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Ukraine kann weiter Getreide über Seehäfen exportieren
Das Getreideabkommen geht in die Verlängerung. Damit kann die Ukraine weitere vier Monate Agrargüter über drei Schwarzmeerhäfen auf die Weltmärkte liefern.
18.11.2022
Von Gerit Schulze | Berlin
Die Vertragspartner des Getreideabkommens haben am 17. November 2022 in Istanbul einer Verlängerung um 120 Tage zugestimmt. Ohne diese Einigung wäre das erfolgreiche Programm zwei Tage später ausgelaufen. Das Abkommen zwischen Russland und der Ukraine wurde von den Vereinten Nationen (UN) und der Türkei vermittelt.
Seit dem Start der Vereinbarung am 1. August 2022 haben 468 Schiffe die drei beteiligten Häfen verlassen (Stand: 17. November 2022) und 11,19 Millionen Tonnen Agrargüter in 38 Länder gebracht. Die wichtigsten Getreidearten waren Mais und Weizen. Die Hälfte der Fracht ging nach Spanien, in die Türkei, nach China, Italien und in die Niederlande. Knapp 1,4 Millionen Tonnen erreichten direkte Ziele in Afrika. Zwei Frachter mit Mais und Rapssamen kamen in Deutschland an.
Vor allem Mais und Weizen verschifft
Auch wenn ein großer Teil des Getreides in Häfen wohlhabender Länder ankam, haben die Lieferungen den Preisdruck verringert und die globale Lebensmittelversorgung verbessert, resümiert das Koordinierungszentrum für die Getreideinitiative (JCC). Die Türkei als großer Abnehmer der ukrainischen Ernte gehört zu den wichtigsten Lieferländern für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Nach UN-Schätzungen bewahrt das Getreideabkommen weltweit rund 100 Millionen Menschen vor extremer Armut.
An manchen Tagen haben bis zu zwölf Schiffe die drei Häfen verlassen. Die größten Frachter hatten eine Tragfähigkeit von über 70.000 Tonnen. Diese wurden vorwiegend im Hafen Piwdenny abgefertigt.
Beide Seiten mussten Kompromisse machen
Für die Ukraine ist die Verlängerung des Abkommens zwar ein Erfolg, Kiew hatte aber größere Pläne. Die Regierung wollte eine Laufzeit von mindestens einem Jahr und die beiden Häfen Mykolajiw und Olvia am linken Bugufer einbeziehen. Vor Kriegsausbruch exportierten die ukrainischen Agrarbetriebe fast ein Drittel ihrer Ausfuhren über Mykolajiw. Doch bislang darf die Abfertigung nur an den drei Häfen Odessa, Tschornomorsk und Piwdenny (Juschne) erfolgen. Der Antransport in diese Häfen dauert länger und verursacht höhere Kosten.
Auch Russland musste Zugeständnisse machen. Moskau hofft darauf, mehr Ammoniak und Düngemittel exportieren zu können. Bis zur Invasion am 24. Februar 2022 bestand eine Pipelineverbindung von der Wolgaregion zum Hafen von Odessa, über die 2,5 Millionen Tonnen Ammoniak pro Jahr transportiert werden konnten. Da internationale Banken und Versicherungen nicht bereit sind, russische Warentransporte zu finanzieren oder zu versichern, hat Russland Probleme, Ammoniak oder Düngemittel ins Ausland zu verkaufen.
Wie die Agentur Reuters berichtete, wollte Moskau daher Sanktionserleichterungen für die staatliche Rosselchosbank erreichen. Das staatliche Kreditinstitut ist ein wichtiger Geldgeber für russische Getreideexporte und würde gern wieder Geschäfte mit westlichen Korrespondenzbanken machen. Kiew ist weiterhin gegen Pipelinelieferungen von russischem Ammoniak nach Odessa.
Weiterhin Engpässe am Bosporus
Umso erfreulicher ist es, dass die Verhandlungspartner einer Fortsetzung des Getreideabkommens zustimmten. Um die transportierten Mengen auszuweiten, sind noch Engpässe am Bosporus zu beheben. Russland hätte in den vergangenen Wochen die Inspektionen auf den ein- und auslaufenden Schiffen unnötig in die Länge gezogen, beklagten ukrainische Beobachter. Am 17. November 2022 warteten 69 Schiffe auf die Freigabe, ukrainische Häfen anlaufen zu dürfen. Sie könnten 1,5 Millionen Tonnen Getreide und andere Lebensmittel aufnehmen. Weitere 24 bereits beladene Massengutfrachter konnten vor der türkischen Küste noch nicht inspiziert werden. Das Koordinierungszentrum für das Getreideabkommen will ab dem 18. November 2022 drei zusätzliche Inspektionsteams einsetzen, um die Verfahren zu beschleunigen.
Exportmengen bleiben unter Vorkriegsniveau
Zu Friedenszeiten exportierte die Ukraine jedes Jahr etwa 45 Millionen Tonnen Getreide auf die Weltmärkte, vor allem Mais und Weizen. Auch Sonnenblumen- und Rapsöl sind wichtige Ausfuhrgüter. Etwa 90 Prozent der Lieferungen wurden über die Schwarzmeerhäfen verschickt. Wegen Russlands Hafenblockade schrumpfte die Exportmenge 2022 erheblich. Die EU-Kommission startete daher im Mai 2022 die "Solidarity Lanes", um alternative Transportwege abseits der Meereshäfen zu unterstützen. Seitdem konnte die Ukraine 15 Millionen Tonnen Agrargüter per Lkw, Eisenbahn und Flussschiff exportieren.
Am 11. November 2022 gab die EU-Kommission bekannt, kurzfristig 250 Millionen Euro für den Ausbau der Solidarity Lanes bereitzustellen. Unter anderem sollen mobile Ausrüstungen beschafft werden, um ukrainische Warentransporte an den EU-Außengrenzen schneller abzufertigen.
Ausbau der Donauhäfen vereinbart
Unabhängig vom Getreideabkommen versucht die Ukraine, die Gütertransporte über ihre Donauhäfen Ismajil, Reni und Ust-Dunajsk zu steigern. Von dort gelangt die Fracht über die Donau und den Sulina-Kanal überwiegend bis zum rumänischen Schwarzmeerhafen Constanța. In den vergangenen Monaten war es laut ukrainischem Premierminister Denys Schmyhal gelungen, die transportierte Frachtmenge auf der Donau von 30.000 Tonnen auf 1,7 Millionen pro Monat zu erhöhen. Die Umschlagkapazitäten der Häfen sind aber begrenzt, ebenso wie die Fahrrinnen im Donaudelta. Es kommt daher zu langen Wartezeiten. Deshalb hat Kiew mit Rumänien eine Road Map zum Ausbau dieses Verkehrsweges erstellt.