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Spanien will aktivere Rolle für Europas Gasversorgung spielen
Das Potenzial des Landes zum Import von Flüssigerdgas soll besser genutzt werden. Auf längere Sicht könnte durch neue Pipelines auch grüner Wasserstoff gepumpt werden.
05.09.2022
Von Oliver Idem | Madrid
Die Regierung in Madrid setzt auf mehr europäische Zusammenarbeit beim Ausbau der Gasinfrastruktur. Einerseits verfügt Spanien über hohe Kapazitäten zur Anlandung von Flüssigerdgas (LNG), ist andererseits aber kaum an andere Länder angebunden. Mit einer zusätzlichen Pipeline nach Frankreich oder Italien könnten die spanischen LNG-Terminals besser genutzt und der europäische Energiemarkt stärker vernetzt werden.
Laut Medienberichten stehen das iberische Nachbarland Portugal und Deutschland dem Vorhaben zum Bau einer neuen Pipeline durch die Pyrenäen offen gegenüber. Das "Midcat"-Projekt sieht den Bau einer knapp 230 Kilometer langen Gasleitung zwischen den Städten Hostalric in Katalonien und dem französischen Barbaira vor. Portugal könnte seine westliche Randlage als Vorteil nutzen. Mit dem Tiefwasserhafen Sines existiert eine Anbindung an den Nordatlantik. In der Küstenstadt befindet sich auch Portugals Regasifizierungsanlage für Flüssigerdgas. Von dort aus könnte Gas durch Spanien weiterverteilt werden.
Die Pläne für die Pipeline erhalten zunehmend Rückenwind auf europäischer Ebene. Spaniens nördlicher Nachbar Frankreich hätte eine Schlüsselrolle beim Bau der Gasleitung durch die Pyrenäen. Das Land wird jedoch vor allem über die Nordsee aus Norwegen versorgt und besitzt drei eigene LNG-Terminals. Aus französischer Perspektive besteht daher wenig Bedarf an dem Projekt. Dennoch kündigte Präsident Emmanuel Macron laut der Tageszeitung El Mundo an, das Vorhaben zu prüfen.
Wer die zu erwartenden rund 3 Milliarden Euro für eine Pipeline durch die Pyrenäen aufbringen soll, ist noch offen. Bei einer Einigung zwischen Spanien und Frankreich könnte die Europäische Union einen finanziellen Beitrag leisten.
Spanien mit viel Potenzial zum Import von LNG, aber nur wenig Pipelines
Im europäischen Vergleich gehört Spanien mit sechs Terminals zur Umwandlung von Flüssiggas zu den wichtigsten Standorten. Die Anlagen verfügen über eine Jahreskapazität von maximal 60 Milliarden Kubikmeter.
Auf der iberischen Halbinsel sind zwar die Gasnetze von Spanien und Portugal miteinander verbunden, die Vernetzung mit dem Rest des Kontinents ist aber gering. Die Kapazität der beiden bestehenden Röhren nach Frankreich umfasst bislang nur 7 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Auf diesem Weg könnten also rechnerisch nur 12 Prozent der spanischen Maximalproduktion exportiert werden. Somit kann Spanien sein Potenzial zur Umwandlung von Flüssigerdgas nur zu einem geringen Teil ausschöpfen. Momentan steht das Land für 3 Prozent der Regasifizierungsmenge in Europa. Laut der Wirtschaftszeitung Expansión sieht der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez das Potenzial seines Landes bei einem Anteil von 30 Prozent.
Eine zusätzliche Anbindung an Frankreich würde erheblich dazu beitragen, diesem Anteil näherzukommen. Der jährliche Durchfluss könnte in dem Fall auf 10 Milliarden bis 15 Milliarden Kubikmeter erhöht werden. Laut der Wirtschaftszeitung Cinco Días geht die spanische Regierung davon aus, dass eine weitere Röhre durch die Pyrenäen bereits innerhalb von acht bis neun Monaten fertiggestellt werden könnte.
Unterwasserleitung ins italienische Livorno als Plan B
Als Alternative zur Midcat-Leitung durch die Pyrenäen wird in Spanien ein Anschluss an das italienische Gasnetz diskutiert. Hier käme der Bau einer Pipeline von Barcelona ins norditalienische Livorno in Betracht. Die Anlage in Barcelona gehört zu den größten, die in Europa Flüssiggas umwandeln können.
Der voraussichtliche Aufwand wäre allerdings wesentlich höher als bei der Pyrenäen-Lösung. Dazu tragen ein Mehrfaches an Entfernung, ein längerer Umsetzungszeitraum und entsprechend höhere Kosten durch die Verlegung der Rohre unter Wasser bei. Dennoch hätte das Projekt auch einen Nutzen für die europäische Gasversorgung: Italien besitzt bereits mehrere Anbindungen an die Gasnetze anderer Länder. Dadurch könnte die Bedeutung als Drehscheibe künftig noch zunehmen.
Infrastruktur soll über das fossile Energiezeitalter hinaus genutzt werden
Zu Beginn der Diskussionen um die Midcat-Pipeline sorgte für viel Skepsis, dass das Vorhaben den europäischen Dekarbonisierungszielen zuwider laufen könnte. Mittlerweile kristallisiert sich aber heraus, dass es kein teures Projekt für fossile Energien mit kurzer Nutzungsdauer werden dürfte. Moderne Pipelines könnten in Zukunft auch für den Transport von Wasserstoff eingesetzt werden.
Sowohl Spanien als auch Portugal verfügen über ausgezeichnete natürliche Voraussetzungen, um kostengünstig Wasserstoff mit Hilfe von erneuerbaren Energien herzustellen. Diesen Standortvorteil könnten die iberischen Länder nutzen, um zu einer klimaschonenden Versorgung der Industrie im Norden des Kontinents beizutragen.
Das noch junge Gasnetz in Portugal eignet sich bereits überwiegend für die Durchleitung von Wasserstoff. In Spanien könnten die Leitungen entsprechend umgerüstet werden.