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Belgien investiert massiv in Bahninfrastruktur
Belgien wird sein Schienennetz und die Ausstattung der Staatsbahn modernisieren. Dies hat die Regierung Ende 2022 beschlossen.
11.01.2023
Von Torsten Pauly | Berlin
Die belgische Regierung hat ein Investitionsprogramm für die Bahn im Umfang von 25,6 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2023 bis 2032 aufgelegt. Von der Gesamtsumme erhält die öffentliche Bahngesellschaft SNCB/NMBS (Société nationale des chemins de fer belges/Nationale Maatschappij der Belgische Spoorwegen) 9,2 Milliarden Euro. Diese wird damit das rollende Material für 4,2 Milliarden Euro modernisieren. Weitere 1,8 Milliarden Euro sollen in die Bahnhöfe, insbesondere in deren Barrierefreiheit fließen. Darüber hinaus sind 1,4 Milliarden Euro für die Verbesserung von Werkstätten und Depots und 1,2 Milliarden Euro für Digitalisierungsprojekte vorgesehen. Die restlichen Gelder kommen sonstigen Gebäuden zugute.
Die landesweite Schieneninfrastruktur besitzt und betreibt die staatliche Gesellschaft Infrabel. Diese wird bis 2032 mindestens 16,4 Milliarden Euro investieren. Davon sind 5,4 Milliarden Euro für Instandhaltungen und 11 Milliarden Euro für Erweiterungen und neue Projekte vorgesehen. Noch höhere Investitionszusagen sind möglich, wenn der Ausbau der Bahntrassen zwischen Brügge und Gent sowie von Ottignes nach Luxemburg entschieden ist. Das Projekt befindet sich noch in der Planung und Prüfung.
Ehrgeizige Pläne für die digitale Verkehrsüberwachung
Belgien will Ende 2025 als erstes europäisches Land sein gesamtes Schienennetz mit dem ETCS-Signalsystem (European Train Control System) ausgestattet haben. Dieses ermöglicht unter anderem die ständige Geschwindigkeitskontrolle aller Züge. Auch darüber hinaus will Infrabel die Digitalisierung seiner Infrastruktur bis 2032 vorantreiben und plant hierfür 2 Milliarden Euro ein.
Viele Ausschreibungen für belgische Bahnprojekte richten sich an einen präqualifizierten Teilnehmerkreis. Nähere Informationen hierzu finden deutsche Anbieter auf den Internetseiten von Infrabel und SNCB/NMBS.
Modernisierungsstau in vielen Bereichen
Das Ende 2022 aufgelegte Investitionsprogramm ist das erste für das belgische Bahnnetz seit 2012. Daher gibt es einen teilweise beträchtlichen Nachholbedarf. So waren 2021 nur 88 von insgesamt 555 belgischen Bahnhöfen barrierefrei. Dies soll 2032 zumindest in 176 Bahnhöfen, die 80 Prozent des gesamten Fahrgastaufkommens abwickeln, der Fall sein. Auch die Zahl der Fahrradstellplätze soll sich bis 2032 an Bahnhöfen um 40 Prozent und in Waggons um 50 Prozent erhöhen.
Die Hälfte seines Zugbestandes will die Bahn SNCB/NMBS in den kommenden zehn Jahren erneuern. Zudem soll das Angebot an Verbindungen im selben Zeitraum um 10 Prozent steigen. Insbesondere zu Stoßzeiten werden im Nahverkehr mehr Züge verkehren. Dafür soll die S-Bahn-Flotte um ein Viertel erweitert werden. Insgesamt will die belgische Bahn 2032 etwa 30 Prozent mehr Fahrgäste befördern als 2022.
Mehr Lkw-Transport muss auf die Schiene
In Belgien wurden 2020 und in den Jahren zuvor 12 Prozent aller Güter auf der Schiene bewegt. Dagegen hatten Lkw stets einen Anteil von über 75 Prozent. Die belgische Bahnquote war deutlich geringer als in Deutschland (18 Prozent in 2020) und als der Durchschnitt der Europäischen Union (17 Prozent in 2020). Die geringe Bahnnutzung ist besonders problematisch, da Belgien als Logistikdrehkreuz in Nordwesteuropa ein sehr hohes Güteraufkommen hat. Allein der Hafen Antwerpen-Brügge hat 2021 mehr als alle deutschen Seehäfen zusammen umgeschlagen.
In Belgien besitzen neun Bahngesellschaften eine Lizenz zur Frachtbeförderung, darunter DB Cargo Belgium NV. Das mit Abstand führende Transportunternehmen ist jedoch die Staatsbahn SNCB/NMBS, die 2021 etwa 58 Prozent der gesamten Zugfracht beförderte.
Verlagerung vom Fluss aufs Gleis
Branchenkenner gehen davon aus, dass Güterzüge auch wegen des Klimawandels in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen. Grund sind fallende Flusspegelstände in den Sommermonaten, die die Binnenschifffahrt aufgrund sinkender Auslastung verteuern oder ganz zum Erliegen bringen. Dieses Phänomen war bereits in den letzten Jahren zu beobachten. Besonders betroffen sind Industrien, die von Schüttgut- und Chemikalientransporten abhängen.
Das Frachtaufkommen auf Belgiens Schienen ist 2020 wegen der Coronapandemie um 9 Prozent eingebrochen und 2021 wieder um 2,4 Prozent gestiegen. Zahlen für 2022 liegen im Januar 2023 noch nicht vor. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass das Vorkrisenniveau bereits wieder erreicht ist, denn viele Lieferketten funktionieren immer noch nicht reibungslos.
Staatsbahn behält Monopol für Personenverkehr
Alle Passagierzüge außer U- und Straßenbahnen betreibt in Belgien das Staatsunternehmen SNCB/NMBS. Diese Regelung hat die Regierung Ende 2022 zusammen mit der Investitionsplanung für zehn Jahre verlängert. Lediglich auf grenzüberschreitenden Strecken gibt es Anbieter wie Thalys und die Deutsche Bahn.
In Belgien war der Anteil der Bahn am Personenverkehr laut neuesten verfügbaren Vorpandemiezahlen von 2019 mit 8 Prozent ebenfalls geringer als in den Nachbarländern Deutschland (9 Prozent), Frankreich (10 Prozent) und den Niederlanden (11 Prozent). Im Jahr 2020 war das belgische Passagieraufkommen wegen Corona um 6,6 Prozent gesunken. Doch 2021 hat das Niveau fast wieder den Stand von 2019 erreicht.