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EU erklärt Ukraine und Moldau zu Beitrittskandidaten
Die Ukraine und Moldau sind jetzt offiziell EU-Beitrittskandidaten. Das haben die Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel am 23. Juni 2022 beschlossen.
24.06.2022
Von Edda Wolf | Bonn
Der Europäische Rat hat der Ukraine und der Republik Moldau den Status eines Beitrittskandidaten zuerkannt. Georgien soll dagegen erst in den Vorraum der EU eintreten dürfen, wenn es weitere Reformauflagen erfüllt. Dies beschlossen die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedsländer auf ihrem Gipfeltreffen am 23. Juni 2022. Kurz zuvor hatte sich bereits das EU-Parlament dafür ausgesprochen, dass die Ukraine und Moldau den offiziellen Kandidatenstatus bekommen. Damit folgten beide Gremien der Empfehlung der EU-Kommission vom 17. Juni 2022.
9 Milliarden Euro Makrofinanzhilfe für die Ukraine
Die EU-Kommission wird in Kürze einen Vorschlag vorlegen, mit dem der Ukraine 2022 eine neue außerordentliche Makrofinanzhilfe von bis zu 9 Milliarden Euro gewährt werden soll. Außerdem hat der Europäische Rat die Kommission aufgerufen, zügig ihre Vorschläge für die Unterstützung der EU für den Wiederaufbau in der Ukraine vorzulegen. Dies sollte in Abstimmung mit internationalen Partnern, Organisationen und Experten geschehen.
Gleichzeitig machten die EU-Staats- und Regierungschefs deutlich, dass der aktuelle Beschluss nur ein Fortschritt sei, der Kiew und Chisinau zu weiteren Schritten ermutigen sollte. "Dies ist ein wichtiges symbolisches Signal, aber für die Ukraine ist es natürlich ein langer Weg, mit umfangreichen Reformen, die viel Zeit in Anspruch nehmen werden", sagte der belgische Premierminister Alexandre De Croo.
Die Präsidentin von Moldau, Maia Sandu, erklärte auf Facebook: "Wir haben einen schwierigen Weg vor uns, der viel Arbeit und Mühe erfordern wird". Eine EU-Mitgliedschaft würde ihrem Land mehr Wohlstand, mehr Chancen und mehr Ordnung bringen. Die kleine Republik Moldau liegt zwischen der Ukraine und dem EU-Mitglied Rumänien.
Georgien muss sich weiter gedulden
Georgien soll den Beitrittskandidatenstatus erst bekommen, wenn es weitere Reformen durchführt. Es ist nach Einschätzung der EU-Kommission derzeit instabiler als die Republik Moldau und die Ukraine. Wörtlich heißt es in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zu Georgien: "Der Europäische Rat ist bereit, Georgien den Status eines Bewerberlands zuzuerkennen, sobald die in der Stellungnahme der Kommission zum Beitrittsgesuch Georgiens genannten Prioritäten angegangen wurden."
"Dies ist ein wichtiges Signal, das nicht negativ gesehen werden sollte. Georgien hat jetzt einen klaren Weg vor sich, die Aufgaben, die es zu erfüllen hat, und es gibt einen Zeitplan", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Vorabend des Gipfels. Georgien werde den Kandidatenstatus erhalten, sobald die noch ausstehenden Reformen umgesetzt sind, schrieb Ratspräsident Charles Michel. Er betonte: "Georgiens Zukunft liegt innerhalb der EU".
Vom Beitrittskandidaten zum Mitglied ist es ein weiter Weg
Die Ukraine hatte am 28. Februar 2022 - kurz nach Beginn des russischen Angriffs - die Aufnahme in die EU beantragt. Am 3. März 2022 reichten auch das kleine Nachbarland Moldau und Georgien Beitrittsanträge ein. Nachdem die Ukraine und Moldau nun offiziell Beitrittskandidaten sind, wird die EU-Kommission in jährlichen Etappen untersuchen, ob beide Länder auch tatsächlich Reformfortschritte machen. Ist dies der Fall, kann sie eine Empfehlung für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen aussprechen. Dann müssten wieder alle EU-Staaten zustimmen. Erst danach werden die Beitrittskapitel eröffnet: In 35 Bereichen wie Wirtschaftspolitik, Rechtsstaatlichkeit, Umwelt oder Wissenschaft muss jedes Land beweisen, dass es erfolgreich EU-Standards übernommen hat.
Langwieriger Aufnahmeprozess ohne Garantie
Eine Garantie auf eine zügige Aufnahme in die EU ist der Kandidatenstatus für die Ukraine und Moldau nicht. Die Fortschritte der einzelnen Länder auf dem Weg in die Europäische Union werden davon abhängen, inwieweit sie die Kopenhagener Kriterien erfüllen. Hierbei wird die Fähigkeit der EU, neue Mitglieder aufzunehmen, berücksichtigt.
Für einen Beitritt zur Europäischen Union haben die Staats- und Regierungschefs der EU 1993 bei ihrem Treffen in Kopenhagen drei Voraussetzungen formuliert. Diese sogenannten "Kopenhagener Kriterien" müssen alle Staaten erfüllen, die der EU beitreten wollen:
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Dass der Beitrittsprozess auch in einer Sackgasse enden kann, zeigt der Fall Türkei. Das Land hat bereits seit 1999 den Kandidatenstatus. Allerdings liegen die 2005 begonnenen EU-Beitrittsverhandlungen seit Jahren auf Eis. Aus Brüsseler Perspektive ist die Entwicklung in der Türkei unbefriedigend.
Aufnahme der Ukraine wird finanzielle Herkulesaufgabe
Wirtschaftlich gesehen steht den Beitrittskandidaten eine große Aufholjagd bevor. Allein die Ukraine ist ein Land, das die EU als Mitglied ökonomisch gesehen auf den Kopf stellen würde. Es hat eine landwirtschaftliche Fläche, die größer ist als Deutschland. Entsprechend würde der traditionell größte Budgetposten der EU, die Agrarsubventionen, völlig durcheinandergebracht.
Zudem ist das Land deutlich ärmer als das ärmste EU-Mitglied, Bulgarien. Bei den Kohäsionszahlungen würden nach der bisherigen Logik große Summen fällig. Hinzu kommt, dass der Krieg gegen die Ukraine noch immer tobt und es nicht absehbar ist, wie viel Schaden Russland noch verursacht.
Selbst in Friedenszeiten wäre die Aufnahme der Ukraine eine finanzielle Herkulesaufgabe. Daraus folgt: Will die EU die Ukraine dereinst tatsächlich aufnehmen, muss sie nicht nur viel Geld in die Hand nehmen, sondern auch interne Abläufe reformieren.
EU muss sich erweiterungsfähig machen
Zum Auftakt des EU-Gipfels in Brüssel sprach Bundeskanzler Olaf Scholz von einem "historischen" Treffen der Staats- und Regierungschefs. Doch er mahnte auch Reformen der Europäischen Union an, um die Aufnahme neuer Mitglieder zu ermöglichen. Die EU müsse sich "erweiterungsfähig" machen, sagte er. Dazu gehöre, das Prinzip der Einstimmigkeit für einige Entscheidungen aufzuheben.
Frankreich Präsident Emmanuel Macron ist ebenfalls der Meinung, zuerst müsse die EU reformiert werden. Entsprechend lancierte er Ideen von einer "europäischen politischen Union" – einer Art "Vorraum" der EU, dem auch Staaten wie Island, Großbritannien oder die Türkei beitreten könnten.