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Argentiniens Landwirtschaft mit guten Zukunftsaussichten
Argentinische Steaks sind berühmt. Der Pampastaat gehört zu den großen Agrarländern der Welt. Doch die Bauern haben schon bessere Zeiten erlebt. Immerhin: Es gibt Hoffnung.
18.01.2024
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Sobald sich die Lage stabilisiert, springt die Ampel auf "Grün"
Argentiniens Landwirtschaft hat ein schwieriges Jahr hinter sich. Eine Dürre ließ die Ernte extrem schlecht ausfallen; der Tierbestand sank. Für das Erntejahr 2023/24 sieht es dank El Niño aber wieder deutlich besser aus. Hinzu kommt die komplexe Situation in anderen großen Agrarländern wie der Ukraine. Dies lässt die argentinischen Landwirte mit einer guten Nachfrage zu hohen Preisen rechnen. Prognosen gehen für das Kalenderjahr 2024 mit Devisenmehreinnahmen von 10 Milliarden bis 15 Milliarden US-Dollar (US$) aus. Die Rosario Stock Exchange prognostiziert sogar einen Anstieg der Getreideernte im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent auf 136,3 Millionen Tonnen. Damit sollen Nettodeviseneinnahmen von 34,3 Milliarden US$ einhergehen. Andere Prognosen liegen dazwischen.
Kennziffer | Jahr |
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46 Millionen Einwohner | 2022 |
42 Millionen Hektar Ackerfläche, 1 Million Hektar Dauerkulturen; 75 Millionen Hektar Wiesen und Weiden | 2021 |
6,4 Prozent Anteil der Landwirtschaft an der Entstehung des BIP | 2022 |
54,9 Milliarden US-Dollar Exporte Agrargüter (SITC 0) | 2021 |
Mittel- und langfristig rechnen Experten angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und ihres steigenden Fleischkonsums ohnehin mit einer steigenden Nachfrage nach Agrarprodukten. Zu deren Deckung kann Argentinien einen wichtigen Beitrag leisten, denn das Land verfügt über hervorragende Böden, große Flächen, ein fruchtbares Klima und nicht zuletzt über moderne Technologien. Das größte Risiko sieht Gonzalo Bravo, Geschäftsführer des deutschen Saatgutherstellers KWS in Argentinien, in dem ungelösten Devisenproblem.
"Ansonsten bin ich sehr optimistisch, was die Zukunft der argentinischen Landwirtschaft angeht. Denn wir haben hier mit die besten Böden der Welt – und wir können sie ohne künstliche Bewässerung bewirtschaften."
Positiv ist, dass die argentinischen Landwirte sehr effizient und krisenflexibel arbeiten. Sie sind überwiegend jung, gut ausgebildet und leistungsorientiert. Aber auch sie können der jahrzehntelangen Krise nur bedingt trotzen: Sie leiden unter ständig wechselnden Anforderungen und Bedingungen. Die Sorge ist groß, ob sich angesichts der enormen Steuerlast Investitionen in die Zukunft überhaupt lohnen – sofern die Mittel (vor allem Devisen) für Neuanschaffungen oder auch nur für Teile oder Komponenten vorhanden sind.
Dabei zählt der Agrarsektor zu den ökonomischen Stützen des Landes. Mit vor- und nachgeschalteten Branchen wie Agrarchemie, Maschinenbau, Transport und Handel hängt schätzungsweise ein Drittel aller Arbeitsplätze direkt oder indirekt von ihm ab. Darüber hinaus ist er die wichtigste Devisenquelle für das an Auslandswährung knappe Land.
Für die Saison 2023/24 erwartet die Rosario Stock Exchange (BCR) in Argentinien eine Produktion von
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Landwirtschaft bleibt hinter den Möglichkeiten
Trotz dieser guten Ergebnisse bleibt die argentinische Landwirtschaft – unabhängig kurzfristiger Wetterphänomene – hinter ihren Möglichkeiten zurück. Gründe sind die hohe Abgabenlast, beispielsweise Zölle auf den Sojaexport: 33 Prozent, auf importierte Traktoren 35 Prozent und die Unmöglichkeit, sogar selbst erwirtschaftete Devisen für den Kauf moderner Technik aus dem Ausland zu verwenden. Inwieweit dies unter dem neuen Präsidenten Javier Milei anders werden könnte, ist offen. Auch Milei braucht Geld für die Durchsetzung seiner Pläne.
Branchenstruktur und Rahmenbedingungen
Die Landwirtschaft in Argentinien befindet sich in privater Hand. Zahlreiche Betriebe sind in Genossenschaften organisiert. Wichtigster Dachverband mit über 350 Genossenschaften ist CONINAGRO (fast 150.000 Erzeuger). Ein weiterer wichtiger Verband ist CREA mit 2.500 Mitgliedern, die 13 Prozent der eingesähten Flächen bewirtschaften. CREA ist eine Plattform für den Erfahrungsaustausch zur Optimierung der landwirtschaftlichen Produktion und der Nachhaltigkeit.
Generell sind die Betriebe eher groß. Laut jüngstem Agrocenso 2018 gab es im Zeitraum der Erhebung 2017 knapp 250.000 landwirtschaftliche Betriebe mit einer durchschnittlichen Betriebsfläche von 620 Hektar. 11 Prozent bewirtschafteten Flächen zwischen 1.000 und 10.000 Hektar; 1 Prozent Flächen über 10.000 Hektar.
Absatz von Landwirtschaftsmaschinen - Spiegelbild der Wirtschaftslage
Nach einem guten Verkaufsjahr 2022 brach der Verkauf an Landmaschinen 2023 ein – in den ersten drei Quartalen 2023 um fast 22 Prozent im Vergleich zur Vorjahresperiode. Besonders betroffen waren Sämaschinen, Feldspritzen und Erntemaschinen, so INDEC. Offensichtlich fehlt es den Käufern nach dem dürrebedingten Ernteeinbruch an Kapital für Neuanschaffungen. Experten gehen allerdings davon aus, dass sich die Nachfrage angesichts des Trends zu mehr Automatisierung und Digitalisierung erholt, sobald den Landwirten wieder mehr Kapital zur Verfügung steht.
Generell weist Argentinien eine starke lokale Landtechnikbranche auf: 2022 waren zum Beispiel von 1.040 verkauften Erntemaschinen 91,5 Prozent aus lokaler Produktion. Auch ausländische Firmen wie die deutsche Firma Claas sind mit eigener Produktion vor Ort. Außerdem beschäftigt sich eine Vielzahl von Start-ups – etwa am Startup-Inkubator Innova in Rosario, Hub4 in Rio Cuarto oder CREALab in Buenos Aires – mit Innovationen für die Landwirtschaft.
Der zurückgehende Absatz schlägt direkt auf die Produktion durch. Hinzu kommen ausbleibende Lieferungen etwa von Elektronik- oder anderen Komponenten, die nicht lokal hergestellt werden und für deren Import keine Devisen verfügbar sind. In der Folge lag der Produktionsindex für Landmaschinen im September 2023 bei minus 18,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Jahr 2022 entfielen 61 Prozent der argentinischen Ausfuhren auf landwirtschaftliche Produkte ohne Fischerei- und Forstwirtschaft, aber mit Non-Food-Erzeugnissen wie Rinderhäuten, Biodiesel oder Wolle. Davon machten Sojaprodukte (Schroth, Kuchen, Pellets, Öl: 28,1 Prozent) und Mais (10,8 Prozent) den größten Teil aus.
Außenhandel: Argentinien – ein Riese der Agrarwirtschaft
Dass Argentinien rund 400 Millionen Menschen ernähren kann, ist zwar ein Mythos. Dennoch ist das Land einer der größten Agrarlieferanten der Welt. Hauptabnehmer sind die EU (zum Beispiel Sojaöl), China (Rindfleisch), aber auch Nachbarländer wie Chile (Weizen) oder der Nahe Osten (Halal-geschlachtetes Schaffleisch).
Innovationskraft | Die argentinische Landwirtschaft steht (wie die ganze argentinische Wirtschaft) unter sehr hohem Druck, um unter den sich stets ändernden und eher unternehmensfeindlichen politischen Rahmenbedingungen rentabel zu bleiben. Sie gehört deshalb zu den innovativsten der Welt. Hinzu kommt, dass die eher großen Betriebe es erleichtern, extern fachkundige Beratung hinzuzuziehen, um Prozesse zu optimieren – das fällt Kleinbetrieben deutlich schwerer. Monatliche Berichte zu Innovationen für Landmaschinen veröffentlicht der Fahrzeugverband Acara. |
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Ausgeprägter Einsatz von Lohnunternehmen ("Contratistas") | Die meisten Betriebe verfügen selbst nur über ein Minimum an Maschinen. Speziell die Ernte wird von hochspezialisierten Lohnunternehmen durchgeführt, die das Land - der "Erntereife" folgend - von Norden nach Süden "abarbeiten". Deren Maschinen haben entsprechend viel längere Betriebszeiten pro Wirtschaftsjahr, können daher schneller abgeschrieben werden und werden schneller durch modernere Modelle ersetzt. Der nationale Agrarzensus registrierte mehr als 28.000 solcher Kontraktfirmen. |
Direktsaat | Fast 90 Prozent der Aussaat erfolgt durch Direktsaat, das heißt, das Saatgut wird direkt auf der Ackerkrume ausgebracht. Dadurch wird der Boden geschont und man braucht weniger Diesel, weil das Umpflügen entfällt. Mit moderner Technik kann zudem der Saatgutverbrauch optimiert werden. Nachteil: Es müssen mehr Pestizide eingesetzt werden. Die führenden Direktsaatanbauer sind zusammengeschlossen in der Asociación Argentina de Productores en Siembra Directa (Aapresid). |
Smart Farming: Digitalisierung in Pflanzenbau und Tierzucht | Ziel ist es mit Hilfe von Informationstechnologie, Sensoren, Datenanalyse, Geoinformationssystemen (GIS) und Global Positioning System (GPS), Ressourcen wie Saatgut, Dünger, Wasser und Pflanzenschutzmittel optimal zu nutzen und gleichzeitig die Ernteerträge zu maximieren. Der aufgrund der Direktsaat hohe großflächige Verbrauch von Agrarchemikalien lässt sich mit Präzisionslandwirtschaft erheblich herunterfahren. Dies ist umso wichtiger, da auch viele argentinische Landwirte großflächig umstrittene Produkte wie Glyphosat oder Glufosinat-Ammonium einsetzen. Gefördert wird die Digitalisierung durch das staatliche Institut für Agrartechnologie INTA. Auch in der Tierzucht gibt es noch Verbesserungspotenzial. INTA arbeitet beispielsweise derzeit mit Viehzüchtern an einer Methode, um den Nährwert von natürlichem Futter in Berggebieten mit Fernsensoren abzuschätzen, um ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen Fleischproduktion und Ökosystem zu erreichen. Daneben gibt es zahlreiche Start-ups zum Thema wie Mercado GenGanar, Pacta, Kelpie und viele andere mehr. |
Grüne Landwirtschaft | Laut Länderbericht Argentinien des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ist Argentinien weltweit zweitgrößter Erzeuger von Ökoprodukten und eines der wenigen Länder, dessen Zertifizierungssystem für ökologischen Landbau von der EU anerkannt wird. "Bei aller Kritik an der Ausweitung von Flächen und dem hohen Pestizideinsatz wird die Landwirtschaft in Argentinien grüner. Die meisten Landwirte sind jung und probieren gerne Neues aus. Deshalb gibt es viele Ansätze, etwa den Pestizideinsatz mit Hilfe von smarten Feldspritzen zu reduzieren und ökologischer zu wirtschaften," so Edgard Ramirez, Mitarbeiter im Deutsch-Argentinischen Dialog zu Nachhaltigen Landwirtschaftlichen Innovationen (Agrinnova). Agrinnova bietet Unterstützung für eine klima- und umweltfreundliche Landwirtschaft. INTA fördert kostengünstige, nachhaltige und umweltfreundlichere Alternativen zum konventionellen Landbau, hierzu zählt etwa der Einsatz von Mikroorganismen oder Biostimulanzien zur Saatgutbehandlung. |
Zukunftsaufgabe Wassermanagement | Der Großteil der argentinischen Landwirtschaft kommt ohne künstliche Bewässerung aus. Allerdings verdrängen etwa in den Ebenen der Pampa-Region insbesondere Mais, Soja und Weizen die ursprüngliche Vegetation aus tiefer wurzelnden Bäumen und Büschen. Die flach wurzelnden einjährigen Pflanzen haben, wie Jürgen Vogt in einem Artikel für die TAZ recherchierte, den Grundwasserspiegel ansteigen lassen, was nicht nur zu Versalzung der Böden führt, sondern im Falle schwerer Regenfälle auch zu Überschwemmungen und zu Erosion, weil der Boden die Wassermassen nicht mehr so gut aufnehmen kann. Das Ergebnis sind Boden- und Ernteverluste. |
Zukunftsaufgabe entwaldungsfreie Lieferketten | Das EU-Gesetz zu entwaldungsfreien Lieferketten greift ab Ende 2024. Für Argentinien relevant sind insbesondere die Regelungen zu Rindfleisch, Soja und Holz. Rodungen für die Viehzucht bedrohen zum Beispiel die subtropischen Trockenwälder des Gran Chaco, das zweitgrößte Waldsystem Südamerikas. Laut Greenpeace vollzieht sich die Abholzung hier noch schneller als im Amazonasgebiet – im Durchschnitt 30.000 Hektar jährlich und aufgrund eines Waldnutzungsgesetzes von 2007 teilweise legal. Dies hat nicht nur negative Auswirkungen auf die dort lebende Bevölkerung; es beeinträchtigt außerdem den weltweiten Klimaschutz. Allerdings ist fraglich, ob zum Beispiel Vorschriften über entwaldungsfreie Lieferketten, wie sie der EU im Mercosur-Abkommen vorschweben, zielführend sind. |