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Nachfrage nach Arzneimitteln in der Ukraine wird wachsen
Die ukrainischen Pharmaumsätze steigen zwar wieder. Der Krieg schränkt jedoch das Wachstum ein. Bei Originalprodukten dominieren ausländische Anbieter.
20.01.2025
Von Waldemar Lichter | Warschau
Ausblick der Pharmaindustrie in der Ukraine
- Die Nachfrage nach Arzneimitteln nimmt auch dank staatlicher Programme wieder zu.
- Der Krieg schränkt das Potenzial auf dem Markt ein.
- Lokale Hersteller decken niedrigpreisige Generika weitgehend ab.
Anmerkung: Einschätzung des Autors für die kommenden zwölf Monate auf Grundlage von prognostiziertem Umsatz- und Produktionswachstum, Investitionen, Beschäftigungsstand, Auftragseingängen, Konjunkturindizes etc.; Einschätzungen sind subjektiv und ohne Gewähr; Stand: Januar 2025
Markttrends
Der ukrainische Pharmamarkt scheint die Schocks durch die Pandemie und durch den russischen Angriffskrieg überwunden zu haben. Die Verkaufszahlen und die Umsätze steigen wieder und für die kommenden Jahre ist mit einer hohen und wachsenden Nachfrage zu rechnen.
Nachdem die Umsätze 2021 auf eine Rekordhöhe von 5 Milliarden US-Dollar (US$) gestiegen waren, brachen sie 2022 um 28 Prozent auf nur noch 3,6 Milliarden US$ ein, wie aus Zahlen des Marktforschungsunternehmens Proxima Research hervorgeht. Seither geht es wieder aufwärts. Die Pharmaumsätze stiegen 2023 wieder auf 4 Milliarden US$ und der Absatz nahm auf 959 Millionen Packungen zu.
Trotz schrumpfender Bevölkerung bleibt der physische Verbrauch im Jahr 2024 auf dem Vorjahresniveau. In Geldwert dürfte der Apothekenumsatz mit Medikamenten laut Expertenprognosen jedoch um 18,7 Prozent zunehmen. Die Prognose für 2025 geht von einem Wachstum, gemessen in der Landeswährung Hrywnja, von 16,1 Prozent und in physischer Hinsicht von 1,4 Prozent aus.
Indikator | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 |
---|---|---|---|---|
Umsatz insgesamt | 4,0 | 5,0 | 3,6 | 4,0 |
Anteil der Apotheken | 86 | 82 | 89 | 89 |
Anteil der Krankenhäuser | 14 | 18 | 11 | 11 |
Mengenabsatz | 1.232 | 1.193 | 927 | 959 |
Absicherung der Versorgung und Kostenkontrolle
Für 2025 sind einige Veränderungen und Reformen zu erwarten, die den Pharmamarkt beeinflussen werden. Zentrale Veränderungen betreffen die Finanzierung und die Organisation der Arzneimittelbeschaffung. Ein wichtiger Schwerpunkt ist die Einführung einer dreijährigen Beschaffungsstrategie, zunächst für Krebstherapien, später auch für andere Bereiche. Dieses Modell sieht vor, dass das Gesundheitsministerium die Liste und das Volumen der benötigten Arzneimittel festlegt und darauf basierend langfristige Verträge mit Lieferanten abschließt.
Seit 2022 werden sogenannte Managed Entry Agreements genutzt. Es handelt sich um Vereinbarungen zwischen dem Staat und Pharmaunternehmen, die darauf abzielen, den Zugang zu innovativen und teuren Medikamenten zu erleichtern. Sie ermöglichen es, finanzielle Risiken zwischen den Parteien zu teilen und Unsicherheiten bei der Einführung neuer Therapien zu minimieren. Bis Ende 2024 wurden bereits 16 solcher Vereinbarungen abgeschlossen, deren Nutzung soll ausgeweitet werden.
Ab dem 1. Januar 2025 ist der sogenannte Parallelimport von Arzneimitteln in der Ukraine erlaubt. Dies ermöglicht autorisierten Händlern, Medikamente aus der EU, Island, Norwegen und Liechtenstein zu importieren - ohne Beteiligung der Hersteller. Auf diese Weise sollen Originalmedikamente günstiger ins Land gelangen, so die Hoffnung. Ziel ist es, den Wettbewerb zu fördern und Medikamente verfügbarer zu machen.
Profitieren wird der Pharmamarkt vom Programm "Dostupni Liky" ("Erschwingliche Medikamente"). Sein Ziel ist, den Zugang zu subventionierten Medikamenten für die Bevölkerung zu verbessern und deren Belastung durch Kosten für lebenswichtige Medikamente zu reduzieren, insbesondere bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Asthma. Anfang 2025 wurde das Programm um 55 neue Produkte auf insgesamt 641 Medikamente erweitert. Es wird vom Nationalen Gesundheitsdienst der Ukraine (NHSU) verwaltet.
Medikamentengruppe | Umsatz 2023 | Veränderung gegenüber dem Vorjahr |
---|---|---|
Entzündungshemmende und antirheumatische Mittel | 255,4 | 29,5 |
Analgetika | 220,0 | 31,6 |
Blutdrucksenkende Mittel | 182,0 | 19,7 |
Antidiabetika | 133,1 | 22,9 |
Antibakterielle Mittel | 130,4 | 10,8 |
Mittel gegen Nasenerkrankungen | 127,7 | 37,7 |
Psychoanaleptika | 125,0 | 28,5 |
Mittel gegen Husten und Erkältung | 122,2 | 21,6 |
Kardiologische Präparate | 95,1 | 15,3 |
Mittel gegen säurebedingte Erkrankungen | 89,6 | 33,2 |
Branchenstruktur
Der Marktanteil ukrainischer Pharmaunternehmen auf dem Apothekenmarkt, gemessen am Absatz, lag 2024 bei etwa 63 Prozent. Bezogen auf den wertmäßigen Umsatz erreichen lokale Hersteller jedoch nur einen Anteil von 37 Prozent. Importierte Medikamente sind in der Regel teurer als lokale Produkte, da es sich dabei oft um patentierte oder innovative Arzneimittel handelt, die nicht lokal hergestellt werden können. Erschwinglichere (lokal produzierte) Generika spielen weiterhin eine zentrale Rolle auf dem ukrainischen Markt.
Führende Lieferländer von Arzneimittel in die Ukraine waren 2023 Deutschland, Indien und Frankreich. Auf diese entfielen zusammen etwa 43 Prozent der ukrainischen Importe. Diese Länder liefern hochwertige pharmazeutische Produkte. Importierte Arzneimittel decken vor allem den Bedarf an verschreibungspflichtigen und spezialisierten Medikamenten ab, während ukrainische Hersteller den Markt für generische und kostengünstige Medikamente dominieren.
Lokale Pharmahersteller schauen auf Auslandsmärkte
Die ukrainische Pharmaindustrie hat schwer unter den Folgen des Krieges gelitten. Beschädigte Produktionsanlagen, Mangel an Arbeitskräften, gerissene Liefer- und Bezugsketten und Logistikprobleme machen der Branche schwer zu schaffen. Unternehmen konnten sich jedoch anpassen und ihre Produktion aufrechterhalten. Sie versorgen dabei nicht nur den Binnenmarkt, sondern liefern auch ins Ausland. Nach dem starken Einbruch 2022 geht es mit den Exporten wieder kräftig aufwärts. Das Vorkriegsniveau von 315 Millionen US$ (2021) dürfte allerdings noch nicht erreicht worden sein.
Die Pharmaindustrie gehört zu den strategischen Industriezweigen der Ukraine, wichtig auch für die angestrebte höhere Eigenversorgung. Laut Proxima Research hatte die Branche 2023 einen Anteil von 1,6 Prozent an der industriellen Produktion des Landes. Ihre Bedeutung wird in Zukunft zunehmen. Der Zweig wird von Lokalisierungsanforderungen profitieren, die bei öffentlichen Beschaffungen gelten und in den nächsten Jahren tendenziell zunehmen werden. Das dürfte mehr Investitionen in Produktionskapazitäten vor Ort initiieren.
Führender ukrainischer Hersteller ist Farmak, der sich mit der Entwicklung und Produktion von Medikamenten, insbesondere von Generika befasst. Das Unternehmen exportiert seine Produkte in mehr als 60 Länder, darunter in 15 EU-Länder. Weitere wichtige Hersteller sind das Unternehmen Darnytsia (spezialisiert auf die Herstellung von Generika), Arterium Corporation (Entwicklung von Medikamenten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infektionen und Stoffwechselstörungen). Kusum Pharm (Generika für den Export) und Kyiv Vitamin Factory (Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel). Das Unternehmen YURiA-PHARM entwickelt unter anderem biotechnologische Produkte und exportiert rund ein Viertel seiner Produktion in über 41 Länder.
Unternehmen (Land) | Marktanteil 2023 |
---|---|
Farmak (Ukraine) | 5,8 |
Darnytsia (Ukraine) | 5,5 |
Teva (Israel) | 3,8 |
Acino (Schweiz) | 3,5 |
Arterium (Ukraine) | 3,5 |
Kyiv Vitamin Plan (Ukraine) | 3,4 |
Krka (Slowenien) | 3,3 |
Berlin-Chemie/Menarini (Deutschland) | 3,2 |
Sanofi (Frankreich) | 2,9 |
Kusum Pharm (Ukraine) | 2,8 |