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Blue Dot Network: Zertifizierung soll Infrastrukturbau ankurbeln
Die Initiative wurde 2019 von den USA, Japan und Australien gegründet. In deren Auftrag hat die OECD einen Vorschlag zur Zertifizierung von Infrastrukturprojekten vorgelegt.
03.01.2023
Von Sebastian Holz | Bonn
Mit dem Blue Dot Network (BDN) soll ein Zertifizierungssystem für qualitativ hochwertige Infrastruktur etabliert werden. Damit wollen die Gründerstaaten USA, Japan und Australien die Vorteile nachhaltiger Infrastrukturprojekte hervorheben und sich damit von den weniger nachhaltigen Bauprojekten der chinesischen Belt and Road Initiative abheben. Davon sollen vor allem auch westliche Firmen profitieren. Ziel ist es, mit der Zertifizierung solider Projekte Risiken zu minimieren und Unternehmen auf Auslandsmärkte zu locken.
So soll BDN dazu beitragen, die Investitionslücke im globalen Infrastrukturbau zu verringern: Laut OECD liegt diese Lücke bei jährlich 2,5 bis 3,5 Billionen US-Dollar weltweit. Die BDN-Gründerstaaten sehen in ihrem geplanten Zertifizierungssystem einen Beitrag zum Engagement der G7 im globalen Infrastrukturaufbau. Unklar ist jedoch, ob und wenn ja, welche Rolle das Blue Dot Network in der 2022 neu aufgelegten G7-Infrastrukturinitiative Partnership for Global Infrastructure and Investment (PGII) spielen soll.
Zertifizierung zur Risikominderung
Im Juni 2021 beauftragte die EU-Kommission die OECD mit der Ausarbeitung eines Vorschlags zum BDN-Zertifizierungssystem. Mit einer umfassenden Umfrage unter Vertretern aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft wurde eine Bedarfsanalyse durchgeführt. Die befragten Unternehmensvertreter führten übermäßige Risiken, schlechte Regierungsführung, schwache Regulierung und unzureichend vorbereitete Projekte als Hinderungsgründe für ein stärkeres Engagement im Infrastrukturbereich in Schwellenländern an. Diesen Risiken soll BDN durch Zertifizierung von Projekten entgegenwirken. Zudem wurde mit der Executive Consultation Group ein Beratergremium mit Vertretern aus der gesamten Wertschöpfungskette von Infrastrukturprojekten gegründet.
Im März 2022 legte die OECD ihren Vorschlag für das Zertifizierungssystem vor, der gemeinsam mit der Executive Consultation Group ausgearbeitet wurde. Im Vorschlag werden die Grundlagen der Architektur des BDN umrissen:
- Normen und Anforderungen (sogenannte "Elemente"), die die Grundlage für die Erteilung einer Zertifizierung bilden
- Ein dreistufiges Punktesystem für die Gesamtbewertung eines Projekts, das die Einhaltung der Anforderungen bewertet
- Ein effizientes und glaubwürdiges Überprüfungsverfahren
Hohe Ansprüche an die Nachhaltigkeit
Die künftige Zertifizierung soll hohe Ansprüche an die Projekte stellen. Gerade die Themen ökologische und finanzielle Nachhaltigkeit spielen dabei eine Rolle. Statt ausschließlich auf die Baukosten zu schauen, sollen dafür vor allem die Lebenszykluskosten eines Projekts betrachtet werden. Insgesamt zehn Elemente sollen der Zertifizierung zugrunde liegen.
Element | Operationalisierung |
---|---|
1. Nachhaltiges und inklusives Wirtschaftswachstum und Entwicklung | Abstimmung mit internationalen und lokalen Entwicklungsstrategien, Schaffung von Arbeitsplätzen |
2. Marktorientierte und vom Privatsektor geleitete Investitionen, unterstützt durch einen vernünftigen Einsatz öffentlicher Mittel | Nachhaltige Finanzierung, Risikominderung, fairer Wettbewerb |
3. Solide öffentliche Finanzverwaltung, Schuldentransparenz und Schuldentragfähigkeit auf Projekt- und Länderebene | Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen, Veröffentlichung von Verbindlichkeiten |
4. Klima- und Katastrophenresilienz; Projekte im Einklang mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 | Treibhausgasemissionen, Risikoanalyse, Resilienzpläne, Notfallvorsorge |
5. Angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis über die gesamten Lebenszykluskosten einer Anlage | Effektives Projektmanagement, freie Ausschreibungen |
6. Aufbau lokaler Kapazitäten und lokaler Kapitalmärkte | Ausbildung, Tech-Transfer |
7. Transparente Beschaffungs- und Konsultationsverfahren und Korruptionsbekämpfung | Antikorruptionsmaßnahmen, transparente Ausschreibungen |
8. Einhaltung international bewährter Praktiken für Umwelt- und Sozialschutz, einschließlich der Achtung von Arbeits- und Menschenrechten | Risikominimierung: u.a. Biodiversität, Umweltschutz, Menschenrechte, Arbeitsrechte, kulturelles Erbe |
9. Diskriminierungsfreie Nutzung von Infrastruktur und angemessene Bepreisung | Inklusive Regulierung, nachhaltige Nutzungskosten |
10. Einbeziehung von Frauen, Menschen mit Behinderungen und marginalisierten Gruppen | Beschäftigungsmöglichkeiten, Sicherheit und Wohlbefinden von vulnerablen Gruppen |
Auch die OECD-Experten wissen, dass Projektentwickler und die Gerichtsbarkeit in Schwellenländern teilweise geringe Kapazitäten haben, komplexe Standards um- oder durchzusetzen. Die Umsetzung der Anforderungen soll daher schrittweise erfolgen. Die Initiative will das Rad dabei nicht neu erfinden und keinen neuen Standard schaffen. Vielmehr sollen bestehende Nachhaltigkeitsstandards in verschiedenen Dimensionen angewandt werden, um am Ende zu einer Gesamtbewertung zu kommen.
So beruft sich der OECD-Vorschlag auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs), die G20 Prinzipien für hochwertige Infrastrukturinvestitionen, die IFC Performance Standards der Weltbank, die Äquator-Prinzipien und bestehende OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen und Infrastrukturregulierung. Dadurch sollen Kosten und Aufwand reduziert werden. Lokale Projektentwickler sollen damit ermutigt werden, ihre Standards weiter zu erhöhen. Der resultierende Qualitätswettbewerb würde die Nachhaltigkeitsstandards weltweit steigern und Investoren damit Sicherheit geben, so die OECD.
Drei Punkte als Gütesiegel
Unter Berücksichtigung der genannten Nachhaltigkeitsstandards werden die Projektvorschläge überprüft. Für jedes der zehn Elemente wird eine Punktzahl vergeben. Am Ende steht eine Gesamtwertung von bis zu drei "blauen Punkten".
🔵 Essential | Praktiken, die allgemein vereinbarte Standards für hochwertige Infrastrukturinvestitionen widerspiegeln und Voraussetzung für den Erhalt einer Zertifizierung sind. |
🔵🔵 Superior | Ehrgeizigere oder neue Standards. Die Projekte übertreffen die grundlegenden Anforderungen in einer Reihe von Bereichen und bieten den Beteiligten zusätzliche Sicherheit, dass sie die erwarteten Ergebnisse liefern werden. |
🔵🔵🔵 Best-in-class | Innovative Praktiken oder Ergebnisse, die eine stark positive Wirkung erzeugen. Projekte übertreffen nicht nur die grundlegenden Anforderungen, sondern tun sich in einer Reihe von Bereichen besonders hervor. |
Bei Interesse an einer Projektzertifizierung würden die Projektentwickler zunächst eine Selbsteinschätzung vorlegen, die dann von einem unabhängigen Institut überprüft würde. Da sich die Umstände während der Umsetzung von Großprojekten teilweise ändern, soll die Zertifizierung zeitbegrenzt verliehen werden. Lokale Projektmanager wären in der Lage, selbst zu entscheiden, ob sie sich um eine erneute Zertifizierung bemühen.
BDN setzt somit den Schwerpunkt auf Zertifikate als Endprodukt. Da BDN ausschließlich die Projektebene betrachtet, bietet es eher wenig für Unternehmen, die auf strukturelle Verbesserungen in den Bausektoren von Entwicklungs- und Schwellenländern hoffen.
Testphase mit Pilotprojekten
Als nächster Schritt soll nun eine Testphase mit Pilotprojekten weltweit folgen. Dabei soll das Zertifizierungssystem in der Praxis überprüft und gegebenenfalls nachgeschärft werden. Die Regulierungsorganisationen der Zielländer gilt es mithilfe technischer Unterstützung dazu zu befähigen, die Erfüllung der diversen Standards zu prüfen.
Am Rande des G20-Gipfels im November 2022 kündigte die US-Regierung an, dass das Palau-Datenkabel im Pazifischen Ozean als BDN-Pilotprojekt dienen soll. Es handelt sich dabei um einen neuen Seitenstrang des Datenkabels, das Südostasien mit den USA verbindet. Durch diese neue Anbindung soll der Inselstaat Palau besseren und sichereren Zugang zum weltweiten Datenverkehr erhalten. Laut Weißem Haus ist das Palau-Kabel auch Teil der G7-Initiative PGII.
Es bleibt abzuwarten, ob der OECD-Vorschlag in der jetzigen Form abgesegnet wird, oder ob die Auftraggeberstaaten noch Änderungswünsche anbringen werden. Rein technisch betrachtet nimmt die Initiative mit dem Zertifizierungsvorschlag der OECD langsam Form an. Die OECD-Mitgliedstaaten sind sich jedoch weiterhin uneinig, ob das Blue Dot Network ein offizielles OECD-Label bekommen oder eine Initiative der drei Gründerstaaten bleiben soll.