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Wirtschaftsumfeld | Bosnien und Herzegowina | EU-Beitritt

EU-Perspektive nährt Hoffnung auf Wirtschaftswachstum

Bosnien und Herzegowina ist der jüngste EU-Beitrittskandidat. Brüssel gibt grünes Licht für Verhandlungen und sorgt damit für Optimismus in der Wirtschaft.

Von Martin Gaber | Belgrad

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina zugestimmt. Damit ist der Balkanstaat der jüngste EU-Beitrittskandidat. Sarajewo hatte bereits 2016 einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt. Doch mangelnde Reformen und eine Erweiterungsmüdigkeit der EU ließen lange Zeit keinen Fortschritt zu. Zuletzt ist aber Bewegung in den Prozess gekommen: Im Jahr 2022 erhielt Bosnien und Herzegowina den Kandidatenstatus und im März 2024 grünes Licht für die Aufnahme von Verhandlungen.

Europäische Union ist wichtigster Wirtschaftspartner

Rund 15 Mrd. Euro

betrug der Warenaustausch Bosnien und Herzegowinas mit der EU im Jahr 2023.

Wirtschaftlich ist Bosnien und Herzegowina bereits eng mit der EU verflochten. So wickelte das Land 64 Prozent seines Warenaustauschs mit den EU-Mitgliedsstaaten ab, so Zahlen der bosnisch-herzegowinischen Statistikbehörde für 2023. Wichtigster Handelspartner dabei ist die Bundesrepublik. Deutschland steht für rund 14 Prozent des gesamten Außenhandels Bosnien und Herzegowinas. Auch bei ausländischen Direktinvestitionen nehmen die Mitgliedsstaaten der EU eine führende Rolle ein. Sie vereinen rund 60 Prozent des Bestands an ausländischen Direktinvestitionen bis einschließlich 2022 auf sich, so die Zahlen der Zentralbank des Landes. An der Spitze der Investorenliste steht Österreich, Deutschland folgt auf Platz 6.  

Die Annäherung an EU-Standards und -Regulierungen eröffnet neue Möglichkeiten und stärkt den Handel und die Investitionen. Die Beitrittsverhandlungen können Anreize für Reformen und Modernisierungen schaffen. Diese sind langfristig für eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wirtschaftswachstums wichtig.

Azra Ramić Stellvertretende Delegierte der Deutschen Wirtschaft in Sarajewo

Aus Deutschland gehören Autozulieferer wie Mann+Hummel, Pass oder Selzer zu den größten Investoren. Deutsche Unternehmen sind aber auch in anderen Branchen zu finden. So sind Heidelberg Cement aus der Bauindustrie, Meggle im Lebensmittelbereich oder Hemofarm, eine Stada-Tochter aus der Pharmaindustrie, unter den Investoren vertreten. Auch der Discounter Lidl plant den Markteintritt. Ein genaues Eröffnungsdatum für die ersten Filialen steht aber noch nicht fest. Insgesamt gibt es mehr als 200 Firmen mit deutscher Kapitalbeteiligung.

Interesse aus dem Ausland wird zunehmen

Künftig wird das Interesse aus dem Ausland weiter zunehmen. Bosnien und Herzegowina bietet sich für die Verkürzung von Lieferketten an: In Bereichen wie Metall-, Holz- oder Kunststoffverarbeitung, der Autozulieferindustrie oder auch IT-Dienstleistungen verfügt das Land mit seinen etwas mehr als 3 Millionen Einwohnern über wettbewerbsfähige Lieferanten. Diese liefern häufig schon heute in die Europäische Union. "Durch die Integration in die EU könnten bosnische Unternehmen von einer verstärkten Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen profitieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem europäischen Markt stärken," sagt Azra Ramić, Stellvertretende Delegierte der Deutschen Wirtschaft in Sarajewo. Dank Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU ist der Handel für fast alle Waren zollfrei. Die Bundesregierung fördert die Beschaffung aus Bosnien und Herzegowina und dem Westbalkan mit einer eigenen Einkaufsinitiative. 

Bei Investitionen schöpft das Land sein Potenzial noch nicht aus. Es ist ein geeigneter Standort für Nearshoring, also die Produktion in unmittelbarer Nähe zum Heimatmarkt. "Die Annäherung an die EU eröffnet neue Möglichkeiten für Wachstum und Expansion, insbesondere im Hinblick auf die steigende Nachfrage nach Nearshoring-Dienstleistungen aus Deutschland," sagt Azra Ramić. Investoren aus dem Ausland haben in den letzten fünf Jahren branchenübergreifend Projekte realisiert, von der Automobilbranche über die Metallverarbeitung bis hin zur Textilindustrie. Die Bundesregierung hatte zuletzt ihre Investitionsgarantien für die Westbalkanländer attraktiver gestaltet. 

EU-Verkehrskorridore verlaufen durch Bosnien und Herzegowina

Nicht nur wirtschaftlich rücken der Balkanstaat und die EU enger aneinander. Brüssel verbessert auch die Verkehrswege nach Südosteuropa. Durch Bosnien und Herzegowina verläuft ein Zweig des europäischen Verkehrskorridors Vc. Er verbindet Ungarns Hauptstadt Budapest über Sarajewo mit der kroatischen Hafenstadt Ploče an der Adria. Die EU geht von einer Fertigstellung des Abschnitts in Bosnien und Herzegowina bis 2030 aus. Einige Abschnitte sind bereits geöffnet. Insgesamt beziffert die EU die Projektkosten auf rund 4,1 Milliarden Euro. Knapp ein Viertel davon wird durch Zuschüsse finanziert, so Angaben der EU-Delegation in Sarajewo.

Bosnien und Herzegowina erhält bereits EU-Fördermittel

Auch wenn Bosnien und Herzegowina noch einen weiten Weg bis zur EU-Mitgliedschaft hat, erhält Sarajewo schon heute Zuschüsse und Kredite aus Brüssel. Zwischen 2021 und 2023 flossen über die Heranführungshilfe IPA (Instrument for Pre-Accession Assistance) 256 Millionen Euro ins Land. Zudem hat die EU über den Economic and Investment Plan für den Westbalkan seit 2020 rund  Milliarden Euro an Investitionen mobilisiert, darunter Zuschüsse von knapp 1 Milliarde Euro. Hinzu kommt seit 2023 der Wachstumsplan für den Westbalkan, der für die Region rund 6 Milliarden Euro vorsieht.

Beitrittsverhandlungen sind umstritten

Die Kommission hatte den Balkanstaat für seine Reformen gelobt und deswegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen empfohlen. Experten teilen diese Einschätzung nur bedingt. Das Land gilt als reformschwach und habe sich nur in wenigen Reformbereichen verbessert. Daher kommt auch Kritik für die Entscheidung aus Brüssel. "Bosnien und Herzegowina hat sich in der Substanz nicht wahnsinnig viel bewegt, und die bosnischen Politiker haben die EU-Beitrittsverhandlungen nicht verdient", sagt Vedran Džihić, Südosteuropa-Forscher am Österreichischen Institut für Internationale Politik gegenüber der Tagesschau. Er und auch Politologe Florian Bieber vom Zentrum für Südosteuropa-Studien in Graz begründen die Entscheidung mit geopolitischen Gründen. So wolle Brüssel verhindern, dass Bosnien und Herzegowina sich anderen Akteuren wie Russland oder China zuwendet. 

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