Die G7-Staaten haben ihren Luftraum für russische Flüge gesperrt und ein Embargo gegen die russische Luftfahrtindustrie verhängt. Auch Russland hat seinen Luftraum gesperrt und "behält" im Ausland geleaste Flugzeuge.
Auf die Luftraumsperren für russische Flüge durch 38 westliche Staaten reagierte Russland am 28. Februar 2022 mit der Sperrung seines Luftraums für Fluggesellschaften aus diesen Staaten, darunter Deutschland und Japan. Es ist möglich, dass weitere Flugverbindungen kurzfristig ausgesetzt werden, weil sich neue Länder den Luftraumsperrungen anschließen.
Die vorübergehende Beschränkung von Flügen zu zehn Flughäfen in Süd- und Zentralrussland wurde verlängert (Anapa, Belgorod, Brjansk, Woronesch, Gelendschik, Krasnodar, Kursk, Lipezk, Rostow am Don, Elista). Die fünf südlichen Regionen dienen als Aufmarschgebiet für die Armee. Dort gilt Notstandsrecht.
Auf Empfehlung der Föderalen Luftverkehrsagentur Rosaviaziaja haben russische Fluggesellschaften, deren Flugzeuge geleast und in ausländischen Registern eingetragen sind, internationale Flüge seit dem 6./8. März 2022 ausgesetzt. Hintergrund ist die Sorge vor einer Beschlagnahme der Flugzeuge im Ausland. Zu den Fluggesellschaften, die Auslandsflüge eingestellt haben, gehören unter anderem Aeroflot (außer Minsk), Azur Air, Pobeda, Rossiya, S7 Airlines und Utair.
Geleaste Flugzeuge wechseln Eigentümer per Staatsakt
Russische Fluggesellschaften können von ausländischen Unternehmen geleaste oder gemietete Flugzeuge weiterhin einsetzen. Dies beschloss die russische Regierung in Reaktion auf die massiven Sanktionen der EU und USA, die ein Totalembargo der Lieferung von Luftfahrzeugen und Bauteilen nach Russland sowie der Versicherung, Betankung und Wartung von Luftfahrtausrüstung beinhalten. Am 14. März 2022 unterzeichnete Präsident Wladimir Putin hierzu das föderale Gesetz Nr. 56-FZ vom 14. März 2022, das durch die Verordnungen der russischen Regierung Nr. 411, Nr. 412 vom 19. März 2022 und Nr. 1070 vom 15. Juni 2022 konkretisiert worden ist.
Russische Fluggesellschaften dürfen das Eigentum an von ihnen betriebenen ausländischen Flugzeugen (obwohl sie ihnen nicht gehören) innerhalb von fünf Tagen in das Staatliche Register für zivile Luftfahrzeuge der Russischen Föderation eintragen lassen. Die (Rück-)Versicherung und Wartung der Flugzeuge wird in Russland erfolgen. Die Ausstellung neuer russischer Lufttüchtigkeitszertifikate soll heimischen Fluggesellschaften ermöglichen, die Flotte ausländischer Flugzeuge zu behalten und sie auf Inlandsstrecken einzusetzen.
Mehr als die Hälfte der russischen Flugzeuge im Ausland registriert
Nach Angaben des Verkehrsministeriums der Russischen Föderation betreiben russische Fluggesellschaften 1.367 Flugzeuge, von denen mit 739 mehr als die Hälfte im Ausland registriert ist (Stand: 11. März 2022). Laut dem Luftfahrtanalyseanbieter Cirium sind 515 der von russischen Airlines genutzten Flugzeuge geleast. Davon befanden sich am 14. März 428 in Russland oder Belarus.
Leasinggeber hätten die Rückgabe von 515 Maschinen gefordert, sagte Verkehrsminister Witalij Sawejew. Die Ausfuhr von Flugzeugen aus Russland, wenn eine Forderung nach vorzeitiger Rückgabe an den Leasinggeber oder Vermieter besteht, wird durch den Präsidialerlass Nr. 100 vom 8. März 2022 "Über die Anwendung besonderer wirtschaftlicher Maßnahmen im Bereich der Außenwirtschaftstätigkeit zur Gewährleistung der Sicherheit der Russischen Föderation" und die Regierungsverordnung zur Umsetzung dieses Erlasses geregelt - und wird bislang verweigert.
Dadurch entsteht den Leasingfirmen ein Schaden von rund 10 Milliarden Euro plus 515 Flugzeuge, sagte der Generaldirektor von Eurocontrol, Eamonn Brennan. Die größte Flugzeugleasingfirma des Nahen Ostens, Dubai Aerospace Enterprise (DAE), schrieb netto 537,9 Millionen US-Dollar für an Fluggesellschaften in Russland geleaste Flugzeuge ab, die nicht mehr unter Kontrolle des Unternehmens stehen. Firoz Tarapore, Chief Executive Officer von DAE, erklärte: „Wir haben im Rahmen bestimmter Versicherungspolicen Ansprüche in Höhe von 1,0 Milliarden US-Dollar geltend gemacht und gehen davon aus, weitere Ansprüche geltend zu machen, um uns zustehende Beträge zurückzufordern."
EU und USA reagieren auf Umregistrierung mit Sanktionen
Die Europäische Union hat 21 in Russland zugelassene Luftfahrtunternehmen auf die EU-Flugsicherheitsliste gesetzt. Grund sind ernste Sicherheitsbedenken, da Russland Luftfahrzeuge in ausländischem Besitz zwangsweise umregistriert hat und wissentlich zulässt, dass sie ohne gültiges internationales Lufttüchtigkeitszeugnis eingesetzt werden.
EU setzt 20 russische Fluggesellschaften auf die FlugsicherheitslisteAeroflot | Aerokompanija "Avrora" |
Pobeda | Aviastar-TU |
Rossija | Rusjet |
Utair | UVT Aero |
Smartavia | Iraero |
Nord Wind | Aviakompanija ALROSA |
NordStar | Rusline |
Uralskije avialinii | Jamal |
Sibirskije avialinii | Aviakompanija "Ikar" |
Ishavia | Skol (wurde bereits im November 2021 auf die Liste gesetzt) |
Jakutija |
Quelle: Pressemeldung der Europäischen Kommission "Flugsicherheit: 20 russische Luftfahrtunternehmen wurden auf die EU- Flugsicherheitsliste gesetzt" (Brüssel, 11. April 2022)
Am 8. April 2022 erließen die USA eine Vorschrift, mit der für in russischem Eigentum stehende/betriebene Flugzeuge eine Lizenzpflicht eingeführt wurde. Infolgedessen unterliegt jedes in den USA oder in einem anderen Land hergestellte Luftfahrzeug, das zu mehr als 25 Prozent aus den USA stammende kontrollierte Bestandteile enthält, einer Lizenzpflicht, wenn dieses Luftfahrzeug für Russland bestimmt ist. In diesem Zusammenhang hat das Bureau of Industry and Security (BIS) des US-Handelsministeriums eine Sanktionsliste mit 146 Flugzeugen russischer Fluggesellschaften veröffentlicht, die nach Russland (re)exportiert wurden und die in Russland oder bei einem russischen Staatsangehörigen registriert sind, sich in seinem Eigentum befinden oder von ihm kontrolliert werden oder von ihm gechartert oder geleast sind. Die USA wollen Flüge mit diesen Flugzeugen unterbinden.
Auch die Bereitstellung jeglicher Form von Dienstleistungen für diese Flugzeuge bedarf einer Genehmigung des BIS. Liegt eine solche nicht vor, stellt dies ebenfalls einen Verstoß gegen die Export Administrations Regulations (EAR) dar, informiert das US-Handelsministerium. Bitte beachten Sie, dass die Liste des BIS nicht erschöpfend ist und die Beschränkungen auch in allen Situationen gelten, in denen eine Person Kenntnis davon hat, dass ein Verstoß gegen die EAR im Zusammenhang mit einem Luftfahrzeug oder einem anderen Gegenstand, der den EAR unterliegt, stattgefunden hat, stattfinden wird oder stattfinden soll, unabhängig davon, ob das Luftfahrzeug oder der Gegenstand in dieser Liste aufgeführt ist oder nicht.
Russland hat(te) sechs Prozent Anteil am weltweiten Flugverkehr
Im Jahr 2021 kam Russland nach Berechnungen der Beratungsfirma IBA auf einen Anteil von rund sechs Prozent am weltweiten Flugverkehr. Die Kapazitäten lagen über dem Niveau vor Ausbruch der Coronapandemie. Dabei spielt vor allem der große Binnenmarkt eine Rolle. In dem riesigen Land sind viele Entfernungen nur mit dem Flugzeug zu überbrücken. Russische Fluggesellschaften galten als verlässliche Kunden für Leasingfirmen. Mittlerweile gilt Russlands Luftfahrtbranche infolge der EU- und US-Sanktionen gegen die russische Luftfahrtbranche jedoch als weitestgehend isoliert.
Flugzeugteilelieferant VSMPO-Avisma orientiert sich um
Das russische Unternehmen VSMPO-Avisma gehört neben den US-Firmen TIMET, ATI und Howmet Aerospace zu den vier größten Titanlieferanten für die Luft- und Raumfahrt. Der russische Hersteller hält einen Anteil von einem Viertel am Weltmarkt für Titanium.
Zu den Vertragspartnern von VSMPO zählen Flugzeug- und Raumfahrtkonzerne wie Airbus, Boeing und Embraer. Großkunde Boeing hat den Kauf von Titan aus Russland jedoch seit Ende Februar 2022 ausgesetzt. Ursache ist das Totalembargo von USA und EU gegen die russische Luftfahrtindustrie.
Der russische Titanproduzent VSMPO-AVISMA plant deshalb, seine Verkaufspolitik vom US- und EU-Markt auf andere Zielmärkte und Abnehmerbranchen neu auszurichten. Dies teilte der CEO des Unternehmens Dmitry Osipov der Nachrichtenagentur TASS mit.
VSMPO-Avisma liefert normalerweise mindestens die Hälfte des Bedarfs von Airbus, etwa 35 Prozent des von Boeing verwendeten Titans und einen Großteil des Bedarfs von Embraer. Russische Titankomponenten wurden bislang bei der Produktion der Zivilflugzeuge A350, Boeing 737, Boeing 767, Boeing 787-9, Boeing 777 und Boeing 777X verwendet. Boeing und VSMPO haben auch ein Joint Venture in Russland - Ural Boeing Manufacturing.
Darüber hinaus sind Triebwerkshersteller wie MTU Aero Engines, Safran oder GE Aviation in der Produktion von russischen Titaniumlieferungen abhängig. Die meisten Firmen haben zwar die Bestände vorsorglich aufgefüllt und damit Reserven für die kommenden Monate geschaffen. Doch je länger die Sanktionen andauern, desto höher ist die Gefahr, dass das Metall für Trieb- und Fahrwerke fehlt und die Preise weiter steigen. Der Ausgang eines Handelskriegs ist im Falle eines Überkochens der Spannungen schwer vorherzusagen. Russland könnte die Exporte strategischer Materialien einschränken und damit der westlichen Luft- und Raumfahrtindustrie schaden.
Lesetipp: Mehr Informationen finden Sie in unserem Bericht "Westliche Flugzeugindustrie spürt die Kriegsfolgen" vom 2. Mai 2022.
Von Edda Wolf
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Bonn