Special | Polen | Beschaffung
"Unsere Unternehmen sind heute wettbewerbsfähiger"
Polens Metallverarbeiter behaupten sich in schwierigen Zeiten. Um im wichtigen Exportgeschäft konkurrenzfähig zu bleiben, müssen die Firmen laut Expertenmeinung aber investieren.
26.06.2023
Von Christopher Fuß | Warschau
Der Cluster Metallverarbeitung (Klaster Obróbki Metali) ist eines der wichtigsten Sprachrohre der Metallindustrie Polens. Dr. Mariusz Citkowski, Vorsitzender des Aufsichtsrates im Cluster Metallverarbeitung erklärt, warum die Krisen der vergangenen Jahre der Branche geholfen haben, vor welchen Herausforderungen die Unternehmen stehen und welche Rolle die deutsch-polnischen Handelsbeziehungen spielen.
Herr Dr. Citkowski, was zeichnet Ihren Cluster aus?
Unser Cluster gehört zu den 20 sogenannten nationalen Schlüsselclustern Polens (Krajowy Klaster Kluczowy). Er ist gleichzeitig einer von sechs Branchenvereinigungen, die zum dritten Mal in Folge dieses Zertifikat erhalten konnten. Damit gehört der Cluster Metallverarbeitung zu den am besten entwickelten Clustern in Polen. Er besteht seit über 15 Jahren. Unsere Mitgliedsunternehmen befassen sich mit der Metallverarbeitung, vertreten aber auch Branchen wie die Herstellung von Maschinen für die Landwirtschaft, die Telekommunikationstechnik, den Bootsbau, die medizinische Industrie und die Möbelindustrie.
Darüber hinaus umfasst unser Netzwerk Forschungseinrichtungen wie die Universität Białystok und die Technische Universität Białystok. Ziel des Clusters ist es, die Kompetenzen der Mitglieder zu bündeln, eine Plattform für den Erfahrungsaustausch zu schaffen, die Grundlage für neue Geschäftsmöglichkeiten zu schaffen und so die Entwicklung der Industrie zu fördern.
Kommen wir zu den Unternehmen, den Herstellern von Metallteilen. Wie ist dieser Industriezweig in Polen aufgebaut?
Die Branchenstruktur der metallverarbeitenden Industrie in Polen unterscheidet sich nicht wesentlich von der in anderen EU-Ländern. Die meisten Unternehmen sind Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten. Der überwiegende Teil der Exporte der Branche geht jedoch auf mittlere und große Unternehmen zurück. Die wichtigsten Abnehmerbranchen in Polen sind die Bauindustrie, die Landmaschinenhersteller, die Automobilindustrie und der Infrastruktursektor - also alles, was mit Straßen- und Schienenbau zu tun hat. Im Exportgeschäft sind die internationalen Maschinenhersteller eine wichtige Kundengruppe.
Die polnischen Metallverarbeiter sind über das ganze Land verstreut. Es gibt regionale Zentren um Städte wie Gdańsk, Wrocław und Katowice - also dort, wo viele Industriekunden ansässig sind. Podlaskie, die Heimatregion unseres Clusters, konzentriert sich ebenfalls auf den Metallsektor.
Die Wirtschaft hatte in den letzten Jahren mit vielen Krisen zu kämpfen, von der Coronapandemie bis zum Krieg in der Ukraine. Wie haben sich diese Ereignisse auf die metallverarbeitende Industrie Polens ausgewirkt?
Seit Mai 2020 befragen wir die Unternehmen unseres Netzwerks monatlich. Die Ergebnisse stehen in unserem KOM-Barometer. Laut unseren Untersuchungen schätzen heute interessanterweise über 30 Prozent der befragten Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit deutlich besser ein als noch 2019 oder 2020. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Angesichts der Covid-Pandemie und des Krieges in der Ukraine mussten die Unternehmen ihre Entwicklungsstrategien überdenken und Modernisierungsprojekte beschleunigen. Den meisten Unternehmen ist dies gelungen. Gleichzeitig beobachten wir einen Trend zum Nearshoring. Unsere Unternehmen erhalten immer mehr Anfragen aus den europäischen Nachbarländern, zum Beispiel aus Deutschland. Die Prioritäten der Kunden ändern sich. Es ist nicht mehr nur der Preis, der beim Einkauf zählt, sondern zunehmend auch die Verfügbarkeit und die Lieferzeiten. Daraus ergeben sich große Chancen für unsere Unternehmen.
Dennoch werden die Rahmenbedingungen nicht einfacher.
Mittelfristig gibt es mindestens zwei große Herausforderungen. Die Metallindustrie ist energieintensiv. Wenn die Energiekosten steigen, sind unsere Unternehmen sofort betroffen. Sie haben Schwierigkeiten, mit den großen Preisschwankungen auf dem Strommarkt zurechtzukommen. Eine Lösung für dieses Problem sind Investitionen. Wir haben ein Mitgliedsunternehmen, das durch Investitionen in eigene Fotovoltaikanlagen die Energiekosten um 30 Prozent senken konnte.
Die zweite große Herausforderung ist die Digitalisierung in Verbindung mit der Automatisierung der Produktion. Die Unternehmen haben verstanden, dass sie in diesem Bereich aktiv werden müssen. Diese Ansicht teilen nicht nur die Branchenriesen. Auch kleine Unternehmen suchen nach Lösungen, und sei es nur, weil große Industriekunden Druck machen.
Wie kann dieser Prozess gelingen?
Wie so oft gilt: Herausforderungen sind auch Chancen. Wenn uns der technologische Wandel gelingt, werden wir effizienter arbeiten und weniger Material und Energie verbrauchen. Wir werden schneller arbeiten und bessere Produkte herstellen. Das sichert unsere Wettbewerbsfähigkeit.
Es ist wichtig, dass wir unsere Mitarbeiter und die betrieblichen Abläufe auf den Einsatz neuer Technologien vorbereiten. Hinter der erfolgreichen Umsetzung innovativer Lösungen stehen am Ende immer Menschen: Diejenigen, die Veränderungsprozesse umsetzen und diejenigen, die neue Technologien täglich bedienen.
Welche Rolle spielen dabei die deutsch-polnischen Handelsbeziehungen?
Die Handelsbeziehungen zwischen Polen und Deutschland sind bereits sehr eng. Die Export- und Importstrukturindikatoren auf beiden Seiten der Grenze im Bereich der Metallverarbeitung sind auf einem hohen Niveau. Es gibt aber noch viel Wachstumspotenzial. Deutsche Unternehmen stellen hochwertige Metallbearbeitungsmaschinen her. Diese Technologien helfen uns, hochwertige Produkte für die internationalen Märkte zu produzieren. Das verschafft uns einen Vorteil gegenüber anderen metallverarbeitenden Unternehmen.
Darüber hinaus gewinnen wir wichtige Erfahrungen aus der Zusammenarbeit und können auch eigene Maschinen- und Produktlösungen entwickeln. Die deutsche und die polnische Industrie ergänzen sich gut. Unsere Unternehmen stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Das sind ideale Voraussetzungen, um voneinander zu lernen und sich gemeinsam weiterzuentwickeln.