Der Länderbericht Umsetzungshilfe Risikoanalyse Tunesien unterstützt bei der Ermittlung und Vermeidung menschenrechtlicher Risiken gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten. In den Anwendungsbereich fallen seit dem 1. Januar 2024 Unternehmen mit mindestens 1.000 Arbeitnehmern. Seit dem 1. Januar 2023 galt es bereits für Unternehmen mit mindestens 3.000 Arbeitnehmern.
Mit dem LkSG werden die Unternehmen verpflichtet, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten. Der gesetzliche Sorgfaltspflichtenkatalog umfasst dabei folgende Elemente:
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bietet in Fragen und Antworten zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz weiterführende Informationen.
Grundsätzlich sollen auch Unternehmen, die nicht in den Anwendungsbereich des LkSG fallen, Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte übernehmen. Bereits seit 2016 gilt der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP), der entsprechende Erwartungen an alle in Deutschland ansässigen Unternehmen formuliert. Das LkSG orientiert sich weitgehend an den Sorgfaltsvorgaben der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die zwar nicht den gesetzlichen Sorgfaltspflichten des LkSG unterliegen, können trotzdem mit den Anforderungen des Gesetzes in Berührung kommen. Dies ist dann der Fall, wenn ein KMU als Zulieferer von Waren und Dienstleistungen für ein anderes Unternehmen fungiert, das wiederum den LkSG-Pflichten unterliegt. Das KMU gilt dann als unmittelbarer Zulieferer. Unmittelbare Zulieferer, bei denen ein Risiko vermutet wird, müssen von dem verpflichteten Unternehmen in seine konkrete Risikoanalyse und gegebenenfalls in Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie in die Einrichtung seines Beschwerdeverfahrens einbezogen werden. Hilfestellung bietet der KMU Kompass des Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte kompass.wirtschaft-entwicklung.de.
Die gemeinsame Handreichung vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und dem Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte Zusammenarbeit in der Lieferkette zwischen verpflichteten Unternehmen und ihren Zulieferern bietet KMU eine Hilfestellung, die mit den Anforderungen des LkSG konfrontiert werden.
Die Richtlinie (EU) 2024/1760 des europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2024 über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence Directive - CSDDD) wurde am 5. Juli 2024 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Sie ist am 26. Juli 2024 in Kraft getreten. Da es sich um eine Richtlinie handelt, muss sie in nationales Recht umgesetzt werden. Die EU-Mitgliedsstaaten haben nach Inkrafttreten der Richtlinie zwei Jahre Zeit, die Anforderungen der CSDDD in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland wird das LkSG entsprechend angepasst.
Im Rahmen der deutschen Außenwirtschaftsförderinstrumente nimmt die Berücksichtigung von Menschenrechten einen hohen Stellenwert ein. Bei der Vergabe von Investitions- und Exportkreditgarantien werden menschenrechtliche Aspekte entsprechend nationaler und internationaler Regelwerke geprüft. Künftig werden keine neuen Bundesdeckungen mehr für Exporteure übernommen, die wegen einer rechtskräftig festgestellten Ordnungswidrigkeit nach LkSG mit einer Geldbuße von mindestens 175.000 Euro belegt wurden und nach § 22 LkSG von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen sind.
Das BAFA kontrolliert als zuständige Prüfbehörde, ob die betroffenen Unternehmen die gesetzlichen Sorgfaltspflichten angemessen erfüllen.
Zu den konkreten Aufgaben gehören:
Überprüfung, ob Unternehmen ihren Sorgfaltspflichten in angemessener Weise nachkommen
Durchführung von Kontrollen, Prüfung von Beschwerden Betroffener
Feststellung, Beseitigung und Verhinderung von Verstößen
Verhängung von Zwangs- und Bußgeldern.
Ferner unterstützt das BAFA die Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Sorgfaltspflichten und stellt dafür ein umfangreiches Informationsangebot zur Verfügung.
Auswirkungen des LkSG auf Handels- und Investitionstätigkeiten deutscher Unternehmen in Bezug auf Tunesien
Unternehmen sind verpflichtet, im Rahmen des Risikomanagements Risikoanalysen zur Ermittlung menschenrechtlicher oder umweltbezogener Risiken durchzuführen. Diese sind regelmäßig und anlassbezogen vorzunehmen. Regelmäßige Risikoanalysen beziehen sich auf den eigenen Geschäftsbereich und den unmittelbaren Zulieferer (sogenannte regelmäßige Risikoanalyse).
In bestimmten Fällen sind anlassbezogene Risikoanalysen erforderlich, wobei hier die Risiken in der gesamten Lieferkette betrachtet werden müssen, somit auch beim mittelbaren Zulieferer (sogenannte anlassbezogene Risikoanalyse).
Der eigene Geschäftsbereich umfasst dabei jede Tätigkeit zur Herstellung und Verwertung von Produkten und zur Erbringung von Dienstleistungen, unabhängig davon, ob sie an einem Standort im In- oder Ausland vorgenommen wird. Insofern sind die weltweiten Tätigkeiten in sämtlichen Betriebsstätten, Fabriken, Lagern und Büros zu betrachten. Auch bei konzernangehörigen Unternehmen kann der Geschäftsbereich des Tochterunternehmens unter bestimmten Voraussetzungen zum Geschäftsbereich des Mutterunternehmens gehören (vgl. § 2 Abs. 6 LkSG).
Zur (anlassbezogenen) Risikoanalyse und Prävention in der gesamten Lieferkette, also auch bei mittelbaren Zulieferern (mit denen keine Vertragsbeziehung besteht), sind Unternehmen insbesondere dann verpflichtet, wenn sie substantiierte Kenntnis über mögliche Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette haben (vgl. § 9 Abs. 3 LkSG). Diese besteht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die eine Verletzung einer menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Pflicht möglich erscheinen lassen. Tatsächliche Anhaltspunkte sind zum Beispiel Medienberichte, Beschwerden, Vorfälle in der Vergangenheit, Zugehörigkeit eines mittelbaren Zulieferers zu einer besonders risikobehafteten Branche etc.
Insbesondere globale Lieferketten bestehen oft aus einer Vielzahl von mittelbaren Zulieferern, die zudem häufig in Entwicklungs- und Schwellenländern ansässig sind. Hier kann es sich anbieten, entsprechende Teile der Lieferkette bereits in die jährliche Risikoanalyse zu integrieren.
Internationale Hersteller setzen schon lange auf den Standort im Norden Afrikas. Seit den 70er Jahren wird in Tunesien Bekleidung im großen Stil produziert, vor allem für den europäischen Bedarf. Mit über 150.000 Mitarbeitern arbeiten rund 30 Prozent aller in der verarbeitenden Industrie Beschäftigten in der Textil- und Bekleidungsbranche.
In Tunesien findet vornehmlich die Konfektionierung von Bekleidung statt. Vorprodukte zur Weiterverarbeitung wie Garne, Fasern und Stoffe werden zum Großteil aus der EU, der Türkei und China importiert. Rund 80 Prozent der 1.389 Unternehmen produzieren rein für den Export (Stand: Juli 2024). Wichtigstes Zentrum der Textil- und Bekleidungsindustrie ist das Gouvernorat Monastir. Hier befindet sich auch der Textil-Technologiepark Neotex Monastir. Weitere wichtige Regionen sind der Großraum Tunis, Sousse, Nabeul und Sfax.
Insgesamt sind nach Angaben der Foreign Investment Promotion Agency (FIPA) rund 300 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in Tunesien aktiv. Mit etwa 90.000 Beschäftigten gehören dazu einige der größten industriellen Arbeitgeber im Land. Überwiegend produzieren diese Unternehmen für den Export, wobei neben Textilerzeugnissen vor allem der Automotivesektor mit der Produktion von Kabelbäumen zu nennen ist. Viele liefern ihre Erzeugnisse nach Deutschland und in andere Länder der EU.
Unter den Unternehmen befinden sich Tochtergesellschaften größerer Unternehmen wie Leoni, Dräxlmaier, Knauf oder Van Laack, aber auch viele Mittelständler. Deutsche Unternehmen, die enge Beziehungen zu Lieferanten aus Tunesien pflegen oder eigene Niederlassungen in Tunesien haben, gelten als sorgfältig. Entgelte sind in diesen Unternehmen im lokalen Vergleich nach einer OECD-Studie aus dem Jahr 2024 überdurchschnittlich. Hier sind auch kaum informell Beschäftigte zu finden, zumindest nicht bei den direkt beschäftigten Arbeitnehmern. Niederlassungen deutscher Unternehmen gelten als sozial engagiert. Dies spiegeln vor Ort geführte Gespräche mit Unternehmensvertretern und Beratungsunternehmen wieder.
Angesichts komplexer Lieferketten ist jedoch nicht auszuschließen, dass auch bei Zulieferbetrieben von deutschen Unternehmen, besonders bei mittelbaren, Menschenrechtsverletzungen vorkommen. Dies betrifft in Tunesien eher die Textilindustrie als die Kfz-Zulieferfirmen, da bei der Bekleidungsproduktion teilweise eine große Zahl von Subauftragnehmern eingebunden ist. Die Kfz-Branche ist nach Expertenmeinung leichter kontrollierbar, da aufgrund der hohen Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen weniger Subunternehmen einbezogen sind.
Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Tunesien betrug 2023 rund 4,7 Milliarden Euro. Die deutschen Importe betrugen 2,8 Milliarden Euro und übersteigen dabei die Exporte. Das liegt vor allem daran, dass in Tunesien eine Weiterverarbeitung von importierten Waren stattfindet. Dies zeigt sich auch bei den Haupteinfuhrprodukten. Deutschland importiert vor allem Elektrotechnik und Bekleidung aus Tunesien.
Deutsche Importe aus TunesienAnteil in ProzentProdukt | 2023 |
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Elektrotechnik | 48,7 |
Textilien/Bekleidung | 24,2 |
Schuhe | 5,3 |
Maschinen | 3,5 |
Erdöl | 3,4 |
Kfz und -Teile | 3,2 |
Nahrungsmittel | 2,7 |
Sonstige | 9,0 |
Quelle: GTAI-Wirtschaftsdaten kompakt 2024
Die nachfolgende Tabelle zeigt den Import von Produkten, die deutsche Unternehmen aus Tunesien beziehen, die mit einem Risiko eines Verstoßes gegen einen oder mehrere der in § 2 Abs. 2 Nr. 1-8 LkSG aufgeführten Verbotstatbestände behaftet sein können: Kinderarbeitsverbot, Verbot der schlimmsten Formen von Kinderarbeit, Verbot von Zwangsarbeit, Verbot aller Formen von Sklaverei, Verbot der Missachtung von Arbeitsschutz, Verbot der Missachtung der Koalitionsfreiheit, Verbot der Ungleichbehandlung in Beschäftigung, Verbot des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns.
Deutsche Importe möglicher risikobehafteter Produkte aus Tunesien (i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1-8 LkSG) In Millionen US-DollarProduktgruppe | Produkt | 2023 |
Elektrische Maschinen und Apparate | | 1.496,1 |
| Kabel, Drähte, elektrische Leiter | 1.154,9 |
| Elektrische Schaltungen | 234,2 |
| Transformatoren und Stromrichter | 72,3 |
Bekleidung und Bekleidungszubehör | | 726,9 |
| Kleidung aus Geweben | 546,3 |
| Kleidung aus Spinnstoffen, Gewirken, Gestricken | 171,9 |
Schuhe | | 162,2 |
Kfz, Kfz-Teile | | 97,7 |
| Teile, Zubehör für Kfz | 95,3 |
Erdöl, Erdölerzeugnisse | | 103,1 |
| Rohöl | 103,1 |
Verschiedene bearbeitete Waren | | 91,7 |
| Kinderwagen, Spielzeug, Spiele und Sportgeräte | 48,2 |
| Waren aus Kunststoff, anders nicht angegeben | 26,7 |
| Musikinstrumente, Ton- und ähnliche Aufzeichnungsträger | 10,2 |
Gemüse und Früchte | | 76,1 |
| Genießbare Früchte, ausgenommen ölhältige, frisch oder getrocknet (vor allem Datteln) | 39,2 |
| Gemüse, frisch, gekühlt, gefroren, getrocknet oder haltbar gemacht (vor allem Tomaten) | 30,6 |
Quelle: UN Comtrade 2024