Der belgische Chemieumsatz schnellt in die Höhe, was teilweise Preissteigerungen geschuldet ist. Großinvestitionen sorgen jedoch auch für langfristiges Wachstum.
Ein führender Innovations- und Produktionshub
Belgien ist einer der bedeutendsten europäischen Chemiestandorte. Dies liegt insbesondere am Cluster im Antwerpener Hafengebiet, welches nach dem texanischen Houston das zweitgrößte der Welt ist. Im Jahr 2020 haben die belgischen Chemieunternehmen laut dem europäischen Branchenverband Cefic 12,2 Prozent vom kontinentalen Branchenumsatz erwirtschaftet. Cefic vertritt die Hersteller aus 29 Ländern mit bedeutender Chemieindustrie. Darunter befinden sich 24 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) und darüber hinaus das Vereinigte Königreich, die Schweiz, Norwegen, die Türkei und Serbien. Der hohe belgische Anteil ist umso bemerkenswerter, da das Land nur 2,2 Prozent aller Einwohner aus diesen Staaten hat.
In Belgien ist die Chemieindustrie einer der wichtigsten Wirtschaftszweige, der 2021 etwa 15 Prozent zur gesamten Bruttowertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe beigetragen hat. Weitere 2,1 Prozent hat die Petrochemie erbracht und sogar 20,4 Prozent hat die Pharmabranche beigesteuert.
Umsatz boomt
Belgien ist auch einer der größten europäischen Absatzmärkte für chemische Erzeugnisse. Dies liegt zum einen daran, dass die dortigen Hersteller viele Vorprodukte einsetzen. Es gibt aber auch wichtige Abnehmerbranchen. So haben allein die Kunststoff- und Gummiverarbeiter 2021 zusammen 10,6 Milliarden Euro umgesetzt.
Der Umsatz mit chemischen Erzeugnissen ist 2021 um 29,5 Prozent auf ein neues Rekordniveau von 42,7 Milliarden Euro gestiegen. Dieses hohe Wachstum ist jedoch teilweise zu relativieren. So hatte es 2020 einen coronabedingten Einbruch um 9,2 Prozent gegeben, der mit der Konjunkturerholung wieder wettgemacht werden konnte. Darüber hinaus bringen auch die Preissteigerungen, die im Laufe von 2021 eingesetzt haben, höhere Umsätze mit sich, ohne dass dies zu einem gleich hohen realen Wachstum führt. Dies gilt umso mehr für das Jahr 2022, in dem der Umsatz in den ersten sechs Monaten sogar um 44,6 Prozent höher war als im gleichen Zeitraum 2021. Dennoch läuft die Branchenkonjunktur rund, denn die Kapazitäten der Chemieindustrie waren im Juli 2022 zu 80 Prozent und damit deutlich besser als vor Jahresfrist (76 Prozent) ausgelastet.
Unsicherheit bei Lieferketten
Die Nachfrage nach belgischen Chemikalien wird weiter zunehmen. Ob die Hersteller diese jedoch auch bedienen können, ist mit einigen Fragezeichen behaftet. Die durch Russlands kriegerische Handlungen in der Ukraine hervorgerufene Unsicherheit bei der Gasversorgung und die damit verbundene Kostenexplosion stellt auch die belgischen Chemieproduzenten vor große Herausforderungen.
Zudem laufen die internationalen Lieferketten von chemischen Erzeugnissen nach wie vor nicht reibungslos. Dies ist für viele auf Vorprodukte angewiesene belgische Verarbeiter ein großes Problem. Belgien hat 2022 chemische Erzeugnisse der SITC-Position 5 im Wert von 115,5 Milliarden Euro importiert. Das waren 20,6 Prozent mehr als 2020. Deutschland war mit einem Anteil von 16,9 Prozent führendes Lieferland vor den Niederlanden (12,9 Prozent) sowie den USA und Irland (jeweils 12,8 Prozent).
Auch die Belieferung der Kunden kann sich schwierig gestalten, da insbesondere wichtige Bahntrassen bis zur Kapazitätsgrenze ausgelastet sind. Zudem hat die sehr wichtige Rheinschifffahrt 2022 zeitweilig stark unter den zu niedrigen Pegelständen gelitten. Dies ist auch für die Zukunft nicht auszuschließen.
Basischemikalien dominieren
Im Jahr 2021 haben Basischemikalien 77,4 Prozent vom Gesamtumsatz der Branche ausgemacht. Diese hohe Bedeutung hat laut belgischen Branchenkennern Vor- und Nachteile. Eine geringere Abhängigkeit von diesem Segment ist schon deshalb anzustreben, weil die Sparte der Basischemikalien noch konjunkturabhängiger als diejenigen anderer chemischer Erzeugnisse ist.
Umsatz mit chemischen Erzeugnissen in Belgien (in Milliarden Euro; Veränderung in Prozent)NACE Rev.2 | Sparte | 2021 | Veränderung 2021/20 |
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19.2 | Mineralölverarbeitung | 42,4 | 51,3 |
20 | Chemie, davon | 42,7 | 29,5 |
20.1 | Basischemikalien, darunter | 33,0 | 38,7 |
20.2 | Agrarchemikalien | 0,5 | 10,6 |
20.3 | Farben | 2,2 | 6,3 |
20.4 | Kosmetik und Reinigungsmittel | 2,8 | 9,6 |
20.5 | Sonstige chemische Erzeugnisse | 4,0 | 16,0 |
20.6 | Chemiefasern | 0,2 | -72,9 |
21 | Pharmazeutika | 20,5 | 4,4 |
Quelle: Statbel 2022
Die Konzentration in der Produktion von Basischemikalien ist andererseits auch ein internationaler Standortvorteil. Insbesondere im Cluster von Antwerpen eröffnen sich den Herstellern hohe Synergieeffekte. Dort existiert ein Pipelinenetz von 1.000 Kilometern Länge. Diese Nähe von Produzenten und Abnehmern zieht immer weitere Investitionen an.
Ein weiterer großer Vorteil für den Chemiestandort Belgien ist der innovationsstarke Pharmasektor. Diese wichtige Abnehmerbranche hat 2021 etwa 5,2 Milliarden Euro für die Forschung und Entwicklung ausgegeben. Dies waren 35,1 Prozent mehr als vor dem Ausbruch der Coronapandemie 2019. Insbesondere mit der sehr bedeutenden Biotechbranche lassen sich viele Innovationssynergien generieren. Der Seehafen Antwerpen-Brügge und der Flugplatz Brüssel zählen auch zu den am besten ausgerüsteten europäischen Umschlagzentren für Arzneimittel.
Ausgewählte Investitionsprojekte der chemischen Industrie in BelgienAkteur/Projekt | Investitionssumme (in Euro) | Projektstand | Anmerkungen |
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Neue PDH-Anlage und Ethan-Cracker von INEOS in Antwerpen *) | 3 Mrd. | Planung | Realisierung bis 2024 geplant; Investor ist Ineos |
Aufbau einer Fertigung für Batteriekomponenten | 3 Mrd. | Planung | Gründung des Joint-Ventures PowerCo von Umicore und Volkswagen |
Neue Biopharmaproduktion und Forschungsabteilung von UCB in Braine L'Alleud | 975 Mio. | Planung | Realisierung bis 2024 geplant; Investor ist UCB |
Ausbau Alkylethanolamin-Produktion von BASF in Antwerpen | k.A. | Planung, tw. Bau | Realisierung bis 2024 geplant; Investor ist BASF |
*) PDH: PropandehydrogenierungQuelle: Recherchen von Germany Trade & Invest; Pressemeldungen
Von Torsten Pauly
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Berlin