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Interview | Schweden | Tiefbau

"Interkulturalität ist auch in Nordeuropa nicht zu unterschätzen"

Das deutsche Unternehmen Wayss & Freytag Ingenieurbau baut einen zweigleisigen Eisenbahntunnel in Göteborg. Herausforderungen gibt es einige, nicht nur geologischer Natur.

Von Judith Illerhaus | Stockholm

Matthias Ziegert, Bauleiter, Wayss & Freytag Ingenieurbau AG Matthias Ziegert, Bauleiter, Wayss & Freytag Ingenieurbau AG | © Matthias Ziegert, W&F

Schwedens Regierung will einen neuen nationalen Plan für die Verkehrsinfrastruktur verabschieden. Für die Jahre 2026 bis 2035 sollen rund 100 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Etwa ein Drittel aller Tiefbauinvestitionen werden von der staatlichen Verkehrsbehörde Trafikverket finanziert. 

Auch im Falle des Projekts "Västlänken" ist Trafikverket Auftraggeber. Bei dem hochkomplexen Projekt handelt es sich um eine acht Kilometer lange, zweigleisige Eisenbahnstrecke, einschließlich eines sechs Kilometer langen Eisenbahntunnels und drei unterirdischen Bahnhöfen.

Im Interview mit Germany Trade & Invest (GTAI) berichtet Matthias Ziegert, Bauleiter beim Bauunternehmen Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, welche Herausforderungen die Übernahme eines solchen Projekts in Nordeuropa mit sich bringen können – von der Ausschreibungsphase bis zur Durchführung.

Herr Ziegert, für Wayss & Freytag ist der Tunnelbau im Rahmen des Västlänken Projekts die erste Tätigkeit in Schweden. Ausgeschrieben wurde das Projekt von der staatlichen Verkehrsbehörde. Gibt es hier aus Ihrer Sicht Besonderheiten zu beachten?

Es ist immer wichtig, Ausschreibungen im Detail zu lesen. Man muss quasi zwischen den Zeilen lesen können. Wenn die Möglichkeit besteht, sollte man sich einen Profi an die Seite holen, der sich sowohl mit der Fachterminologie als auch mit den landestypischen Gepflogenheiten und grundlegenden Voraussetzungen in der Branche gut auskennt. Ähnlich wie in Deutschland wird auch in Schweden dem Preis als Vergabekriterium viel Bedeutung geschenkt. 

Welche "Lessons Learned" nehmen Sie aus dem Projekt bisher mit?

Grundsätzlich gilt, dass Ausschreibungen in unserer Branche zeitlich sehr eng getaktet sind - und das ist ein Problem. In diesem Fall war es beispielsweise nur etwas mehr als ein halbes Jahr vom Zeitpunkt der Ausschreibung bis zur finalen Angebotsabgabe. Das ist, vor allem unter Berücksichtigung des Investitionsvolumens und Vielschichtigkeit des Bauvorhabens, extrem sportlich. Aber auch die Interkulturalität ist nicht zu unterschätzen. Hätte man dem von Beginn an mehr Beachtung geschenkt, hätte man einige Missverständnisse vermeiden und Entscheidungsprozesse effizienter gestalten können.

Was meinen Sie damit genau?

Als Deutscher neigt man dazu, die kulturellen Eigenheiten unserer nördlichen Nachbarn zu unterschätzen, weil wir uns vielleicht auf den ersten Blick näherstehen, als beispielsweise mit mitteleuropäischen Kolleginnen und Kollegen. Die flachen Hierarchien in Schweden sorgen zum Beispiel dafür, dass grundsätzlich viele Menschen mitreden können und auch sollen. Aus Sicht der Deutschen fühlt sich das manchmal wie zusätzliche Arbeit an. Im Zweifel sollte man noch mal eine weitere Fika ansetzen, um sicherzugehen, dass wirklich alle an Bord sind. Aber das birgt natürlich auch Chancen. Denn je mehr Leute ich von Beginn an abhole, desto besser geht das ganze Team mit - in unserem Fall bedeutet das im Gesamtprojekt über 500 Menschen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. 

Fika? Können Sie uns kurz aufklären?

Die Fika ist ein essenzieller Abschnitt im schwedischen Alltag - ob im privaten oder beruflichen Kontext. Eine Fika kann man zu ziemlich jeder Tageszeit machen. Es geht darum, dass man sich bei einer Tasse Kaffee und Gebäck Zeit für sein Gegenüber nimmt, zum Zuhören, Austarieren und Besprechen der Möglichkeiten. Es ist nicht selten so, dass Entscheidungen in einem solch informell wirkenden Rahmen scheinbar final beschlossen werden. Doch es kann durchaus vorkommen, dass das Übereinkommen bereits außerhalb des eigentlichen Meetings getroffen wurde. Die Konsensorientierung ist in der schwedischen Gesellschaft extrem ausgeprägt - während eines größeren Meetings wird sich kaum jemand gegen einen Vorschlag aussprechen. Das muss in kleineren Runden besprochen und aus den Partnern herausgekitzelt werden.

"Im Zweifel sollte man noch mal eine weitere Fika ansetzen, um sicherzugehen, dass wirklich alle an Bord sind."

Apropos Partner, Sie arbeiten in diesem Projekt in einem Konsortium mit einem schwedischen Partner zusammen. Können Sie etwas zur Zusammenarbeit sagen?

In unserem konkreten Fall lief die Partnersuche tatsächlich über persönliche Kontakte. Ein schwedischer Partner ist natürlich kein Muss, zahlt sich aber in der Regel aus. Es gibt zwar viele Eurocodes und auch weltweite Standardisierungen, aber gerade beim Bauwesen immer auch länderspezifische Richtlinien und Bauverfahren. Beispielsweise wenn es um Themen wie Arbeitsschutz und -recht geht, Umweltrecht oder auch die Verkehrswegeplanung. Da würde sich manch einer in Deutschland wundern, wie diese Dinge in Schweden gehandhabt werden. Wenn man nur die deutsche Brille auf hat, fehlen manchmal die lokalen Kenntnisse, um angemessen mit dem Bauherren zu sprechen und die kürzeren Kommunikationswege zu finden.

Zur Zukunft Ihrer Branche: Welche Trends lassen sich erkennen und was sollten Unternehmen aus der Bauindustrie noch bedenken, wenn sie sich gen Norden orientieren?

In Schweden warten zahlreiche Projekte darauf, umgesetzt zu werden. Rund um die größten Städte Stockholm, Göteborg und Malmö soll in den kommenden Jahren viel gebaut werden. Auch über die Erweiterung der Malmö-Kopenhagen-Verbindung wird diskutiert. Und nicht zu vergessen das Megaprojekt Fehmarnbelt. Interessante Aufträge stammen häufig von Trafikverket. Aber auch das Sjöfartsverket, die schwedische Schifffahrtsverwaltung, plant Ausschreibungen. Daneben werden die Themen Energie und Bergbau in naher Zukunft an Relevanz gewinnen. Beim innerstädtischen Tunnelbau muss immer ein besonderes Augenmerk auf die Geologie gelegt werden. Die unterscheidet sich hier im Norden deutlich von den Gegebenheiten, die man vielleicht aus Deutschland, England oder Italien kennt. Die Verfahren und Methodiken sind zum Teil völlig andere.

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