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Chinesische Autos mischen den brasilianischen Markt auf
Weltweit sorgen günstige E-Autos aus China für Aufruhr – auch in Brasilien. Trotz der Anreize des neuen Förderprogramms Mover sieht sich die lokale Kfz-Industrie unter Druck.
01.10.2024
Von Gloria Rose | São Paulo
Im 1. Halbjahr 2024 wurden in Brasilien 1,14 Millionen Kfz zugelassen, 14,6 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Angekurbelt wird der Verkauf durch günstigere Kreditbedingungen. Diese nutzen insbesondere die Autovermietungen zur Erneuerung ihres Fuhrparks. Daraufhin verbesserte der brasilianische Kfz-Händlerverband Fenabrave die Prognosen für 2024. Für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge erwartet Fenabrave nun ein Wachstum um 15 Prozent statt zuvor 12 Prozent. Der Lkw-Absatz soll um 12 Prozent statt um 10 Prozent zulegen, Lkw-Anhänger um voraussichtlich 10 Prozent. Bei Motorrädern sollen die Zulassungen um 20 Prozent steigen statt der zuvor prognostizierten 16 Prozent. Beim Verkauf von Bussen erwartet der Verband wie schon zum Jahresbeginn einen Zuwachs um 20 Prozent.
Zinssenkungen kommen zum Stillstand
Der sinkende Zins wirkt sich in diesem Jahr positiv auf die Kreditvergabe aus. Nach und nach dürfte das Marktwachstum abflachen, denn die Stimulierung durch weitere Zinssenkungen bleibt vorerst aus. Seit Mai 2024 hält sich der Leitzins Selic auf dem Niveau von 10,5 Prozent. Ab August 2023 hatte die brasilianische Zentralbank den Selic nach und nach von dem Höchstniveau von 13,75 Prozent auf das aktuelle Niveau heruntergesetzt.
Nachfragetrend: E-Autos legen kräftig zu
Seit 2023 drängen chinesische E-Auto-Hersteller auf den brasilianischen Markt. Ganz vorne dabei sind BYD und Great Wall Motor (GWM), die zusammen die sieben beliebtesten E-Auto-Modelle Brasiliens vermarkten. Beide Autobauer investieren bereits in die Produktion vor Ort und treiben die Markterschließung aggressiv voran. Das schlägt sich in den Wachstumsraten nieder.
Antrieb | 1. Hj. 2024 | Veränderung *) | Anteil an den gesamten Zulassungen von Elektroautos |
---|---|---|---|
Plug-in Electric Vehicles (PEV) | 54.500 | 270,3 | 71,1 |
davon Battery Electric Vehicle (BEV) | 31.204 | 725,9 | 36,0 |
davon Plug-in Hybrid Electric Vehicle (PHEV) | 23.296 | 113,0 | 35,1 |
Hybrid Electric Vehicle | 24.804 | 41,6 | 28,9 |
davon mit Bioethanolmotor (HEV flex) | 10.987 | 9,5 | 12,1 |
davon mit Benzinmotor (HEV) | 7.394 | 271,9 | 8,6 |
davon mit Mild Hybrid-Antriebssystem (mHEV) | 6.423 | 16,9 | 8,2 |
Insgesamt | 79.304 | 146,0 | 100,0 |
Elektrisch betriebene und hybride Kfz wurden lange begünstigt eingeführt. Ende 2023 kündigte die Regierung an, die Importsteuern bis Juli 2026 etappenweise von 0 Prozent auf den üblichen Satz von 35 Prozent anzuheben. Damit liegen diese weiterhin deutlich unter den Zollsätzen in den USA und der EU. Angesichts der exorbitanten Steigerungsraten bei Kfz-Importen fürchtet der Herstellerverband Anfavea um die lokale Produktion und fordert eine noch schnellere Zurücknahme der Begünstigungen. Dagegen protestiert der Verband für E-Autos ABVE. Schließlich entfällt nach wie vor nur ein sehr geringer Anteil der Neuzulassungen auf E-Autos und Hybridfahrzeuge. Für den Verkehr außerhalb der Metropolregionen mangelt es an der notwendigen Infrastruktur. Laut ABVE verfügt das Land mit seinen kontinentalen Ausmaßen gerade einmal über 4.600 Ladestationen. Ein Drittel konzentriert sich auf den Bundesstaat São Paulo. Der Verband rechnet damit, dass sich die Anzahl bis Ende 2025 mehr als verdoppelt.
Branchenstruktur: Kfz-Produktion wächst nur schwach
Brasiliens Herstellerverband Anfavea registrierte im 1. Halbjahr einen Produktionszuwachs von nur 0,5 Prozent auf 1,13 Millionen Fahrzeuge. Während sich die Bus- und Lkw-Fertigung von dem Einbruch im Vorjahr erholt, war die Produktion von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen sogar etwas rückläufig.
Neben der zunehmenden Konkurrenz durch Kfz-Importe machten auch die Überschwemmungen in Rio Grande do Sul dem Sektor zu schaffen. Der südlichste Bundesstaat ist ein bedeutender Standort für Kfz-Zulieferer. Außerdem betreiben hier verschiedene Hersteller große Montagewerke: GM montiert Pkw in Gravataí, Marcopolo und Neobus Busse, Agrale Lkw, Guerra und Randon Lkw-Anhänger sowie AGCO und John Deere Landmaschinen.
Auch Brasiliens Herstellerverband korrigierte seine Prognosen zur Jahresmitte. Für 2024 erwartet Anfavea nun ein höheres Marktwachstum von 10,9 Prozent statt zuvor 6,1 Prozent. Für die Produktion sieht es weniger rosig aus – auch wegen der Konkurrenz durch chinesische Kfz. Anfavea rechnet mit einer Steigerung um 4,9 Prozent statt zuvor 6,2 Prozent. Bei den Exporten geht der Verband nun von einem herben Einbruch um 20,8 Prozent aus. Zum Jahresbeginn erwartete Anfavea noch eine leichte Zunahme um 0,7 Prozent.
Förderprogramm Mover regt Hersteller und Zulieferer zu Investitionen an
Trotz der mäßigen Entwicklung gibt sich die Branche positiv. Am 27. Juni 2024 verabschiedete Präsident Lula da Silva das neue Förderprogramm Mover, das bereits seit dem Beschluss der vorläufigen Maßnahme Ende 2023 die Unternehmen zu Investitionsankündigungen animiert. Zur Förderung stellt der Staat bis 2027 rund 3,8 Milliarden US-Dollar (US$) zur Verfügung. 89 Autobauer und Zulieferer haben sich bereits für das Programm registrieren lassen. Anfavea berechnet das Gesamtvolumen des neuen Investitionszyklus auf 23,6 Milliarden US$.
Brasiliens Autobauer setzen auf Hybridfahrzeuge, die mit Bioethanol betrieben werden (HEV flex). Nach dem Erfolg von Toyota bringen demnächst Fiat, Jeep und Peugeot der Stellantis Gruppe sowie Volkswagen Hybrid-Flex-Modelle auf den Markt. Im Juli 2024 kündigte auch GM an, HEV flex-Modelle vor reinen E-Autos auf dem brasilianischen Markt anzubieten. Der Trend erfasst auch Schwerfahrzeuge. Bushersteller Marcopolo entwickelte ein Hybrid-Flex-Modell, das ab dem 2. Halbjahr 2025 im Werk in São Mateus im Staat Espírito Santo in Produktion geht.
Außenhandel: Brasilien wird zum Top-Zielmarkt für chinesische Kfz-Exporte
Im 1. Halbjahr 2024 legten die Neuzulassungen importierter Fahrzeuge um knapp 40 Prozent auf 197.600 Stück zu. Aus China stammten fünf Mal so viele Kfz wie im Vorjahreszeitraum. Damit stieg der Anteil Chinas von 7 Prozent auf 26 Prozent. China verdrängte Mexiko und Deutschland und nimmt nun nach Argentinien den 2. Rang der wichtigsten Kfz-Lieferländer ein.
Zeitgleich bricht der Export ein. Auch in diesem Bereich beeinträchtigt das Vordringen chinesischer Hersteller die brasilianische Kfz-Industrie, die Marktanteile in wichtigen Zielmärkten wie Kolumbien und Mexiko verliert.