Branche kompakt | Nigeria | Medizintechnik
Branchenstruktur
Öffentliche wie private Abnehmer kaufen in Nigeria teure Medizintechnik. Die Kunst ist, diese Kunden zu finden. Technikanbieter investieren auch selbst und nennen Beispiele.
02.11.2023
Von Ulrich Binkert | Bonn
Dass bei der Gesundheitsversorgung in Nigeria vieles im Argen liegt, zeigt schon die niedrige Lebenserwartung. Die von der Weltbank genannten 53 Jahre sind noch neun Jahre weniger als im verarmten Nachbarstaat Niger. Ausgaben für ihre Gesundheit müssen die Nigerianer üblicherweise aus eigener Tasche bezahlen. Die Weltbank schätzt diesen Anteil an den gesamten Gesundheitsausgaben für 2020 auf drei Viertel. Eine Krankenversicherung hatten nach einem Bericht von 2018 nur 5,9 Prozent der Bevölkerung. Nach dem "Strategischen Plan 2021-2030" der National Health Insurance Authority sollten es 2023 bereits 23 Prozent sein. Im August 2023 wussten Branchenvertreter allerdings von keinen nennenswerten Verbesserungen.
Privater Sektor wird wichtiger
In Nigeria gibt es laut Nigeria Health Sector Market zwar mehr öffentliche als private Gesundheitseinrichtungen, private Player leisten demnach aber etwa 60 Prozent aller Gesundheitsdienste. Die Nachfrage nach Medizintechnik verteilt sich bei aktuell befragten größeren Anbietern im Markt etwa hälftig auf öffentliche und private Abnehmer. Während der Pandemie habe der Staat relativ viel investiert. Der Privatsektor hole aber auf und werde in absehbarer Zeit die wichtigere Kundengruppe sein.
Im öffentlichen Bereich investiert die Zentralregierung den Experten zufolge mit Abstand am meisten. Das föderale Gesundheitsministerium und andere zentrale Stellen hätten während der Coronazeit recht viel modernisiert. Die Bundesstaaten geben wegen zu knapper Mittel deutlich weniger aus und wenn, dann bevorzugt für die primäre (Grund-) Gesundheitsversorgung.
In- und ausländische Investoren sehen in Nigerias Gesundheitswirtschaft offenkundig Renditechancen. So übernahm der Labordienstleister Synlab aus München 2017 die einheimische Branchenfirma Pathcare. Unter den privaten Krankenhäusern gibt es laut Beobachtern zudem eine Konsolidierung: Führende Firmen versuchten, durch die Übernahme einzelner Häuser in allen Regionen und wichtigen Städten Nigerias präsent zu sein.
Mit Blick auf Art und Qualität der Beschaffungen gibt es im öffentlichen wie im privaten Bereich große Unterschiede. Das Gesundheitsministerium beschafft laut Vertretern relativ hochwertige Produkte. Im Privatsektor sei dies vor allem bei spezialisierten Einrichtungen der Fall, etwa bei den - lukrativen - radiologischen oder kardiologischen Zentren. Etliche größere private multidisziplinäre Kliniken mit über 100 Betten bieten dem Patienten, mit entsprechender Ausstattung, ebenfalls einen überdurchschnittlichen Standard. Dies gilt allerdings nur im nationalen Kontext und nicht im internationalen Vergleich. Etwas schlechter aufgestellt sind Allgemeinkrankenhäuser ohne eigene Fachabteilungen. Die meisten privaten Kliniken indes können sich laut US-Handelsministerium nur gebrauchte Ausrüstungen leisten.
PPPs in Mode, aber heikel
Branchenvertreter sehen mehr Bemühungen seitens der neuen Regierung, durch öffentlich-private Gemeinschaftsprojekte (PPP) mehr Geld in den Sektor zu bekommen. Sie vermissen dabei aber eine Strategie. Jede Institution habe ein anderes Modell. Unter "PPP" firmieren schon bisher der Bau von Krankenhäusern sowie andere Großprojekte. Private finanzieren damit aber auch die Beschaffung teurer Geräte für öffentliche Partner.
So verwirklichte Synlab nach eigenen Angaben bisher vier PPPs mit öffentlichen Krankenhäusern. Beim jüngsten investierte der Labordienstleister einen sechsstelligen Dollarbetrag in ein Labor, das er mit eigenen Leuten betreibt. Von den Einnahmen führt der Investor dann, bei einer Vertragslaufzeit von einem runden Dutzend Jahren, einen geringen Teil an das Krankenhaus ab. Privatfirmen finanzieren laut einem Technikanbieter nach demselben Muster auch MRT-Scanner und Computertomografen. Sie kümmerten sich um Verwaltung und Einnahmen des Betriebs, während die Bedienung dem Krankenhauspersonal obliege. Ungefähr auf diese Weise beschaffte Medien zufolge das Lagos University Teaching Hospital MRT- und ähnliche Technik.
Ein Problem bei Beschaffungen sind offenkundig die hohen, mit rund 25 Prozent angegebenen Zinsen. Bei einem MRT-Scanner will der private Investor sein Geld laut einem Technikanbieter deshalb typischerweise schon in drei bis vier Jahren amortisiert haben. Entsprechend viel müssen Patienten zahlen. Dies wiederum können sich die meisten Nigerianer nicht leisten - was wiederum die Zahl solcher Projekte begrenzt.
Korruption behindert den PPP-Prozess laut Branchenvertretern ebenfalls. "Auch die Privaten wollen oft nur schnelles Geld machen", Preise seien überhöht. Mit Hilfe aufgeblähter Rechnungen versuchen demnach Käufer wie Verkäufer einen Schnitt zu machen. Beim Einsatz von Technik sei zudem Missmanagement an der Tagesordnung. "Das Gerät kommt an und steht erstmal ein halbes Jahr herum", sagt ein Technikvertreter. "Nach einem weiteren halben Jahr steht es wieder, weil Material fehlt." Die für solche Dinge eigentlich zuständigen Manager interessierten sich nicht dafür.
Das eingesetzte Gerät ist oft angejahrt. Bei einer empfohlenen Nutzungsdauer von zehn Jahren sei viel Technik doppelt so alt.
Indikator *⁾ | Wert |
---|---|
Einwohnerzahl (in Mio.) | 222 |
Bevölkerungswachstum (in % p.a.) | 2,4 |
Altersstruktur der Bevölkerung | |
Anteil der unter 14-Jährigen (in %) | 43 |
Anteil der über 65-Jährigen (in %) | 3 |
Durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt (in Jahren) | 52,7 |
BIP/Kopf (in US$) | 1.755 |
Gesundheitsausgaben pro Kopf (in % des BIP) | 3,38 |
Private Gesundheitsausgaben pro Kopf (laufende Ausgaben in US$) | 52,6 |
Out-of-Pocket-Ausgaben (% der laufenden Gesundheitsausgaben) | 74,7 |
Staatliche Gesundheitsausgaben im Inland (% des BIP) | 0,51 |
Ärzte/100.000 Einwohner (2018) | 0,38 |
Zahnärzte/100.000 Einwohner | 1,6 |
China dominiert den Markt - vor Irland
Eine einheimische Herstellung von Medizintechnik ist Branchenvertretern nicht bekannt. Der Marktforscher Fitch beziffert die inländische Produktion mit unter 5 Millionen US$ und Studien taxieren den Anteil der Importe im gesamten Markt auf 99 Prozent. Sie verweisen als Ausnahme auf die Jubilee Syringe Manufacturing Company, die sich mit 120 Mitarbeitern als größte Produzentin von Spritzen in Afrika bezeichnet.
Dominierender Lieferant von Medizintechnik ist China. Von dort stammt fast die Hälfte der Einfuhren, so jedenfalls die Statistik von UN Comtrade mit den hier ausgewählten Produktgruppen. Deutschland ist relativ gut vertreten bei bildgebenden und ophthalmologischen Geräten. Insgesamt lag made in Germany mit einem Anteil von 3,5 Prozent auf dem 7. Rang. Irland lieferte in den drei Jahren 40 Prozent der Orthopädietechnik und Prothesen nach Nigeria und schaffte es damit auf den 2. Rang der Einfuhrtabelle.
SITC | Produkt | Import (2020) | Import (2022) | Anteil Import aus Deutschland (2020-2022) |
774.1 | Elektrodiagnoseapparate und -geräte | 18,0 | 16,5 | 8,8 |
774.2 | Röntgenapparate etc. | 33,3 | 28,7 | 6,1 |
741.83 | Sterilisierapparate | 20,2 | 5,3 | 3,9 |
872.1 | Zahnmedizinische Instrumente; a.n.g. | 2,0 | 1,7 | 2,4 |
872.21 | Spritzen, Nadeln, Katheter, Kanülen etc. | 39,5 | 31,8 | 1,9 |
872.25 | Ophthalmologische Instrumente | 15,7 | 9,5 | 8,2 |
872.29 | Andere Instrumente, Apparate und Geräte | 65,3 | 37,0 | 2,4 |
872.3 | Therapiegeräte, Atmungsgeräte etc. | 74,8 | 8,8 | 0,8 |
872.4 | Medizinmöbel etc. | 35,4 | 35,3 | 1,8 |
899.6 | Orthopädietechnik, Prothesen etc. | 67,8 | 4,7 | 3,9 |
Summe | 372,0 | 179,3 | 3,5 |