Branchen | Türkei | Bauwirtschaft
Die Auftragsbücher der türkischen Bauunternehmen sind gut gefüllt
Die Baunachfrage ist rege. Dennoch fürchtet die Branche wegen der hohen Zinsen Einbußen. Sparmaßnahmen könnten Infrastrukturprojekte gefährden.
19.10.2023
Von Katrin Pasvantis | Istanbul
Die Baubranche fürchtet vor allem im Infrastrukturbau einen Rückgang der Projektaktivität infolge staatlicher Sparmaßnahmen. Besser sieht es beim sozialen Wohnungsbau aus. Dort könnte die Regierung trotz knapper öffentlicher Gelder im Vorfeld der Kommunalwahlen im März 2024 Projekte initiieren. Selbiges gilt für Unterstützungsprogramme für den Erwerb des ersten Wohneigentums.
Noch aber sind die Auftragsbücher der Branche gut gefüllt. Die Bauwirtschaft hat sich trotz der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bis dato gut entwickelt. Im 2. Quartal 2023 verzeichnete die türkische Wirtschaft ein reales Wachstum von 3,8 Prozent, während die Bauwirtschaft um 6,2 Prozent zulegte. Wachstumsimpulse kommen im Hochbau vor allem vom Einzelhandel und Logistiksektor. Im 2. Halbjahr 2023 könnte sich eine restriktivere Geldpolitik über eine Kreditverknappung negativ auf den Bausektor auswirken.
Infrastrukturprojekte auf dem Prüfstand
Im Infrastrukturbau dürften Projekte erneut auf den Prüfstand gestellt werden. Finanzminister Mehmet Simsek hat im Zuge der restriktiveren Geldpolitik die öffentlichen Budgets gekürzt. Geplante Vorhaben, die nicht als zwingend erforderlich erachtet werden, könnten verschoben oder sogar vollständig gestrichen werden. Darüber hinaus könnten finanzielle Engpässe bei laufenden Projekten auftreten, wodurch diese verlangsamt oder gar ausgesetzt werden könnten.
Projektbezeichnung | Investition (in Milliarden US-Dollar) | Projektstand/Realisierungszeitraum *) | Auftraggeber |
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Kanal Istanbul | 15,0 | Im Bau; staatliche Förderung, von März 2024 bis Dezember 2026 | Ministerium für Verkehr und Infrastruktur |
Kernkraftwerk Sinop | 5,0 | In Planung, staatliche Förderung, von Juli 2024 bis Juni 2029 | Staatlicher Stromanbieter TEDAS |
Kupfer- und Goldmine Lidya Mining | 0,3 | In Planung, privat, von Dezember 2024 bis Mai 2027 | Bauunternehmen Lidya Yapi; Umsetzung des Projekts: |
Personalunterkunft am Flughafen Istanbul | 0,3 | In Planung, privat, von Februar 2024 bis Dezember 2026 | Immobilien- Investmentgesellschaft Emlak Konut |
Baustoffverband erwartet höhere Nachfrage
Der Baustoffverband IMSAD erwartet, dass die Nachfrage nach lokal gefertigten Baustoffen steigen wird, da die schwache türkische Lira die Importe verteuert. Die Außenhandelsdaten für Juli 2023 zeigen jedoch bisher keinen Rückgang der Importnachfrage. Die Einfuhr von Baumaterialien stieg um 37 Prozent auf 1,1 Milliarden US-Dollar (US$). Gleichzeitig gingen die Exporte von Baumaterialien um 10 Prozent auf 30 Milliarden US$ zurück.
Die Türkei ist laut IMSAD einer der fünf größten Baustoffproduzenten weltweit. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2023 stieg die Produktion von Baumaterialien in der Türkei laut IMSAD um 5,4 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode. Starken Zuwächsen in diversen Kategorien stehen auch einige Rückgänge gegenüber, beispielsweise bei Baugläsern und keramischen Beschichtungsmaterialien.
Januar bis Juli 2023 *) | Juli 2023 *) | |
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Baumaterialien, insgesamt | 5,4 | 29,8 |
darunter | ||
Metallkonstruktionen und Gebäudeteile | 46,2 | 58,0 |
Metalltüren und Fenster | 45,6 | 87,2 |
Baumaterial aus Holz | 30,2 | 69,0 |
Baumaterial aus Kunststoff | 22,2 | 71,0 |
Baugläser | -16,4 | -3,8 |
keramische Beschichtungsmaterialien | -13,4 | -3,8 |
Einzelhandel und Logistiker planen neue Projekte
Im Gewerbebau kommen Wachstumsimpulse vor allem vom Einzelhandel und Logistiksektor. Der Einzelhandel investiert weiter in Einkaufszentren und Ladengeschäfte in Fußgängerzonen - die Anzahl der Baugenehmigungen für entsprechende Gebäude legte im 1. Halbjahr 2023 kräftig zu. Trotz der restriktiveren Geldpolitik blieb der private Konsum bislang robust. Die hohe Inflation dürfte entscheidend dazu beitragen, dass die Bevölkerung ihr Geld eher ausgibt als spart.
| Aktiv | Im Bau | Insgesamt |
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Istanbul | 135 | 15 | 150 |
Ankara | 44 | 3 | 47 |
Restliche Türkei | 276 | 19 | 295 |
Insgesamt | 455 | 37 | 492 |
| 2022 | 1. Halbjahr 2023 | Veränderung (2023/22) *) |
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Anzahl der Bauten | 2.477 | 1.361 | 26,7 |
Fläche (in Tsd. m2) | 3.489 | 1.792 | 30,2 |
| 2022 | 1. Halbjahr 2023 | Veränderung (2023/22) *) |
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Anzahl der Bauten | 4.901 | 2.112 | -5,5 |
Fläche (in Tsd. m2) | 11.159 | 6.307 | 25,5 |
Leerstände bei Bürogebäuden sinken
Die Nachfrage nach Büroflächen zog in den ersten sechs Monaten 2023 an. Der Leerstand in zentralen Geschäftsbezirken ist auf 11 Prozent gesunken. Neue Mietverträge kamen dem Immobilienunternehmen Value Solution Partners zufolge vor allem aus dem IT-Sektor, dem E-Commerce und der Luftfverkehrbranche. Investoren zögern beim Bau neuer Büroprojekte. Die Fertigstellung des Istanbul Financial Center hat das Angebot an Büros der Klasse A für den Finanzsektor deutlich erhöht.
| 2022 | 1. Halbjahr 2023 | Veränderung (2023/22) *) |
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Anzahl der Bauten | 3.142 | 1.378 | 4,4 |
Fläche (in Tsd. m2) | 6.634 | 2.925 | 51,5 |
Hotelbau erlebt Flaute
Die Anzahl der Baugenehmigungen für Hotels ist im 1. Halbjahr stark zurückgegangen. Die Branche erwartet jedoch mittelfristig gute Wachstumsaussichten und entsprechende Investitionen. Einige internationale Hotelketten sollen planen, in den türkischen Markt einzusteigen.
| 2022 | 1. Halbjahr 2023 | Veränderung (2023/22) *) |
---|---|---|---|
Anzahl der Bauten | 1.723 | 577 | -45,4 |
Fläche (in Tsd. m2) | 1.937 | 970 | 9,7 |
Erdbebensicheres Bauen im Fokus
Der Wohnungsmarkt ist im 1. Halbjahr 2023 eingebrochen. Die Immobilienverkäufe in der Türkei sanken im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum um 22 Prozent und in Istanbul um 28 Prozent. Die Hauptgründe dürften steigende Preise und eine allgemeine Zurückhaltung im Vorfeld der Wahlen gewesen sein. Mittelfristig ist angesichts steigender Baugenehmigungen zu erwarten, dass der Wohnungsbau an Fahrt gewinnt, auch wenn Finanzierungsprobleme bleiben dürften. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem erdbebensicheren Bauen. Viele Wohnungseigentümer im erdbebengefährdeten Istanbul planen den Abriss und Neubau ihrer Gebäude im Rahmen des städtischen Transformationsprogramms.
| 2022 | 1. Halbjahr 2023 | Veränderung (2023/22) *) |
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Anzahl der Gebäude | 138.533 | 54.553 | -1,2 |
Anzahl der Wohnungen | 723.201 | 319.500 | 17,0 |
Fläche (in Tsd. m2) | 151.103 | 65.391 | 12,6 |
Berichten zufolge wird derzeit ein neues Gesetz zur städtischen Transformation vorbereitet, was die Bauaktivitäten in diesem Bereich verstärken würde. Die Regierung hat auch umfassende Ziele für Katastrophen- und Risikomanagement in ihr mittelfristiges Wirtschaftsprogramm für den Zeitraum 2024 bis 2026 aufgenommen, das im September veröffentlicht wurde. Besondere Aufmerksamkeit gilt erdbebengefährdeten Regionen, insbesondere Istanbul. Es wird erwartet, dass eine Direktion oder ein Ministerium für die Städtetransformation eingerichtet wird. Zum 1. Januar 2024 wird für Bewehrungsstahl das Überwachungssystem IDIS implementiert.
| 2022 | 1. Halbjahr 2023 | Veränderung (2023/22) *) |
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Anzahl der Bauten | 226 | 92 | -5,2 |
Fläche (in Tsd. m2) | 966 | 456 | 8 |
Türkische Baukonzerne sind stark im In- und Ausland
Die Bauaktivitäten in der Türkei werden von lokalen Bauunternehmen dominiert. Die türkische Bauwirtschaft ist stark aufgestellt und umfasst zahlreiche große, international agierende Baukonzerne. Im Ausland punkten sie vorwiegend bei großen Infrastrukturprojekten. Die türkische Bauindustrie hat in den ersten neun Monaten dieses Jahres 185 Projekte im Wert von 13 Milliarden US$ im Ausland durchgeführt, meldet der Türkische Bauunternehmerverband (TMB) in seinem Oktober-Bericht
Vorhaben | Investitionssumme (in Millionen US-Dollar) | Projektstand/Realisierungszeitraum *) | Auftraggeber |
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Batteriewerk für Elektrofahrzeuge in Ankara | 100 | In Planung, privat, von Oktober 2024 bis Dezember 2026 | Joint Venture: Koc Holding, LG International. Ford Otosan, SK Inc |
Kempinski Hotel Sapanca | 100 | In Planung, privat, von Juni 2024 bis September 2029 | Kempinski Hotels |
Staatliches Krankenhaus Elazig Palu | 60 | In Planung, staatliche Förderung, von April 2025 bis Dezember 2026 | Türkisches Gesundheitsministerium |
Wohnprojekt Bakyapi (Prestijli yeni Hayat), Bursa | 40 | In Planung, privat, von März 2025 bis Dezember 2027 | Eigentümer: Bakyapi Gruppe |
Hotel Moxy, Istanbul | 30 | In Planung, privat, von Juli 2024 bis Dezember 2027 | Eigentümer: Venue International |