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Der Begriff des Noodle-Bowl-Effekt ist ein unter Experten bekanntes Sprachbild, wenn es darum geht, die bestehenden, weltweiten Freihandelsabkommen zu beschreiben. Spaghetti-Globus | © Kammann Rossi/Stable Diffusion/Verena Matl

Markets International 3/24 | Freihandelsabkommen

Schwerpunkt Freihandel

Mit jedem neuen Freihandelsabkommen werden die wirtschaftlichen Verflechtungen unübersichtlicher – Fachleute sprechen vom Noodle-Bowl-Effekt.

Von Stefanie Eich, Andrea González Alvarez, Dr. Melanie Hoffmann, Andrea Mack, Klaus Möbius, Susanne Scholl, Katharina Viklenko | Bonn

DIe EU macht es. In Nord- und Südamerika ist es üblich. Und auch in Afrika oder in der asiatisch-pazifischen Region ist man gerne dabei: Freihandelsabkommen zwischen Ländern oder Regionen prägen den globalen Handel mit. In den folgenden Beiträgen zeigen GTAI-Expertinnen und -Experten, wie Freihandelsabkommen den weltweiten Handel prägen und beleuchten die wichtigsten Verträge in verschiedenen Regionen. Nebenbei erklären sie, was das alles mit einem italienischen Nationalgericht zu tun hat.

Markets International Ausgabe 3/24

Markets International 03/24

Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift Markets International, Ausgabe 3/2024. Erfahren Sie, welche weitere Beiträge die Ausgabe für Sie bereit hält.

Zur Markets International 3/24

  • Verhandlungsmasse

    Freihandelsabkommen zwischen Ländern oder Regionen prägen den globalen Handel mit. GTAI-Expertinnen und Experten erläutern die wichtigsten Handelsverträge.

    Es geht zu wie in einer Schüssel Spaghetti. Der Begriff des Noodle-Bowl-Effekt ist ein unter Experten bekanntes Sprachbild, wenn es darum geht, die bestehenden, weltweiten Freihandelsabkommen (FHA) zu beschreiben: Die Gemengelage ist unübersichtlich. Wer sich eine Nudel herauspickt, sortiert automatisch die anderen neu, alles gerät in Bewegung. So beurteilte der Journalist Jagdish Bhagwati die zunehmende Zahl an Vereinbarungen zwischen den Staaten und nutzte 1995 dabei erstmals den Begriff des Noodle-Bowl-Effekts in einem seiner Artikel. Bhagwatis Meinung nach würden zu viele sich kreuzende Freihandelsabkommen eher zu diskriminierenden Handelspolitiken führen – und am Ende die wirtschaftlichen Vorteile eines freien Handels verringern.

    Tatsächlich steigt die Zahl der FHA stetig. Allein die Europäische Union (EU) hat 42 Handelsabkommen mit knapp 80 Drittstaaten geschlossen. Global betrachtet sind derzeit 331 FHA in Kraft. Da sie nicht nur mit einem Partnerland, sondern immer öfter zwischen mehreren Staaten abgeschlossen werden, steigt die Zahl der möglichen Verbindungen exponentiell an – vergleichbar mit den Verhältnissen in der besagten Spaghettischüssel.

    Es lassen sich bilaterale von pluri- und multilateralen Abkommen unterscheiden. Ein bilaterales Abkommen wird zwischen zwei Staaten geschlossen und ermöglicht so, die Handelsbeziehungen zwischen diesen beiden Partnern zu intensivieren und zu regeln. Das Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Japan ist ein Beispiel dafür. Betrifft die Handelsliberalisierung mehr als zwei Staaten, ist die Rede von multilateralen Abkommen. Sie werden unter dem Dach der Welthandelsorganisation (WTO) geschlossen und verpflichten alle Teilnehmer, die entsprechenden Regeln einzuhalten. 

    Eine besondere Form der multilateralen Abkommen ist das plurilaterale: Dieses wird zwischen einer begrenzten Anzahl von Staaten (mindestens drei) geschlossen, die ein besonderes Interesse am Schwerpunkt des Abkommens pflegen. Beispielsweise trat 1997 das plurilaterale Abkommen über die Beseitigung der Zölle auf Güter der Informationstechnologie in Kraft. Aber auch außerhalb der WTO bestehen plurilaterale Abkommen, beispielsweise der Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN).  

    FHA bieten enorme Chancen 

    Unabhängig davon, auf welcher Ebene die Handelsliberalisierung erfolgt, bieten Handelsabkommen enorme Chancen. Sie wirken dem Protektionismus entgegen, indem der internationale Handel von Handelshemmnissen befreit wird. Charakteristisch für FHA ist in zollrechtlicher Hinsicht, dass jede Vertragspartei ihre Zölle auf Ursprungswaren der anderen Vertragspartei nach einem bestimmten Stufenplan abbaut. 

    Darüber hinaus schaffen FHA transparente und einheitliche Regeln, die wiederum für Rechtssicherheit, aber auch zu Zeit- und Kostenersparnissen führen. Dabei setzen FHA schon lange nicht mehr nur auf Themen des Warenhandels. In Abkommen der neuen Generation sind auch Regelungen, insbesondere zum Handel mit Dienstleistungen, zum Schutz von Rechten des geistigen Eigentums, zum öffentlichen Beschaffungswesen, E-Commerce und vielfach auch in Bezug auf die Erleichterung von Investitionen, verankert. 

    Nicht nur die Inhalte eines FHA sind komplex, auch die Verhandlungen erfordern Ausdauer. Zwischen Beginn und Inkrafttreten können Jahre vergehen. So verhandeln etwa die EU und die Mercosur-Staaten bereits seit mehr als 20 Jahren. Darüber hinaus kommt es auch nicht selten zu langen Verhandlungspausen, wie beim EU-Indien-Abkommen. 

    In den folgenden Beiträgen erläutert GTAI wichtige FHA, sortiert nach den jeweiligen Regionen, in denen sie gültig sind. 
     

    Von Dr. Melanie Hoffmann | Bonn

  • Stärkeres Wirtschaftswachstum für Afrika

    Eine riesige Freihandelszone, die sich über mehr als 50 Staaten erstreckt, soll dem Handel auf dem Kontinent Schwung verleihen und für wirtschaftlichen Aufschwung sorgen. Deutsche Exporteure profitieren zudem von speziellen Abkommen mit der EU.

    Die Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (AfCFTA) ist das Vorzeigeprojekt der Afrikanischen Union (AU) unter ihrer Agenda 2063, dem Plan für eine nachhaltige Entwicklung Afrikas. Das Abkommen zur Schaffung der AfCFTA trat im Mai 2019 in Kraft. Inzwischen haben 54 der 55 Mitgliedstaaten der AU den Vertrag unterzeichnet, 47 haben ihn ratifiziert. Mit der Freihandelszone soll ein kontinentaler Binnenmarkt für Waren und Dienstleistungen mit freiem Personen- und Kapitalverkehr geschaffen werden, um die wirtschaftliche Integration des afrikanischen Kontinents zu vertiefen.

    Kasten_AFCFTA Kasten_AFCFTA

    Die Verhandlungen über das Abkommen, das viele Themen abdeckt, finden in mehreren Phasen statt. Vereinbarungen zum Warenhandel, zum Handel mit Dienstleistungen und zur Beilegung von Streitigkeiten sind bereits in Kraft. Beschlossen ist der schrittweise Abbau der Zölle auf 97 Prozent der Tariflinien im innerafrikanischen Warenhandel. Diese Zollabbaulisten und die Ursprungsregeln sind jedoch noch nicht vollständig ausgehandelt. Einigung besteht bislang für 92,3 Prozent der Ursprungsregeln, die definieren, welche Produkte als afrikanisch gelten. Noch ausstehende Regeln im Automobil- und Textilsektor sollen bis September 2024 erarbeitet werden. 

    In einer zweiten Verhandlungsphase verabschiedete die AU im Februar 2023 Protokolle zu Investitionen, Wettbewerbspolitik und geistigen Eigentumsrechten. Aktuell laufen Verhandlungen über Regelungen zum digitalen Handel sowie zur Förderung von Frauen und von jungen Menschen im Handel. 

    Die Umsetzung der afrikanischen Freihandelszone startete formell im Januar 2021, der erhoffte Handel kam jedoch nicht in Gang. Deshalb rief das AfCFTA-Sekretariat im Oktober 2022 die Guided Trade Initiative ins Leben, um Unternehmen in acht Pilotländern beim präferenziellen Handel mit ausgewählten Produkten zu unterstützen. Die Initiative wird jetzt auf 35 interessierte Länder, weitere Produkte und auch auf Dienstleistungen ausgeweitet.

    Neben Zöllen will das Abkommen auch nichttarifäre Handelsbarrieren wie Importquoten, Zollbürokratie und unterschiedliche Normen beseitigen, um den innerafrikanischen Handel zu erleichtern. Erforderlich sind auch Investitionen, um die Infrastruktur zu verbessern. So nimmt etwa das AfCFTA-Sekretariat den Ausbau von regionalen Transportkorridoren in Angriff, um die Handelskosten auf dem Kontinent zu senken.

    Wertschöpfung vor Ort sicherstellen 

    Ein wichtiges Ziel der AfCFTA ist auch, die industrielle Entwicklung voranzutreiben. Die Herstellung von Produkten oder Zwischenprodukten orientiert sich dabei an den lokalen Bedürfnissen, um verstärkt regionale Wertschöpfungsketten aufzubauen. Im Rahmen der AfCFTA-Strategie für den Privatsektor wurden vier vorrangige Wertschöpfungsketten identifiziert: Verarbeitung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, Automobilindustrie, Arzneimittel sowie Transport und Logistik.

    Deutsche Exporteure können im grenzüberschreitenden Warenhandel mit Afrika von Maßnahmen wie dem Abbau von nichttarifären Handelshemmnissen, der Verbesserung der Infrastruktur und einer Erweiterung der regionalen Absatzmärkte profitieren – vorausgesetzt, das Freihandelsabkommen wird von den einzelnen Mitgliedstaaten wirksam umgesetzt. Zollvorteile der AfCFTA können Unternehmen in Anspruch nehmen, wenn sie auf dem Kontinent produzieren und die Ursprungsregeln für ein Produkt made in Africa erfüllen. 

    Wirtschaftspartnerschaftsabkommen EU-Subsahara-Afrika

    Die EU wendet mit 14 Staaten in Subsahara-Afrika Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) an, die derzeit nur die asymmetrische Liberalisierung des Warenhandels und die Entwicklungszusammenarbeit abdecken. Mit Côte d’Ivoire (siehe unten), Ghana und Kamerun sind bereits bilaterale WPA in Kraft. Zuletzt unterzeichnete die EU im Dezember 2023 ein WPA mit Kenia. Die Abkommen gewähren diesen afrikanischen Staaten, die keinen Least-Developed-Countries-Status der Vereinten Nationen besitzen, weiterhin zoll- und kontingentfreien Zugang zum EU-Markt. Im Gegenzug verpflichten sie sich, ihre Zölle auf rund 80 Prozent der EU-Waren innerhalb von 15 Jahren schrittweise abzuschaffen.

    Beteiligte Länder: EU-Mitgliedstaaten und Côte d’Ivoire 

    Zahl der betroffenen Menschen: rund 477,6 Millionen 

    Handelsvolumen: 8,4 Milliarden US-Dollar

    BIP der Freihandelsregion: 18.418 Milliarden US-Dollar

    Wichtige Branchen: landwirtschaftliche Erzeugnisse, Fahr­zeuge, Mineralöle, Pharma, Elektrotechnik

    Quellen: IWF, Eurostat, ITC 

    Von Andrea Mack | Bonn

  • Gut geschützt: der Handel in Amerika

    Vor allem drei Abkommen prägen den Handel auf dem nord- und südamerikanischen Kontinent, wobei eines davon seit knapp fünf Jahren in der Schwebe hängt.

    Kasten_USMCA Kasten_USMCA

    Das United States–Mexico–Canada Agreement, kurz USMCA genannt, trat im Juli 2020 in Kraft. Dieses Freihandelsabkommen unterscheidet sich von seinem Vorgänger, dem North American Free Trade Agreement, vor allem durch strengere Ursprungsregeln. Das gilt insbesondere im Kfz-Sektor, für chemische Produkte und Stahl. Deutsche Unternehmen in der Region können von Zollvorteilen des USMCA profitieren, wenn sie die Ursprungsregeln erfüllen. Außerdem müssen Kfz-Hersteller strengere arbeitsrechtliche Vorschriften beachten.

    Strenge Regeln schützen Nordamerika 

    Ein Beispiel: Bei der Produktion von Personenfahrzeugen müssen Unternehmen für einen USMCA-Ursprung einen höheren sogenannten regionalen Wertschöpfungsanteil gewährleisten. Er betrug zunächst 62,5 Prozent. Bis 2025 steigt er innerhalb einer Übergangsregelung auf bis zu 75 Prozent. Außerdem müssen Hersteller seit dem Jahr 2023 40 Prozent ihrer Wertschöpfung von Arbeitern mit einem Stundenlohn von mindestens 16 US-Dollar herstellen lassen. Dies gewährleistet ein faires Lohnniveau. Arbeitsrechtliche Standards werden zudem ständig überwacht – ein zusätzlicher Schutz der Belegschaft. 

    Deutsche Autobauer in der Region sollten ihre Produktionsprozesse auf die USMCA-Vorgaben zuschneiden. Die Ursprungsregeln werden zudem ständig an neue Herstellungsverfahren und technologische Entwicklungen angepasst. Da das kosten- und zeitaufwendig sein kann, gibt es Übergangsfristen. 

    Darüber hinaus verbessert das USMCA zum Beispiel auch den Schutz geistigen Eigentums. Dies ist für neue geografische Ursprungsbezeichnungen oder Innovationen im Pharmasektor von Vorteil. 

    Die EU-Mercosur-Verhandlungen

    Der Mercosur, der gemeinsame Markt Südamerikas, ist wie eine Zollunion mit gemeinsamem Außenzolltarif konzipiert. Die Mitgliedstaaten schützen ihre heimische Industrie mit hohen Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen, die den Zugang zum inländischen Markt erschweren. 

    Die EU und der Mercosur haben 2019 ein Assoziierungsabkommen ausgehandelt, das EU-Unternehmen den Marktzugang deutlich erleichtert. Damit könnten sie unter anderem vom Zollabbau für Fahrzeuge, Kfz-Teile, Maschinen, chemische Erzeugnisse, Arzneimittel sowie Bekleidung, Schuhe und Nahrungsmittel, von der Beseitigung technischer Handelshemmnisse und vom verbesserten Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen profitieren. 

    Doch stocken seither die Verhandlungen. Der Hauptgrund: starke Bedenken einiger EU-Staaten, insbesondere in Bezug auf den Umweltschutz. Die Mercosur-Länder haben in der Zwischenzeit ihre Verbindungen mit China kontinuierlich ausgebaut. Ein Abschluss vor der Europawahl im Juni 2024 scheint jedoch ausgeschlossen.

    Beteiligte Länder: EU-Mitgliedstaaten, Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Bolivien befindet sich im Beitrittsprozess. 

    Zahl der betroffenen Menschen1): rund 719 Millionen 

    Handelsvolumen2): 118,3 Milliarden US-Dollar

    BIP der Freihandelsregion3): 19.377 Milliarden US-Dollar

    Wichtige Branchen: Die EU liefert chemische Erzeugnisse, Maschinen und Fahrzeuge. Der Mercosur exportiert hauptsächlich agrarische und mineralische Rohstoffe.

    Quellen: 1) Eurostat, 2023 für die EU und Statista, 2022 für den Mercosur 2) Eurostat, 2023; 3) IWF, 2022

    Von Andrea González Alvarez, Stefanie Eich, Susanne Scholl | Bonn

  • Gemeinsam stark: Die Asien-Pazifik-Region

    Vor allem zwei Vereinbarungen beeinflussen den Handel zwischen EU-Staaten und den asiatischen Ländern. Doch nur eine konnten die europäischen Staaten mitgestalten.

    Zum 1. Januar 2022 ist das Regional Comprehensive-Economic-Partnership-Agreement (RCEP) in Kraft getreten. Dadurch ist die derzeit weltgrößte Freihandelszone entstanden. Etwa 30 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts werden hier erwirtschaftet. Indien, das ursprünglich ebenfalls teilnehmen wollte, hat sich gegen das Abkommen entschieden und sich vor Unterzeichnung der Verträge aus den Verhandlungen zurückgezogen.
     

    Kasten_RCEP Kasten_RCEP

    Kernstück des RCEP ist der Abbau der Zölle. Außerdem enthält das Abkommen Bestimmungen zu Handelserleichterungen, sanitären und pflanzenschutzrechtlichen Bestimmungen, technischen Standards, Handelsschutzinstrumenten, Dienstleistungen, Personenverkehr, Investitionen, Schutz geistigen Eigentums, E-Commerce, Wettbewerbsregeln und öffentlichem Auftragswesen.

    Kaum Veränderungen zu erwarten

    Wichtig zu wissen ist, dass die Vertragsparteien schon vor 2022 zahlreiche ältere Freihandelsabkommen (FHA) untereinander vereinbart hatten und aus diesem Grund zwischen diesen Staaten künftig keine einschneidenden Entwicklungen zu erwarten sind. Als Beispiele seien die Abkommen der ASEAN-Staaten untereinander oder das FHA zwischen China und den ASEAN-Staaten, das seit 2005 in Kraft ist, genannt. Zwischen China und Neuseeland existiert ein Abkommen seit 2008, zwischen China und Australien wiederum seit 2015.
    Eine erste, grobe Analyse des sehr umfangreichen Abkommens hat ergeben, dass der Abbau der Zölle nur sehr langsam über lange Zeiträume von meist zehn (häufig im Maschinen- und Anlagenbau) oder 20 Jahren erfolgen wird. In Einzelfällen kann dies sogar bis zu 35 Jahre in Anspruch nehmen. Das gilt insbesondere für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Bestimmte Waren wie Reis, Weizen, bestimmte CNC-Maschinen oder Kraftfahrzeuge sind sogar ganz vom Zollabbau ausgenommen. Die heimischen Hersteller sollen also nur sehr behutsam internationalem Konkurrenzdruck ausgesetzt werden. Generell sind die Abbauszenarien sehr differenziert ausgestaltet, sodass eine allgemeine Aussage, wie sich das RCEP generell auswirken wird, nur sehr eingeschränkt möglich ist. Das muss am jeweiligen Einzelfall geprüft werden.

    In der Übersicht über den geplanten Zollabbau Chinas zeigt sich, dass sich die Wettbewerbssituation für deutsche Exporteure in den Sektoren Bekleidung, Maschinenbau und Elektrotechnik sofort mit dem Inkrafttreten verschärft hat. Im Fahrzeugbau bleibt die Wettbewerbssituation gleich, weil die Branche vom Zollabbau ausgenommen ist. Der Tabelle liegt eine grobe, übergreifende Betrachtung zugrunde. In allen Sektoren gibt es für einzelne Waren Ausnahmen. 

    Was Chinas Zollabbau bringt. Was Chinas Zollabbau bringt. | © GTAI

    EU-Handel mit Südkorea boomt

    Das EU-Korea-FHA ist das erste von vier abgeschlossenen Abkommen der EU in Asien. Während der Handelsteil schon seit dem 1. Juli 2011 vorläufig in Kraft war, wird das Abkommen seit Dezember 2015 – nach Ratifizierung aller nationalen Parlamente – vollständig umgesetzt. Somit entfielen ab Mitte 2011 die Zölle auf mehr als 90 Prozent der gehandelten Industriegüter mit einem Gewicht von rund drei Vierteln am gesamten bilateralen Handel.

    Der vorgesehene Zollabbau ist weitgehend abgeschlossen. Die Zölle auf zahlreiche gewerbliche Waren wie Kfz-Teile, Textilien oder Bekleidung wurden sofort abgeschafft. Seit Juli 2016 sind sämtliche gewerbliche Waren zollfrei. Bei Agrarwaren erfolgt der Abbau über längere Zeiträume von bis zu 15 Jahren, also noch bis zum 1. Juli 2026. Reis ist generell vom Abkommen ausgeschlossen.

    Begünstigt werden nur Waren, die Ursprungserzeugnisse der EU oder Südkoreas sind. Dazu darf ein bestimmter, prozentualer Wertanteil von Vorerzeugnissen aus dritten Ländern nicht überschritten werden. Es können auch bestimmte Verarbeitungsschritte, zum Beispiel das Herstellen aus Garnen, gefordert sein. Um von den Zollvorteilen profitieren zu können, bedarf es einer Ursprungserklärung auf einem Handelspapier, dies kann eine Rechnung, ein Frachtbrief oder Ähnliches sein. 

    Neben dem Zollabbau haben die Vertragsstaaten vereinbart, viele Normen und Bescheinigungen als gleichwertig anzuerkennen.

    Das EU-Korea-FHA

    Beteiligte Länder: EU-Mitgliedstaaten und Südkorea 

    Zahl der betroffenen Menschen: 499 Millionen

    Handelsvolumen: 129,9 Milliarden. Euro

    BIP der Freihandelsregion: 16.229 Milliarden Euro

    Wichtige Branchen: Elektrotechnik, chemische Erzeugnisse, Kraftfahrzeuge, Maschinen.

    Quelle: Destatis

    Von Klaus Möbius, Katharina Viklenko | Bonn

  • Die EU spricht mit einer Stimme

    Wenn europäische Staaten verhandeln, sitzen die Vertreter der EU am Tisch. Die 27 Mitgliedstaaten kommen zusammen auf ein Bruttoinlandsprodukt von knapp 17 Billionen Euro, davon werden allein in der Eurozone rund 14,4 Billionen Euro erwirtschaftet.

    Die EU-Mitgliedstaaten verhandeln gemeinsam. 42 Freihandelsabkommen mit knapp 80 Staaten – über dieses weitverzweigte Netz an Handelsabkommen verfügt die EU aktuell. Ihr erstes bilaterales Abkommen hat die EU, damals noch als Europäische Gemeinschaft (EG), 1973 mit der Schweiz abgeschlossen. Das Handels- und Kooperationsabkommen (Trade and Cooperation Agreement, TCA) mit dem Vereinigten Königreich ist dagegen eines der Letzten, das die EU verhandelt hat. Es ist gleichzeitig eine Kuriosität: Es ist das erste Abkommen, das Handelsbedingungen verschlechtert hat, anstatt sie zu verbessern. 

    Kasten_TSA Kasten_TSA

    FHA statt EU-Mitgliedschaft

    Dabei ist das TCA, verglichen mit anderen Abkommen der EU, besonders weitgehend: Es gewährt vollständige Zollfreiheit für alle Ursprungswaren und es gibt keinerlei mengenmäßige Beschränkungen im Warenverkehr. Die Ursprungsregeln sind besonders großzügig. 

    Dennoch kann das TCA die Mitgliedschaft in der EU keinesfalls ersetzen. Zum einen, weil die administrativen Hürden im Handel seit Inkrafttreten des Abkommens höher geworden sind. Durch den Austritt der Briten aus der EU ist eine Zollgrenze entstanden. Für jede Lieferung sind Ein- und Ausfuhranmeldungen einzureichen. Zum anderen haben die Briten den Binnenmarkt verlassen. So sind zwei rechtlich voneinander getrennte Märkte entstanden. Gemeinsame Produktvorschriften oder eine automatische gegenseitige Anerkennung von Produktstandards gibt es nicht mehr. Das TCA schließt diese Lücke nicht. Für Unternehmen bedeutet das mehr Papierkram und höheren Aufwand. Sie brauchen beispielsweise Veterinärbescheinigungen für bestimmte Lebensmittelexporte oder Pflanzengesundheitszeugnisse für Saatgut. Wer Medizinprodukte vertreiben möchte, braucht einen rechtlichen Vertreter im Exportland. Zudem ist fraglich, ob langfristig doppelte Zertifizierungen für bestimmte Produkte notwendig sein werden. Das Abkommen hat also Potenzial für Verbesserungen. 

    Nach fünf Jahren wollen beide Vertragsparteien erstmals Bilanz ziehen: Im Frühjahr 2026 ist eine erste Review geplant. Wie diese ausfällt, ist von der politischen Konstellation abhängig. 2024 wählt das Vereinigte Königreich eine neue Regierung und auch eine neue EU-Kommission nimmt ihre Arbeit auf, nachdem die EU ein neues Europäisches Parlament gewählt hat. Ob es bei der Review also um kleinteilige technische Aspekte gehen wird oder eine weitgehende Überarbeitung des Abkommens, wird sich noch zeigen.

    Kasten_EU-Schweiz Kasten_EU-Schweiz

    Abkommen mit der Schweiz: es ist kompliziert

    Das Abkommen mit der Schweiz ist übrigens in die Jahre gekommen. Neben dem Freihandelsabkommen haben die EU und die Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten zusätzlich verschiedenste sektorspezifische Abkommen zu unterschiedlichen Themen ausgehandelt. Um das komplizierte Geflecht der diversen Abkommen zu vereinfachen, verhandelten die EU und die Schweiz über ein institutionelles Abkommen. 2021 brach die Schweiz die Verhandlungen über das sogenannte Rahmenabkommen aus innenpolitischen Gründen ab. Es war absehbar, dass die Schweizer Bevölkerung das Abkommen per Volksabstimmung abgelehnt hätte. In diesem Jahr wollen beide Seiten einen neuen Versuch starten und die Verhandlungen wieder aufnehmen. 

    Von Stefanie Eich | Bonn

  • "Kompromisse sind eine Frage von innenpolitischen Machtverhältnissen“

    Der Volkswirt und Politologe Christoph Scherrer spricht im Interview über die Chancen, Risiken und Hürden von Freihandelsabkommen.

    Volkswirt und Politologe Christoph Scherrer Volkswirt und Politologe Christoph Scherrer | © Christoph Scherrer/Sonja Rode/Lichtfang

    Wie wichtig sind Freihandelsabkommen? 

    Die Bedeutung von Freihandelsabkommen hängt von der jeweiligen Position innerhalb einer Volkswirtschaft ab. Heutige Handelsabkommen gehen weit über den Abbau von Zöllen auf Industriegüter hinaus. Mit Kapiteln zu technischen Standards, Dienstleistungen, grenzüberschreitendem Einsatz von Arbeitskräften und geistigem Eigentum berühren sie alle Bereiche der Wirtschaft. Einige international wettbewerbsfähige Wirtschaftssektoren profitieren von den neuen Handelsabkommen, andere, weniger wettbewerbsfähige Sektoren und ihre Arbeitskräfte verlieren entsprechend. Gelingt es, die Arbeitskräfte in die erfolgreichen Sektoren mit höherer Wertschöpfung zu verlagern, gewinnt die gesamte Volkswirtschaft. Dies ist jedoch nicht automatisch der Fall. Oftmals landen die Beschäftigten der weniger wettbewerbsfähigen Branchen in prekären Arbeitsverhältnissen des Dienstleistungssektors. 

    Wie wirken sich diese Verpflichtungen auf den Handel mit Dienstleistungen aus? 

    Nun, in Handelsabkommen geht es um Nichtdiskriminierung. Ausländer dürfen nicht benachteiligt werden. Während im Warenhandel einige staatliche Regelungen traditionell auf die Diskriminierung ausländischer Anbieter ausgerichtet sind, haben sie im Dienstleistungsbereich dagegen ganz andere Motive: Sie sollen sicherstellen, dass grundlegende Dienstleistungen flächendeckend und allgemein zugänglich erbracht werden, dass Qualitätsstandards eingehalten werden und dass demokratische Teilhabe und Kontrolle gewährleistet sind. Die Anwendung der einfachen Nichtdiskriminierungsregel greift jedoch tief in ein Regelwerk ein, das anderen Zielen als der Behinderung oder Erleichterung grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit verpflichtet war und ist.

    Welchen Chancen, aber auch Risiken sind mit dem Abschluss von Freihandelsabkommen für die beteiligten Länder verbunden?

    Für Entwicklungsländer bieten Freihandelsabkommen die Chance, mehr in reiche Märkte exportieren zu können. Das Risiko besteht darin, dass sie in der traditionellen internationalen Arbeitsteilung verharren. Den Zugang zu den reichen Märkten für ihre bisherige Produktpalette müssen sie mit der Öffnung für die fortgeschrittenen Produkte und Dienstleistungen der reichen Länder erkaufen. Dies erschwert es ihnen, selbst in die fortgeschritteneren Bereiche vorzudringen.

    Auf welche Länder trifft das eine oder andere zu?

    Der größte Erfolgsfall, die Volksrepublik China, hat sich gezielt und selektiv dem Weltmarkt geöffnet. Zu den Verlierern gehören die Länder, die unter dem Druck der vom IWF verordneten Strukturanpassungsprogramme ihre Märkte stark für ausländische Konkurrenz geöffnet haben.

    Worauf kommt es bei Verhandlungen von Freihandelsabkommen an? 

    Die zentrale Währung bei der Aushandlung von Handelsabkommen ist die Kaufkraft des jeweiligen nationalen Marktes. Je höher die Kaufkraft, desto begehrter ist der Zugang zu diesem Markt. Das heißt, reiche Länder sind grundsätzlich im Vorteil. Die Komplexität der neuen „tiefen“ Freihandelsabkommen erfordert viel Spezialwissen. Auch hier sind reiche Länder im Vorteil, die sich große Verhandlungsdelegationen mit hoch bezahlten Expertinnen leisten können.

    Wie gelingt es auf dem internationalen Parkett, Kompromisse zu schließen? 

    Asymmetrische Kompromisse sind relativ leicht zu erzielen: Der Stärkere setzt mehr durch. Schwieriger wird es, wenn die Machtverhältnisse zwischen den Verhandlungspartnern ausgeglichener sind. Dann müssen beide Seiten die Interessen des jeweils anderen berücksichtigen. Dies gelingt nur, wenn im jeweiligen Land diejenigen, die durch die Begehrlichkeiten des anderen Landes Nachteile befürchten müssen, sich entweder politisch nicht Gehör verschaffen können oder anderweitig kompensiert werden. Es ist also vor allem eine Frage der innenpolitischen Macht- und Interessenkonstellationen, inwieweit Kompromisse möglich sind.

    Ab wann sind Verhandlungen zum Scheitern verurteilt? 

    Verhandlungen scheitern, wenn die reichen Länder nicht bereit sind, auf die Interessen der armen Länder einzugehen. Deshalb sind die Verhandlungsrunden in der Welthandelsorganisation (WTO) gescheitert. Die EU, die USA und Japan waren nicht bereit, ihre Agrarmärkte im Gegenzug für einen besseren Investitionsschutz, die Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens und den Abbau von Subventionen für Staatsbetriebe zu öffnen.

    Was können einzelne Länder oder sogar einzelne Branchen tun, damit ihre Interessen stärker in einem Abkommen berücksichtigt werden?

    Bündnisse schließen. Brasilien unter den ersten Präsidentschaften von Lula war diesbezüglich im Rahmen der WTO erfolgreich.

    Kommt es bei der Verhandlung von Freihandelsabkommen ausschließlich auf die Wahrung wirtschaftlicher Interessen an? 

    Zwischenstaatliche Abkommen, gleich welcher Art, müssen der Bevölkerung zugute kommen. Deshalb sollte ein Handelsabkommen nicht nur den Eigentümern von Wirtschaftsunternehmen Vorteile bringen. Handelsabkommen sollten auch der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit verpflichtet sein.

    Welche Freihandelsabkommen funktionieren Ihrer Meinung nach gut beziehungsweise nicht? 

    Die Freihandelsabkommen der EU sind meines Erachtens in Bezug auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit zahnlos, das heißt die Nachhaltigkeitskapitel verfügen über keine wirksamen Durchsetzungsmechanismen. Dies gilt auch für das noch nicht in Kraft getretene Abkommen mit dem südamerikanischen Mercosur. Dessen Nachhaltigkeitskapitel enthält keine Bestimmungen zu seiner Durchsetzung. Ein positives Beispiel ist das wirksame Arbeitsrechtskapitel im überarbeiteten nordamerikanischen Handelsabkommen USMCA.

    Mit welchen Ländern oder Regionen sollte die EU Ihrer Meinung nach künftig in Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen eintreten?

    Ich plädiere für ein Verhandlungsmoratorium, da die Verhandlungspositionen weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit festgelegt wurden und somit eine Konzernagenda widerspiegeln. Statt der beschriebenen Konzernagenda zu folgen, sollte sich eine Neuausrichtung der Weltwirtschaft an vier Prinzipien orientieren: Multilateralismus, wirtschaftspolitischer Spielraum für nachhaltige Entwicklung, Kompensation der Verlierer und vor allem Internalisierung externer Effekte. 

    Was bewirkt eine solche Neuausrichtung?

    Für einen fairen Interessenausgleich sind multilaterale Verhandlungsrunden unverzichtbar. Dabei sollte Spielraum für nachholende und nachhaltige wirtschaftspolitische Maßnahmen gelassen werden. Da die Marktpreise Umweltschäden und die Missachtung von Menschenrechten, die sogenannten externen Effekte bei der Produktion von Gütern, nicht erfassen, sind Maßnahmen durch Lieferkettengesetze und auch Zölle notwendig, um die Kosten nachhaltigen Wirtschaftens einzupreisen. Die Corona-Pandemie lehrt, dass insbesondere die Internalisierung der Kosten einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung vordringlich ist.

    Von Susanne Widrat (wortwert) | Köln

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