost | Casablanca
Die Weichen für Marokkos ambitionierte Eisenbahnpläne bleiben gestellt. Im Rahmen des Plan Rail Maroc sollen bis 2040 rund 1.300 Kilometer an Hochgeschwindigkeitsstrecken entstehen. Zuletzt erörterte der Transportminister Mohammed Abdeljalil die Pläne Ende April 2022 im Parlament. Bisher hat das nordafrikanische Land zwischen Tanger und Casablanca eine Hochgeschwindigkeitsstrecke mit einer Länge von 323 Kilometern.
Der Plan sieht jedoch auch den Bau neuer, konventioneller Strecken mit einer Gesamtlänge von 3.800 Kilometern vor. Die Anzahl der an das Eisenbahnnetz angeschlossenen Städte soll mit dem Ausbau von 23 auf 43 erhöht werden. Das Betreiberunternehmen Office National des Chemins de Fer (ONCF) will die lokale Produktion und Wartung deutlich ausbauen.
Die Zahl der von ONCF beförderten Passagiere erreichte 2021 rund 34,4 Millionen Menschen. Im Jahr zuvor, das stark von Coronarestriktionen geprägt war, lösten lediglich 21,1 Millionen Passagiere ein Ticket. Der Umsatz des Unternehmens stieg auf 150 Millionen US-Dollar (US$). Dabei entfiel ein Fünftel auf den Hochgeschwindigkeitsverkehr. Im Güterverkehr erzielte das Eisenbahnunternehmen Erlöse von 180 Millionen US$.
Zweikampf um die TGV-Verbindung Casablanca - Agadir
Etwa 75 Milliarden Dirham (7,1 Milliarden Euro) soll der bevorstehende Bau der TGV-Strecke von Casablanca nach Agadir kosten. "Innovative Finanzierungslösungen" seien dafür erforderlich, konstatiert das Ministère du Transport et de la Logistique. Aufgeteilt ist das Projekt in zwei große Streckenabschnitte. Der eine soll Marrakesch mit Agadir verbinden. Das zweite Vorhaben zielt darauf ab, die Strecke Tanger-Kenitra-Casablanca nach Marrakesch zu verlängern.
Allein wird die Regierung die Kosten nicht stemmen können. Daher wird über verschiedene PPP-Modelle (Public-Private-Partnership) diskutiert. Die bestehende Strecke zwischen Tanger und Casablanca wurde zur Hälfte von Frankreich mitfinanziert. Weitere Gelder kamen zu mehr als einem Viertel aus Marokko sowie einem Fünftel aus Saudi-Arabien, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das französische Unternehmen Alstom hatte die Züge geliefert. Andere französische Unternehmen lieferten Technik und Dienstleistungen. Darunter waren Colas Rail (Gleisbau), Egelec, Engie Ineo und die französische Tochter der italienischen Ansaldo (Signaltechnik).
Daher werden französischen Unternehmen auch für den Ausbau des TGV-Netzes gute Chancen eingeräumt. Allerdings will auch die chinesische Unternehmensgruppe Zhong Neng Xuan Zong Industrial bei dem Hochgeschwindigkeitsprojekt eine Rolle spielen. Lokaler Partner ist die Eco Group Holding. In ihrer Absichtserklärung verweist die Gruppe auf das Know-how im Reich der Mitte durch die China Railway Group, die China Railway Construction Group und die China Academy of Railway Science Corporation.
Allerdings dürften bei dem Zweikampf letztendlich Finanzierungslösungen den Ausschlag geben. An die Absichtserklärung für die Strecke Tanger-Rabat aus dem Jahr 2007 (Einweihung 2018) waren sehr vorteilhafte Finanzierungsbedingungen für Marokko angeheftet. Sollte also die französische Regierung erneut eine attraktive Finanzierung anbieten können, dürften französische Unternehmen gute Chancen für Aufträge haben.
Projekt kommt langsam ins Rollen
Die Vorbereitungen laufen: Bereits im Jahr 2020 wurde die Enteignung von Grundstücken in Agadir sichergestellt, wo der TGV-Bahnhof errichtet werden soll. Im März 2021 wurde die internationale Ausschreibung für Studien zur Infrastruktur, zum Bauingenieurwesen, der Eisenbahnausrüstung und des Betriebssystems für die Hochgeschwindigkeitsstrecke abgeschlossen.
Dabei ging es um die drei Abschnitte: Kenitra nach Ain Sebaa, Ain Sebaa nach Nouaceur (Casa Airport) sowie Nouaceur nach Marrakesch. Den Zuschlag erhielten marokkanische Firmen, die mit ausländischen Partnern kooperieren. Letztere kamen bei den ersten beiden Abschnitten aus Frankreich. Beim Abschnitt von Nouaceur nach Marrakesch war ein koreanisches Unternehmen mit an Bord. Dabei handelt es sich um die für die koreanische Staatsbahn zuständige Gruppe KNR (Korean National Railway). Für KNR ist dies der erste Auftrag auf dem afrikanischen Kontinent.
Neuer lokaler Industriezweig entsteht
Angesichts der aktuellen Pläne wird Marokko auch in Zukunft ein lukrativer Markt für die Zulieferindustrie bleiben. Dabei wird voraussichtlich auch die Inlandsfertigung von Teilen und Komponenten eine steigende Rolle spielen. Hier könnten sich Kooperationschancen ergeben.
Die staatliche ONCF weist auf die hohe Integrationsrate bei den bisherigen Eisenbahnprojekten hin. 80 bis 90 Prozent der Ingenieurarbeiten seien von lokalen Firmen erbracht worden. Das wachsende marokkanische Know-how soll auch dazu beitragen, die Branche zu einem wichtigen Industriesektor auszubauen.
Daran arbeitet auch die SCIF (Société Chérifienne de Matériel Industriel et Ferroviaire). Im Jahr 2016 wurde die Morrocan Railway Industry Group (GIFER; Groupement des Industries Ferroviaires) ins Leben gerufen. Neben dem eigentlichen Eisenbahngeschäft sollen Nischenbereiche wie Klimaanlagen, Verglasungen oder der Innenausbau in das Fertigungsportfolio marokkanischer Firmen aufgenommen werden.
Das Unternehmen Alstom Maroc weitet derzeit seine Aktivitäten im Königreich aus. In Fès entsteht eine neue Fabrik für Verkabelungen und Bordtransformatoren. Dabei geht es um die Ausstattung von internationalen Bahn- und U-Bahnprojekten. Bislang beschäftigt Alstom in Fès rund 400 Mitarbeiter. Bis 2023 sollen etwa 350 neue Stellen hinzukommen.
Auch Wartung steht im Fokus
Das Wartungsgeschäft gilt als außerordentlich lukrativ. Dieses Geschäftsfeld soll zukünftig stärker vor Ort abgedeckt werden. So ist ONCF dabei, eine neue Werkstatt für Rollmaterial zu errichten. Im Jahr 2023 soll diese in der nördlich von Casablanca entstehenden Zenata Eco-cité betriebsbereit sein. Lokomotiven, Waggons, selbstfahrende Züge, Achsen und Drehgestelle könnten unter anderem dort gewartet werden.