Wirtschaftsausblick | Schweiz
Exportwachstum wird die Konjunktur beleben
Der erwartete leichte Aufschwung in Europa wird auch die exportorientierte Wirtschaft der Schweiz begünstigen. Eine neue Investitionswelle rollt aber wohl erst 2025 an.
28.06.2024
Von Oliver Döhne | Bonn
Wirtschaftsentwicklung: Prognosen steigen leicht an
Das sich erholende konjunkturelle Umfeld in Europa verbessert auch die Stimmung in der schweizerischen Wirtschaft. So muss der Inlandskonsum die Konjunktur nicht mehr alleine am Laufen halten, sondern auch Export und Investitionen dürften sich bald zurückmelden. Der Aufschwung könnte bereits früher einsetzen als bislang erwartet. Die Prognosen der Wirtschaftsinstitute für 2024 deuten auf eine Entspannung hin.
Konsum: Prognosen rechnen für 2024 mit einem Plus von 1,3 Prozent
Zur Jahresmitte 2024 bleibt der Konsum die Stütze der Konjunktur. Dies dürfte sich in der 2. Jahreshälfte fortsetzen, jedoch mit abnehmendem Schwung. Mehr Dynamik wird erst 2025 erwartet.
Positive Faktoren sind das leicht gestiegene verfügbare Einkommen der Haushalte, die rückläufige Inflation und das Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung. Der Arbeitsmarkt entwickelt sich gut. Negative Faktoren sind steigende Krankenversicherungsbeiträge, eine Zunahme der Sparquote aus Vorsichtsmotiven, der Sparkurs der Regierung und Reallohnrückgänge.
Lohnsteigerungen über der Teuerungsrate könnten bereits vor 2025 einsetzen und sich positiv auf den Konsum auswirken. Insgesamt überwiegen die belebenden Faktoren. Dies dürfte 2024 zu einem Plus von rund 1,3 Prozent beim privaten Konsum führen. Im Folgejahr wird ein Wachstum von 1,5 Prozent erwartet.
Investitionen vorerst zurückhaltend
Die verhaltene Investitionslaune wird sich im 2. Halbjahr 2024 zumindest in der verarbeitenden Industrie allmählich verbessern. Für den selben Zeitraum zeichnen sich im Ausland bessere Absatzchancen für Industriegüter ab, unter anderem infolge der überraschend starken US-Konjunktur.
Die erwarteten Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank werden auch die Nachfrage in Europa ankurbeln. Diese wird sich spätestens 2025 deutlich auf die Investitionen in der Schweiz auswirken. Die Schweizerische Nationalbank könnte die Leitzinsen erneut senken und damit bessere Finanzierungsbedingungen im Land schaffen.
Folgt eine leichte Abwertung des Schweizer Frankens, würden exportierte Waren für das Ausland günstiger werden. Rund 40 Prozent der vom Think Tank BAK Economics im Mai 2024 befragten kleinen und mittleren schweizerischen Betriebe aus Maschinenbau, Elektro- und Metallindustrie wollen 2024 in neue Produktionskapazitäten investieren. Bremsend wirken der Kostendruck und die unterdurchschnittliche Auftragslage.
In der Bauwirtschaft bleiben die Investitionen vorerst auf niedrigem Niveau. Erst 2025 kommen Impulse mit dem Ausbau der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur, unter anderem des Gotthard-Straßentunnels. In der Energiewirtschaft stehen zahlreiche Projekte auf dem Programm, beispielsweise beim Ausbau von Solar- und Wasserkraft und infolge des neuen Gesetzes zur Versorgungssicherheit der Stromwirtschaft vom Juni 2024. Darüber hinaus wird die Schweiz Schulen und Krankenhäuser bauen.
Top-Thema: Verhandlungen über "Bilaterale III" mit der EU
Im März 2024 nahm die Schweiz die Verhandlungen mit der EU über die zukünftigen bilateralen Wirtschaftsbeziehungen wieder auf. Diese hatte der Schweizer Bundesrat 2021 abgebrochen. Statt von einem Rahmenvertrag ist nun die Rede von bilateralen Verträgen. Diese sollen den Sonderstatus der Schweiz betonen, lassen aber weiter prinzipielle Fragen offen: Heikle Punkte bei den Verhandlungen sind aus Schweizer Sicht insbesondere die automatische Übernahme von aktualisiertem EU-Recht sowie der EU-Gerichtshof als höchster Streitschlichter.
Ohne neue Einigung laufen verschiedene sektorielle Abkommen aus. Für Unternehmen bedeutet das einen bürokratischen Mehraufwand, beispielsweise bei der gegenseitigen Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA). Auch verliert die Schweiz europäische Fördergelder für Forschungs- und akademischen Austauschprogramme wie Horizon Europe oder Erasmus. Auch Nachteile und Risiken in der Stromwirtschaft könnten die Folge sein. Angestrebt werden zudem ein neues Binnenmarktabkommen in den Bereichen Strom- und Lebensmittelsicherheit. Besonders am garantierten Zugang zum europäischen Strommarkt ist die Schweiz stark interessiert. Aufgrund der komplexen Verhandlungen gelang es nicht, sich vor der Europawahl im Juni 2024 auf ein neues Paket von Abkommen zu einigen.
Deutsche Perspektive: Beliebt nicht nur als Tourismusziel
Die Schweiz war 2023 für Deutschland der neuntgrößte Absatzmarkt, der zehntgrößte Lieferant und der achtgrößte Handelspartner. Dass Importe und Exporte 2023 jeweils sanken, ist unter anderem auf Preiseffekte zurückzuführen. Der Handelsbilanzsaldo nahm aus deutscher Sicht zu. Die Schweiz bleibt mit ihrer Kaufkraft nicht nur ein relevanter Abnehmer deutscher Fertigprodukte wie Medikamente, Kfz und Lebensmittel, sondern ist mit ihrer breit aufgestellten Industrie auch ein wichtiger Abnehmer von Maschinen, Werkzeugen und industriellen Zwischengütern. Hinzu kommen zahlreiche Kooperationen bei Forschung und Entwicklung sowie viele Grenzpendler.
Besonders in der Metall- und Maschinenbauindustrie und in der chemisch-pharmazeutischen Industrie sind die Industrien beider Ländern eng miteinander verbunden. Zahlreiche deutsche Unternehmen betreiben Produktionsanlagen in der Schweiz und umgekehrt, nicht nur infolge von Steuervorteilen. Die Schweiz kann sich zwar nicht ausschließlich selbst mit Energie versorgen, verfügt andererseits jedoch über eine kleinere energieintensive Schwerindustrie. Das wirkt sich positiv auf Preise und Versorgungssicherheit aus.
Qualifizierte Arbeitskräfte wird die Schweiz dank hoher Löhne und Lebensqualität auch künftig relativ leicht aus dem Ausland anwerben können. Nicht zuletzt gefällt die Schweiz mit ihrer reizvollen Landschaft auch den deutschen Touristen. Neben Bürgern aus den USA stellen sie die meisten Besucher.
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