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Arbeitsrecht
Das schwedische Recht ist geprägt durch starken Arbeitnehmerschutz und Tarifverträge, die für 90 Prozent der Arbeitsverhältnisse gelten. 2024 gab es eine Neuerung beim Elterngeld.
10.04.2025
Von Dr. Kerstin Kamp-Wigforss, LL.M., Rechtsanwältin (AHK Schweden) | Stockholm | Stockholm
Als Arbeitgeber hat man auch ohne Tarifvertrag mit den starken schwedischen Gewerkschaften zu tun, da fast 70 Prozent der Arbeitnehmer in Schweden Mitglieder von Gewerkschaften sind und diese eine ähnliche Funktion wie Betriebsräte in Deutschland haben.
Vergütung: frei vereinbar, soweit kein Tarifvertrag gilt |
Mindestlohn: ausschließlich im Tarifvertrag geregelt, soweit ein solcher Anwendung findet |
Arbeitsstunden pro Woche: 40 Stunden |
Regelarbeitstage pro Woche: 5 |
Zulässige Überstunden: Gesetzlich geregelt; höchstens 200 Überstunden pro Jahr (maximal 48 Überstunden binnen vier Wochen oder maximal 50 binnen eines Kalendermonats); weitere 150 Extra-Überstunden pro Jahr bei Vorliegen besonderer Gründe (Vier-Wochen- beziehungsweise Monatslimit wie oben); darüber hinaus weitere Überstunden bei Notfällen möglich (Naturkatastrophen, Unglücksfälle; Anzahl ist einzelfallabhängig); höchstzulässige Arbeitszeit in einem Sieben-Tage-Zeitraum inklusive Überstunden, Bereitschaft am Arbeitsplatz: 48 Stunden im Durchschnitt innerhalb von maximal vier Monaten gerechnet |
Bezahlte Feiertage: 11 Tage plus Heiligabend, Silvester und der Tag vor Mittsommer, die als Sonntage gelten |
Bezahlte Urlaubstage: gesetzlicher Mindestanspruch von 25 Tagen bei einer Fünf-Tage-Woche; um Überstunden bei Vertrauensarbeitszeit pauschal abzugelten, sollten 28 beziehungsweise 30 Tage Urlaub gewährt werden; jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf einen ununterbrochenen vierwöchigen Urlaub im Zeitraum Juni bis August |
Sonderzahlungen pro Jahr in Monatslöhnen (13. und/oder 14. Gehalt): nicht üblich |
Tage mit bezahltem Arbeitsausfall: Bei Elternzeit zahlt der Arbeitgeber kein Gehalt, sondern die staatliche Versicherungskasse zahlt ein an das vorherige Gehalt angelehntes Elterngeld (ca. 80 Prozent bis zu einer Bemessungsgrenze). Die meisten Tarifverträge beinhalten die Pflicht zur Zahlung eines zusätzlichen Elterngelds durch den Arbeitgeber; größere Unternehmen machen oftmals freiwillige Zuzahlungen. Eltern teilen sich den Anspruch auf 480 Tage Elternzeit pro Kind; 90 Tage sind jedoch für den Elternteil reserviert, der weniger Elterntage in Anspruch nimmt; seit 1. Juli 2024 können Eltern jeweils 45 Elterntage (Alleinerziehende 90) der 480 Tage pro Kind an eine andere Person wie zum Beispiel einen Verwandten oder jemand anderen, der dem Kind nahe steht, übertragen/abtreten. Bei Schwangerschaft besteht das Recht darauf, mindestens sieben aufeinanderfolgende Wochen vor der Entbindung von der Arbeit freigestellt zu werden, mit Elterngeld der Versicherungskasse oder ohne (Arbeitgeber zahlt bei dieser Freistellung nicht). Elterntage können 60 Tage vor der errechneten Geburt in Anspruch genommen werden. Bei schwerer Arbeit möglicherweise Anspruch auf Schwangerschaftsgeld. |
Tage mit Lohnfortzahlung bei Krankheit: Gesetzlich festgelegt: Erster Tag Karenzabzug (kein Entgelt), Zweiter bis 14. Tag Entgeltfortzahlung durch Arbeitgeber in Höhe von 80 Prozent des Gehalts, ab 15. Tag übernimmt die staatliche Versicherungskasse die Entgeltfortzahlung zu 80 Prozent des Gehalts mit einer Deckelung; für die ersten sieben Arbeitstage muss der Mitarbeiter keinen ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheid vorlegen. Bei Gelten eines Tarifvertrags sind zusätzliche Zahlungen durch den Arbeitgeber verpflichtend. |
Probezeit: Probearbeitsverhältnis frei vereinbar bis zu sechs Monaten (Verlängerung grundsätzlich nicht möglich) |
Rechtsgrundlagen
Ein Gesetzbuch, das allumfassend die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber regelt, gibt es in Schweden nicht. Grundlage des Arbeitsrechts ist vielmehr eine Vielzahl von Gesetzen. Zusätzlich gelten tarifvertragliche Regelungen (bei Tarifvertragsbindung), der jeweilige Arbeitsvertrag und die Rechtsprechung. Gesetzesentwürfe und Gesetzesbegründungen werden zur Auslegung herangezogen. Viele arbeitsrechtliche Gesetze wie zum Beispiel das Arbeitszeit- oder das Entsendungsgesetz basieren auf der Umsetzung von EU-Richtlinien. Grundlage zur Auslegung solcher Gesetze sind die entsprechenden EU-Richtlinien.
In der arbeitsrechtlichen Hierarchie nehmen Gesetze den höchsten Stellenwert ein, gefolgt von Tarifverträgen (bei Tarifvertragsbindung) und individuellem Arbeitsvertrag. Von den arbeitsrechtlichen Gesetzen kann nur durch Tarifvertrag abgewichen werden. Abweichende vertragliche Vereinbarungen zu Lasten des Arbeitnehmers sind unwirksam, haben bei einer gerichtlichen Überprüfung keinen Bestand und lösen Schadensersatzpflichten des Arbeitgebers aus.
Die drei wichtigsten Gesetze
Das Kündigungsschutzgesetz beinhaltet unter anderem Regelungen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die verschiedenen Befristungsmöglichkeiten, das Probearbeitsverhältnis und so weiter. Es gilt bereits ab dem ersten Arbeitstag (keine Wartezeit) und auch für Arbeitgeber mit nur einem Arbeitnehmer (keine Kleinbetriebsklausel).
Das Gesetz über die betriebliche Mitbestimmung gilt für alle Arbeitgeber und auch, wenn keine Tarifvertragsbindung vorliegt. Nichttarifgebundene Arbeitgeber müssen zum Beispiel vor jeder Kündigungsentscheidung oder einem Betriebsübergang die Gewerkschaften der betroffenen Arbeitnehmer aus eigener Initiative konsultieren. Fordert eine Gewerkschaft einen Arbeitgeber zu einer Verhandlung auf, muss man sich dieser stellen.
Das Urlaubsgesetz sieht unter anderem einen Anspruch auf vier Wochen zusammenhängenden Sommerurlaub sowie zwingendes Urlaubsgeld vor. Urlaubstage verfallen nie, sondern müssen am Ende des Arbeitsverhältnisses ausgezahlt werden. Das Urlaubsgesetz ist sehr kompliziert und unterscheidet sich in vielen Punkten vom deutschen Recht. Gewerkschaften passen besonders auf, dass Arbeitgeber ihren Pflichten und Urlaubsgeldzahlungen nachkommen.
Verstöße gegen die arbeitsrechtlichen Gesetze führen zu Schadensersatzpflichten des Arbeitsgebers.
Arbeitsvertrag
Der Arbeitsvertrag dient der Festlegung der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien (Arbeitsleistung, Entgelt, Arbeitszeit etc.). Eine besondere Form ist für den Abschluss von Arbeitsverträgen nicht erforderlich; diese können daher sowohl schriftlich als auch mündlich abgeschlossen werden. Ein schriftlicher Vertrag empfiehlt sich jedoch aus Beweisgründen unbedingt (besonders bei Befristungen, deren Vereinbarung der Arbeitgeber nachzuweisen hat).
Die Angaben zu den Arbeitsbedingungen, die der Arbeitgeber einem neuen Arbeitnehmer kurz nach Arbeitsbeginn schriftlich mitzuteilen hat, wurden im Ende Juni 2022 durch das schwedische sogenannte Nachweisgesetz erheblich erweitert. Es ist daher davon abzuraten, Arbeitsverträge zu benutzen, die seitdem nicht aktualisiert worden sind. Dies stellt einen Gesetzesverstoß dar, der die Beschäftigten zu Schadensersatz berechtigt.
Die Möglichkeit des Abschlusses von befristeten Arbeitsverhältnissen wurde im schwedischen Recht 2022 weiter eingeschränkt. Es können wirksam nur die gesetzlich oder bei geltendem Tarifvertrag tarifvertraglich vorgesehenen Befristungen innerhalb ihrer Höchstgrenzen vereinbart werden. Eine besondere (sachgrundlose) Befristung kann zum Beispiel für maximal 360 Tage innerhalb eines Fünf-Jahres-Zeitraums vereinbart werden. Auch werden verschiedene Befristungen unter bestimmten Voraussetzungen zusammengerechnet. Bei Fehlern oder Überschreitung der Befristungsgrenzen kann der Arbeitnehmer ein unbefristetes Arbeitsverhältnis geltend machen.
Das Arbeitsrechtteam der Deutsch-Schwedischen Handelskammer unterstützt gern bei der Erstellung von zweisprachigen Arbeitsverträgen nach schwedischem Recht.
Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien
Für den Arbeitnehmer besteht die Hauptpflicht in der Erbringung der vereinbarten Arbeitsleistung, die des Arbeitgebers in der Zahlung der vereinbarten Vergütung.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen sich während der Dauer des Arbeitsverhältnisses gegenseitig Loyalität, Achtung und Rücksichtnahme erweisen.
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gilt das Kündigungsschutzgesetz. Der Arbeitgeber muss Kündigungen schriftlich vornehmen und sachliche Gründe haben. Diese werden in zwei Gruppen unterteilt: personen-/verhaltensbedingte und betriebsbedingte Gründe.
Der Arbeitgeber hat die Beweislast für das Vorliegen des Kündigungsgrundes. Personen-/verhaltensbedingte Gründe sind zum Beispiel Schlechtleistung, Fehlverhalten etc. Krankheit ist kein Kündigungsgrund. Betriebsbedingte Gründe sind alle Gründe, die nicht personen-/verhaltensbedingt sind, also zum Beispiel eine Restrukturierung, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes führt. Weitere Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung sind unter anderem eine vorherige Versetzung.
Die gesetzliche Mindestkündigungsfrist beträgt sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer einen Monat. Bei Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt sie - je nach Länge der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers - bis zu maximal sechs Monate nach mindestens zehn Jahren Beschäftigung. Es ist möglich, arbeitsvertraglich zum Beispiel eine gegenseitige dreimonatige Kündigungsfrist zu vereinbaren. Grundsätzlich ist von Arbeitgeberseite immer die längste Kündigungsfrist anzuwenden.
Fristlose Kündigungen sind nur möglich, wenn schwerwiegende Verletzungen der arbeitsvertraglichen Pflichten vorliegen, zum Beispiel Straftaten gegen den Arbeitgeber.
Eine Besonderheit des schwedischen Kündigungsschutzgesetzes ist, dass ein betriebsbedingt gekündigter oder befristet Beschäftigter einen Wiedereinstellungsanspruch auf eine offene Position im selben Betrieb hat, wenn er die hinreichenden Qualifikationen hat, wenn er länger als zwölf Monate während der letzten drei Jahre beim Arbeitgeber beschäftigt war (bei den sogenannten besonders befristeten, sachgrundlosen Arbeitsverhältnissen sogar schon nach neun Monaten). Der Wiedereinstellungsanspruch gilt neun Monate nach Ende des Arbeitsverhältnisses.
Vor der Kündigungsentscheidung muss der Arbeitgeber die Gewerkschaft des Arbeitnehmers konsultieren und die Kündigung verhandeln, wenn der Arbeitnehmer Mitglied einer Gewerkschaft ist (fast 70 Prozent der Arbeitnehmer in Schweden sind dies).
Es kommt in Schweden zu wenigen Kündigungsschutzklagen vor Gericht. Dies hat zum einem damit zu tun, dass die meisten Kündigungen zuvor mit der Gewerkschaft des Arbeitnehmers verhandelt worden und damit akzeptiert sind. Zum anderen dauern Kündigungsschutzklagen bis zu anderthalb Jahren und können deshalb hohe Anwaltskosten verursachen, die grundsätzlich die unterliegende Partei tragen muss. Zum anderen werden einvernehmliche Lösungen wie Aufhebungsverträge bevorzugt, wenn ein Kündigungsgrund nicht sicher darzulegen ist.
Als Besonderheit ist auch hervorzuheben, dass jeder Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz aktuell Anspruch darauf hat, bis zum 69. Lebensjahr zu arbeiten. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen möglichen Bezugs einer Rente vor diesem Alter ist also kein Kündigungsgrund.
Vor jeder Kündigung oder Beendigung eines Arbeitsverhältnisses sollten Unternehmen unbedingt mit einem schwedischen Arbeitsrechtler sprechen. Der Bereich Arbeitsrecht der Deutsch-Schwedischen Handelskammer steht für Anfragen gern zur Verfügung.
Gelebte Praxis
Aufgrund der starken Stellung der Gewerkschaften in Schweden konsultieren und informieren Arbeitgeber die Gewerkschaften eher mehr als notwendig, um eine gute Beziehung zu pflegen und bei zukünftigen Problemen von einer guten Zusammenarbeit zu profitieren.
Trotz einer Reform des Kündigungsschutzrechtes im Jahr 2022 ist es nach wie vor so, dass Beendigungen von Arbeitsverhältnissen bei Fehlverhalten oder Schlechtleistung eher durch Aufhebungsvertrag anstelle durch Kündigung vorgenommen werden.
Entgegen der europarechtlichen Rechtsprechung zur Arbeitszeit ist aktuell keine Änderung des Arbeitszeitgesetzes oder der tarifvertraglichen Regelungen zu Arbeitszeit und dazu gehörenden Pflichten des Arbeitgebers in Sicht.
Kontaktadresse
Dr. Kerstin Kamp-Wigforss, LL.M., Rechtsanwältin, Leitung Rechtsbereich der Deutsch-Schwedischen Handelskammer (AHK Schweden)
E-Mail: kerstin.kamp-wigforss@handelskammer.se
Telefon: +46 8 6651856