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Vietnam benötigt schnell mehr Strom
Der Strombedarf in Vietnam wächst stärker als prognostiziert. Ein besseres Umfeld für erneuerbare Energien und der Einstieg in Kernkraft sollen helfen.
24.01.2025
Von Peter Buerstedde | Hanoi
Der Ausbau des Energiesektors in Vietnam unterliegt den staatlichen Entwicklungsplänen (Power Development Plans; PDP), die alle fünf Jahre aktualisiert werden. Für den Zeitraum von 2021 bis 2025 gilt PDP 8, der im März 2023 mit zwei Jahren Verspätung vom Premierminister angenommen wurde.
Ab 2026 droht eine Versorgungslücke
Der Ausbau der Erzeugungskapazitäten läuft aber sehr viel langsamer als geplant. Im Zeitraum 2021 bis 2025 werden wohl nur fast 57 Prozent des geplanten Zubaus an Kapazitäten erreicht. Gleichzeitig steigen Stromverbrauch und Spitzenlast (Höchstauslastung der Stromversorgung) im Norden des Landes schneller als erwartet.
Es gibt kaum noch Reserven. Das wurde vor allem 2023 deutlich, als der ungewöhnlich heiße Sommer die Wasserstände in Staudämmen und somit die Stromerzeugung durch Wasserkraft absinken ließ. Gleichzeitig liefen Klimaanlagen auf Hochtouren. Die Folge waren Stromausfälle, welche auch die Industrieproduktion im Norden des Landes über Wochen lahmlegten. Eine ähnliche Situation will die Regierung um jeden Preis vermeiden.
Experten zufolge dürften die Erzeugungskapazitäten im Jahr 2025 ausreichen, um den Bedarf zu decken. Allerdings wird der Stromverbrauch auch in den kommenden Jahren um 12 bis 16 Prozent steigen, so die Prognose in einem Dekret des vietnamesischen Premierministers vom 3. Januar 2025.
Ab 2026 könnte es zu Engpässen kommen. Um den Bedarf zu decken, müssten 8 bis 10 Gigawatt pro Jahr an Leistung hinzukommen. Das Ministerium für Industrie und Handel soll bis Ende Februar 2025 den PDP 8 diesbezüglich aktualisieren.
Politischer Wille für erneuerbare Energien ist vorhanden
Die Umsetzung des PDP 8 kam anfangs nur schleppend voran, auch aufgrund einer staatlichen Antikorruptionskampagne. Seit Mitte 2024 versucht die Regierung, den Rechtsrahmen für neue Projekte fertigzustellen und – wo nötig – zu verbessern, so dass Projekte in allen Bereichen vorankommen. Es gibt laut Experten zwar noch Lücken im rechtlichen Rahmen. Eine Vielzahl von Vorlagen für Dekrete und Umsetzungsvorschriften zirkuliert aber bereits.
Einige deutsche Investoren im Bereich erneuerbare Energien wie wpd, Enertrag und PNE versuchen seit Jahren, Windkraftvorhaben in Vietnam voranzutreiben. Nun könnte 2025 endlich ein Rechtsrahmen für die Umsetzung der Vorhaben stehen.
Leistung (in Gigawatt) | Anzahl der Vorhaben | |
---|---|---|
Kernkraftwerke | 2,0 | 2 |
Gaskraftwerke (unter Nutzung inländischer Gasvorkommen) | 7,9 | 10 |
Gaskraftwerke (unter Nutzung von Flüssiggasimporten) | 22,5 | 13 |
Kohlekraftwerke | 4,7 | 6 |
Große Wasserkraftwerke (umfasst zwei Pumpspeicherkraftwerke) | 5,2 | 27 |
Offshore-Windkraft | 6,0 | k. A. |
Windkraft an Land | 17,8 | 397 |
Kleine Wasserkraftwerke | 5,1 | 444 |
Solarparks | 4,1 | 27 |
Gesamt | 80,0 | k. A. |
Vor allem beim Einsatz erneuerbarer Energien ist der politische Wille groß. Eine Novelle des Elektrizitätsgesetzes hat Tender oder Auktionen als normalen Vergabemechanismus für Projekte festgeschrieben. Das Änderungsgesetz tritt Anfang Februar 2025 in Kraft und wird auch neue Marktmechanismen mit einbeziehen. Darunter fällt ein Dekret für direkte Stromabnahmeverträge (Direct Power Purchasing Agreement; DPPA) vom Juli 2024 und eine Anordnung zu Aufdach-Fotovoltaikanlagen vom Oktober 2024. Durch diese Dekrete können Privatunternehmen nun Strom direkt beim Erzeuger kaufen, außerdem können Haushalte und Unternehmen Aufdachanlagen mit weniger Verwaltungsaufwand installieren.
Solar, Windkraft und Flüssiggas spielen zukünftig noch größere Rolle
Das Potenzial bei Aufdachanlagen liegt bei 140 Gigawatt auf Hausdächern und etwa 22 Gigawatt auf den Dächern von Fabriken und Lagerhallen. Bisher erlaubt der PDP 8 nur einen Zubau bis 2030 von insgesamt 2,4 Gigawatt. Im aktualisierten Plan sollen die Quoten für Aufdachanlagen je Provinz deutlich angehoben werden, die genauen Zahlen sind aber noch nicht bekannt.
Für Windkraftprojekte fehlen im Offshore-Bereich noch viele Bestimmungen. Hier gilt das Regierungsziel von 6 Gigawatt Leistung bis 2030 inzwischen als unmöglich. Ein Dekret ist aber in Vorbereitung. Dieses sieht Anreize für Offshore-Windprojekte vor, in der Form von Abnahmegarantien für mindestens 80 Prozent des erzeugten Stroms sowie von Steuer- und Abgabenerleichterungen. Für 2025 ist lediglich der Start eines Pilotprojekts geplant, das aber noch nicht ausgewählt wurde. Für Windkraft an Land sieht die Lage durch das DPPA besser aus.
Um mögliche Versorgungsengpässe zu vermeiden, sind die Kraftwerksprojekte mit Flüssiggas (Liquefied Natural Gas; LNG) essenziell. Sie sollen in den kommenden Jahren die Grundlast liefern, um den Einsatz von erneuerbaren Energien überhaupt zu ermöglichen. Bisher konnten sich der staatliche Stromkonzern EVN und die Investoren in LNG-Terminals und -Kraftwerke in den meisten Fällen aber nicht auf Abnahmeverträge einigen. Die Investoren bestehen auf Abnahmegarantien, um die Projekte zu finanzieren. Auch hier will die Regierung Abnahmegarantien ermöglichen.
Vietnam will doch in die Kernkraft einsteigen
Besonders weitreichend dürfte die Änderung des PDP 8 sein im Hinblick auf die Entwicklung der Kernenergie. Die vietnamesische Regierung hatte 2016 Kernkraftvorhaben mit Russland und Japan auf Eis gelegt. Bei der Planung der Energieversorgung im PDP 8 blieb Kernkraft unerwähnt.
Im November 2024 hat die Regierung aber eine Strategie zur Entwicklung der Kernenergie verabschiedet und die Nationalversammlung hat den Bau der zwei Kernkraftwerke in Ninh Thuan mit jeweils 2 Gigawatt Leistung beschlossen. Die Regierung wünscht sich, dass die Kraftwerke bereits 2030 ans Netz gehen.
In der Fachzeitschrift Vietnam Energy Magazine fordern Experten die Regierung zu einer Langfriststrategie und zum Bau von 30 bis 40 Gigawatt an Leistung aus Kernkraft auf. Damit soll lokale Wertschöpfung entstehen.