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Polnische Regierung bereitet Hochwasserhilfen für Unternehmen vor
Eine Jahrhundertflut wie im Jahr 1997 erlebte Polen mit den jüngsten Überschwemmungen nicht. Die Schäden sind trotzdem groß. Die Regierung verspricht Hilfen – auch für Unternehmen.
04.10.2024
Von Christopher Fuß | Warschau
Nach dem Ende der dramatischen Überschwemmungen im Süden Polens laufen die Aufräumarbeiten. Viele Anwohner im Einzugsgebiet der Oder haben ihre Häuser verloren. Unternehmen in der Region gehören ebenfalls zu den Geschädigten.
Der polnische Energieversorger Tauron berichtet von zerstörten Umspannwerken und Leitungen. Züge des Transportunternehmens PKP Cargo wurden überflutet. Produzierende Unternehmen wie der Lebensmittelverarbeiter Cukry Nyskie haben Teile ihres Maschinenparks verloren. Geschäfte und Hotels in den betroffenen Innenstädten wurden schwer beschädigt.
Probleme bei den Lieferketten
Auch deutsche Unternehmen wie der Folienhersteller Schattdecor sind vom Hochwasser betroffen. Die Produktion in der Stadt Głuchołazy musste wegen Wasserschäden vorübergehend eingestellt werden. Immerhin folgte Ende September 2024 die gute Nachricht: "Dank des Einsatzes unserer Mitarbeiter konnten wir die Aufräumarbeiten in nur einer Woche abschließen […]. Wir können wieder liefern!", schrieb das Unternehmen in den sozialen Netzwerken.
Auch der Automobilhersteller Volkswagen hat die Produktion in den Werken Poznań und Swarzędz inzwischen wieder hochgefahren, nachdem die Bänder an den beiden Standorten stillstanden. Der Grund: Gestörte Lieferketten. Zulieferer aus dem Süden Polens hatten mit dem Hochwasser zu kämpfen. Mittlerweile können die Teileproduzenten trotz aller Schwierigkeiten wieder Komponenten bereitstellen. Laut Medienportal Money.pl mangelte es vor allem an Pedalen.
Die Stadt Nysa gehört zu den am stärksten vom Hochwasser betroffenen Ortschaften im Süden Polens. Hier produziert das Unternehmen Umicore, ein belgischer Hersteller von Komponenten für Elektroautobatterien. Gemeinsam mit Volkswagen plant der Konzern am gleichen Standort eine weitere Fabrik. Während Nysa unter Wasser stand, scheint Umicore glimpflich davongekommen zu sein. "Die Auswirkungen der Überschwemmungen halten sich derzeit in Grenzen", schreibt das Unternehmen in einer Pressemitteilung. Auf Nachfrage von Germany Trade & Invest (GTAI) teilte die Presseabteilung mit, die Produktion laufe wieder in gewohnten Bahnen.
Andere deutsche Unternehmen in der Region berichteten GTAI, dass ihre Mitarbeitende aufgrund der Straßenschäden große Probleme hätten, zur Arbeit zu kommen. Zudem müssten viele Beschäftigte ihre Häuser sichern.
Geschädigte Unternehmen sollen Zuschüsse erhalten
Polens Regierung schätzt, dass die Fluten bei 10 Prozent aller Unternehmen im Hochwassergebiet Schäden verursacht haben. Die betroffenen Firmen werden finanzielle Unterstützung beantragen können. Das geht aus dem Entwurf eines Hochwassergesetzes hervor, den das Kabinett auf den Weg gebracht hat.
Betriebe mit Hochwasserschäden erhalten demnach für jeden sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen bestimmten Betrag. Wie hoch der Zuschuss ausfällt, wird eine Verordnung festlegen. Das Wirtschaftsministerium spricht von 3.800 Euro je Beschäftigten und maximal 230.000 Euro je Unternehmen.
Alternativ können Firmen eine Hilfszahlung in Höhe von bis zu 75 Prozent des durchschnittlichen Monatsumsatzes aus dem Vorjahr beantragen. Diese Option richtet sich laut Wirtschaftsministerium vor allem an Selbstständige. Arbeitnehmer haben laut Gesetzentwurf auch Anspruch auf zusätzliche Urlaubstage. Der Arbeitgeber kann sich einen Teil der Lohnkosten für die Dauer der Abwesenheit des Arbeitnehmers über den staatlichen Arbeitsfonds zurückholen.
Wichtig für Unternehmen sind neben dem Gesetzesentwurf unter anderem eine bereits gültige Verordnung des Finanzministeriums vom 19. September 2024 sowie das Hochwassersanierungsgesetz von 2011 und das Gesetz über von Naturgewalten beschädigte Gebäude von 2001. Die Dokumente erlauben es Firmen, die Zahlungsfristen für Sozialabgaben und Steuern unter bestimmten Umständen aufzuschieben. Außerdem können Arbeitgeber zinsfreie Kredite beantragen, um Lohnkosten zu decken.
EU-Gelder unterstützen den Wiederaufbau
Laut Angaben von Polens Infrastrukturministerium lassen sich die genauen Schäden des Hochwassers noch nicht beziffern. Der Entwurf des Hochwassergesetzes sieht Ausgaben in Höhe von 2,3 Milliarden Euro bis zum Jahr 2032 vor, um Flutopfern zu helfen und Schäden an der Infrastruktur zu beseitigen. Der Löwenanteil mit rund 1 Milliarde Euro geht in die Reparatur von Straßen und Autobahnen. Nicht in der Kalkulation enthalten ist die finanzielle Unterstützung für Unternehmen, die rund 230 Millionen Euro kosten soll.
Premierminister Donald Tusk versprach, weitere Gelder zu mobilisieren, beispielsweise aus europäischen Programmen. Zusammen mit den Ausgaben aus dem Hochwassergesetz kämen auf diese Weise rund 5,5 Milliarden Euro zusammen, so Tusk. Die Europäische Kommission hat bereits zugesagt, dass Polen bis zu 5 Milliarden Euro aus den kohäsionspolitischen Fördermaßnahmen kurzfristig umwidmen darf. Die Gelder sollen in die Hochwasserhilfe, aber auch in den Bau von neuen Schutzanlagen fließen.
Weitere Hilfen kann Polen aus dem Europäischen Katastrophenschutz und aus dem Europäischen Solidaritätsfonds abrufen. Auch Kredite von der Weltbank sind laut Infrastrukturministerium im Gespräch. Es geht um rund 1,5 Milliarden Euro für wasserbauliche Maßnahmen, darunter neue Rückhaltebecken.
Hilfen auch für Privathaushalte
Bürokratie soll dem Wiederaufbau nicht im Wege stehen. Bereits heute benötigen Bauherren für die Renovierung von Objekten mit Hochwasserschäden keine neue Baugenehmigung. Voraussetzung ist, dass die Gebäude ein Volumen von 1.000 Kubikmeter nicht übersteigen. Außerdem müssen sie niedriger als zwölf Meter sein. Erleichterungen gelten auch für Straßen und Schienen.
Haus- und Wohnungsbesitzer erhalten laut einer Mitteilung des Innenministeriums bis zu 48.000 Euro für Renovierungsarbeiten. Die Gelder müssen nicht zurückgezahlt werden. Darüber hinaus haben geschädigte Privathaushalte Anspruch auf eine Soforthilfe in Höhe von 2.300 Euro.