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Special | EU-Beitrittskandidaten

Perspektive EU-Beitritt: Kandidatenländer hoffen auf Wachstum

Die Aussicht auf einen EU-Beitritt weckt in Kandidatenländern Hoffnung auf mehr Wirtschaftswachstum. Schon jetzt ist die Union für die Beitrittskandidaten ein wichtiger Partner.

Von Dominik Vorhölter, Martin Gaber | Chisinau, Belgrad

In der Nachbarschaft der EU streben weitere Länder eine Mitgliedschaft in der Gemeinschaft an. So sind die Westbalkanstaaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien sowie die Republik Moldau, die Ukraine und die Türkei Beitrittskandidaten. Kosovo und Georgien haben im Jahr 2022 einen Antrag auf Beitritt zur EU gestellt und sind potenzielle Kandidaten. Alle genannten Länder befinden sich jeweils in unterschiedlichen Stadien auf ihrem Weg zu einer EU-Mitgliedschaft. Bosnien und Herzegowina ist dabei der jüngste Beitrittskandidat.

EU weckt Hoffnung auf mehr Handel

Die EU ist schon heute der wichtigste Handelspartner für die Länder des westlichen Balkans, also Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien. Diese wickeln zwischen 65 und 70 Prozent ihres Außenhandels mit der Union ab. Besonders Deutschland spielt dabei eine herausragende Rolle und ist Handelspartner Nummer 1.

Von einer Mitgliedschaft in der Union versprechen sich die Länder eine stärkere Einbindung in die Lieferketten von EU-Betrieben. Immerhin ist der Westbalkan ein attraktiver Beschaffungsmarkt, der sich durch eine günstige geografische Lage, eine solide industrielle Basis und wettbewerbsfähige Kostenstrukturen auszeichnet. Dank Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, die die Länder mit der EU geschlossen haben, ist der Handel für die meisten Waren schon jetzt zollfrei. Eine EU-Mitgliedschaft würde für weiteren Schwung sorgen: Durch eine Angleichung von Normen und weniger administrative Hindernisse wäre der Westbalkan als Handelspartner noch attraktiver.

Deutschland und Bosnien und Herzegowina sind schon jetzt wirtschaftlich und historisch eng verbunden. Bosnien und Herzegowina verfügt über eine solide industrielle Basis in Sektoren, in denen deutsche Unternehmen traditionell stark vertreten sind. Viele Menschen sprechen Deutsch und haben familiäre Bande nach Deutschland. Ich freue mich, dass der Europäische Rat entschieden hat, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen wird neue Dynamiken freisetzen, um die wirtschaftlichen Verbindungen weiter zu vertiefen.

Dr. Thomas Fitschen Deutscher Botschafter in Bosnien und Herzegowina

Die Republik Moldau liegt geografisch zwischen der Ukraine und Rumänien und ist somit stark betroffen vom russischen Angriffskrieg auf das Nachbarland Ukraine. Die Perspektive, eines Tages EU-Mitglied zu werden, nährt auch hier die Hoffnung auf ein beständiges Wirtschaftswachstum. Denn verbunden mit dem Versprechen der EU beizutreten, erhält auch Moldau als Heranführungshilfe Fördergelder von der EU. Sie helfen dabei, die Infrastruktur auszubauen oder das Gesundheitswesen zu stärken.

Für deutsche Unternehmen, die bereits in Rumänien oder Bulgarien eine Produktionsstätte haben, ist Moldau ein interessanter Beschaffungsmarkt, insbesondere für elektronische Komponenten wie Leiterplatten oder für Kabelbäume zum Einsatz in der Automobilindustrie, ebenso wie für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Die fortschreitende Annäherung Moldaus an die EU bietet eine Chance, die Lieferketten und Geschäftsbeziehungen zwischen Rumänien und der Republik Moldau enger miteinander zu verknüpfen.

Beitrittsperspektive stärkt den Investitionsstandort

Deutsche Unternehmen gehören zu den wichtigsten Investoren in den Westbalkanstaaten. Sie haben nach Angaben der Deutschen Bundesbank bis einschließlich 2021 rund 3,6 Milliarden Euro investiert. Continental, Bosch, Siemens, Stada oder Lidl etwa sind vor Ort. Gerade Serbien und Nordmazedonien bieten Investoren interessante Anreize. Vor allem in der Absicht, Produktionskapazitäten in Europa zu erweitern, entscheiden sich deutsche Betriebe für die Region. Die Perspektive auf einen EU-Beitritt bietet dabei eine gewisse Sicherheit für die Unternehmen. 

Serbien steht heute mit einer modernen, zunehmend international vernetzen Wirtschaft da. Dies bringt das Land in eine hervorragende Ausgangsposition für einen EU-Beitritt. Der Beitrittsprozess hat in den letzten Jahren jedoch spürbar an Dynamik verloren. Vor allem im Bereich der sogenannten "Fundamentals", zum Beispiel Rechtstaatlichkeit oder funktionierende Institutionen, sieht die EU noch großen Handlungsbedarf. Deutschland wird Serbien auch künftig engagiert auf dem Weg in die EU unterstützen, damit wir Serbien bald in der EU willkommen heißen können.

Anke Konrad Deutsche Botschafterin in Serbien

In der Republik Moldau halten sich deutsche Unternehmen mit Investitionen hingegen noch zurück. Im Jahr 2021 belief sich der Bestand deutscher Investitionen laut Bundesbank auf 179 Millionen Euro, aktuellere Zahlen lagen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags nicht vor. Den meisten Firmen ist aufgrund der Nähe zum Krieg in der Ukraine das Risiko zu hoch. Eine Möglichkeit für Unternehmen, sich gegen politische Risiken wie Kriegshandlungen abzusichern, bieten Investitionsgarantien des Bundes.

Lediglich in der IT-Industrie vermag Moldau aktuell ausländische Investoren zu gewinnen. Die Regierung bietet ausländischen Unternehmen der digitalen Wirtschaft einen pauschalen Steuersatz von 7 Prozent, wenn sie sich im Moldova IT-Park in Chişinău niederlassen.

Viele Fachkräfte leben bereits im EU-Ausland

Die jährlichen Konjunkturumfragen der deutschen Auslandshandelskammern zeigen, dass gerade die Beschäftigten ein großer Pluspunkt auf dem Westbalkan sind. Vor allem mit der Leistungsbereitschaft der Arbeitskräfte sind die Unternehmen zufrieden. Auch wenn das Ausbildungssystem Defizite aufweist, versuchen immer mehr Länder Strukturen nach deutschem Vorbild einzuführen. Serbien hat sogar per Gesetz das duale Ausbildungssystem eingeführt. Und dennoch wird für Unternehmen vor Ort die Suche nach Fachkräften immer schwieriger. Die Zunahme an Direktinvestitionen und das wachsende Jobangebot, aber auch Abwanderung reduzieren den Pool verfügbarer Fachkräfte.

Wie im Nachbarland Rumänien sprechen die Menschen in Moldau Rumänisch. Dies ist ein Vorteil für deutsche Arbeitgeber, die in beiden Märkten aktiv sind. Allerdings ist der Zugriff auf qualifizierte Fachkräfte bereits begrenzt. Denn rund 25 Prozent der moldauischen Bevölkerung lebt und arbeitet im Ausland, vor allem in Italien, Deutschland und Frankreich. Rücküberweisungen aus dem Ausland sind für die moldauische Wirtschaft eine wichtige Stütze.

Politische Krisen gefährden den Weg in die EU

Zwar verfolgen alle sechs Länder des westlichen Balkans eine Mitgliedschaft in der EU, doch die Bemühungen sind unterschiedlich ausgeprägt. So strebt Serbien als größte Volkswirtschaft auf dem Westbalkan zwar in die EU, pflegt aber auch intensive Beziehungen zu China und Russland. Die Mehrheit der Bevölkerung in Serbien ist nicht für einen EU-Beitritt: Bei einer repräsentativen Meinungsumfrage im Sommer 2023 unterstützten laut Deutscher Welle nur 44 Prozent der Befragten einen EU-Beitritt, 47 Prozent waren dagegen. Die Sanktionen der EU gegen Russland trägt Serbien nicht mit. Zudem ist das Verhältnis zu Kosovo, dessen Unabhängigkeit Belgrad nicht anerkennt, nach wie vor sehr angespannt.

In der Republik Moldau führe Russland einen hybriden Krieg, erklärte die moldauische Präsidentin Maja Sandu im März 2023. Dies verstärkt die vorhandene Spaltung des Landes zwischen Ost und West. Die autonome Region Gagausien und die abtrünnige Region östlich des Flusses Dnistr, Transnistrien, orientieren sich nach Russland. Es besteht das Risiko, dass prorussische Politiker wieder eine Regierung bilden.

Länder wie Serbien oder Moldau illustrieren den Zwiespalt, den das Pendeln zwischen EU-Beitrittsambition oder Hinwendung zu anderen Partnern aufwirft. Die europäische Gemeinschaft steht ihrerseits vor einer Herausforderung. Im Lichte der aggressiven Politik Russlands und der wachsenden Einflussnahme Chinas brauchen die Kandidatenländer in ihrer östlichen Nachbarschaft reale Beitrittsperspektiven. 

Für Politikwissenschaftler wie Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik ist aber auch klar: Eine neue Erweiterungsrunde muss solide vorbereitet werden. "Großbaustellen wie der Abbau von Korruption und das Etablieren einer guten Regierungsführung sind konsequent anzugehen", sagt der Experte im Interview mit Germany Trade & Invest mit Blick auf den Zustand von Politik, Verwaltung und Justiz in einigen Beitrittskandidaten.

Deutschland hilft, Moldau "fit für die EU" zu werden

Was der EU-Beitritt für die Republik Moldau bedeutet und welche Rolle Deutschland dabei spielt, beschreibt Margret Maria Uebber, Deutsche Botschafterin in der Republik Moldau, im Interview mit Germany Trade & Invest.

Moldau ist Beitrittskandidat der EU. Was bedeutet das für das Land?

Die Republik Moldau hat auf dem Weg Richtung EU bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Die Verleihung des Kandidatenstatus 2022 und der Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen Ende 2023 waren Meilensteine und Impetus für eine Verstärkung der Reformbemühungen.

Vor welchen Herausforderungen steht die Republik Moldau derzeit?

Moldau bleibt vielfältigen Versuchen Russlands ausgesetzt, das Land zu destabilisieren, seine pro-westliche Regierung zu schwächen und seinen Weg in die EU zu verhindern. Zudem erholt sich die moldauische Wirtschaft von den Folgen des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine nur langsam. Im Jahr 2023 betrug das Wirtschaftswachstum 0,7 Prozent. Unter anderem bleiben ausländische Direktinvestitionen ein Schlüssel für eine Erholung. Chancen hierfür bietet neben der Landwirtschaft vor allem der IT-Sektor.

Wie hilft Deutschland der Republik Moldau?

Deutschland gehört zu den wichtigsten Handelspartnern Moldaus und fördert die Wirtschaft im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Damit leistet Deutschland einen Beitrag, Moldau "fit für die EU" zu machen.

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