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Nachhaltigkeit in der Chemieindustrie
Brasiliens Chemieindustrie bietet viel Potenzial zur Dekarbonisierung. Dies gilt nicht zuletzt für die Düngemittelproduktion. Biokraftstoffe sparen schon heute viel CO2 ein.
18.04.2024
Von Gloria Rose | São Paulo
Brasilien bietet hervorragende natürliche Bedingungen für die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Industrie:
- einen vorbildlich grünen Strommix
- einen äußerst kostengünstigen Zugang zu erneuerbarer Energie und
- ein immenses Potenzial für Bioenergie.
Laut einer aktuellen Studie des Chemieverbands Abiquim sind die Emissionen bei der Produktion von Chemikalien in Brasilien heute 5 bis 35 Prozent niedriger als in Europa. Im Vergleich zu US-amerikanischen oder chinesischen Produkten sind die Emissionen teilweise nur halb so hoch.
Dank der günstigen grünen Energie hat Brasilien bei der Elektrifizierung chemischer Prozesse Vorteile im internationalen Wettbewerb. Die vier größten Petrochemiehersteller Braskem, Dow, Unipar und Unigel verstärken bereits ihre Investitionen in erneuerbare Energien.
Doch die natürlichen Vorteile sind nicht alles, denn sowohl die USA als auch die EU locken Investoren mit gewaltigen Förderinstrumenten wie dem Inflation Reduction Act (IRA) beziehungsweise dem Green Deal. Um zusätzliche Anreize zu setzen, verabschiedete die brasilianische Regierung deshalb Anfang 2024 das Programm Nova Indústria Brasil, das ein Fördervolumen von rund 60 Milliarden US-Dollar (US$) bis 2026 umfasst. Ziel Brasiliens ist es, den jahrelangen Trend der Deindustrialisierung umzukehren und neue Industriebetriebe anzulocken, allen voran aus energieintensiven Zweigen.
Brasilien setzt bei Wasserstoff auf grünen Strom und Bioenergie
Wasserstoff spielt eine wichtige Rolle bei den industriepolitischen Plänen der Regierung. Im Rahmen des 2023 verabschiedeten Dreijahresplans (2023 bis 2025) des Programa Nacional do Hidrogênio (PNH2) erarbeitet Brasilien nach und nach eine eigene Wasserstoffstrategie. Derzeit entscheidet der Senat über den Gesetzesvorschlag 2308/2023, der den Rechtsrahmen für die Wasserstoffwirtschaft festlegt. Das PNH2-Komitee legt den Schwerpunkt auf "CO2-armen Wasserstoff" anstelle von "grünem Wasserstoff". Dieser Begriff schließt die Verwertung der im Land im reichlich vorhandenen Bioenergie ein.
Die Aussicht auf Absatzchancen am europäischen Markt stimuliert bereits erste Wasserstoffprojekte an Petrochemie- und Hafenkomplexen, die somit auch prädestiniert sind für grüne Chemieprojekte. Das Gros der Investoren konzentriert sich dabei auf Standorte mit Freihandelszonen. Hierzu zählen:
- Pecém (Bundesstaat Ceará)
- Parnaíba (Piauí)
- Suape (Pernambuco) und
- Porto do Açu (Rio de Janeiro)
Der Hafenkomplex Camaçari in Bahia verfügt über keine ZPE (Zona de Processamento de Exportação) und fokussiert eher auf die lokale Verwertung – ebenso wie der Petrochemiekomplex Cubatão in São Paulo.
Petrochemie in São Paulo nutzt Biomethan
Die deutsche Unternehmensberatung Roland Berger beziffert das mögliche Potenzial Brasiliens zur Erzeugung von Biomethan im Jahr 2050 auf 59 Milliarden Kubikmeter. Davon entfallen allein 30 Prozent auf den Bundesstaat São Paulo. Denn das Wirtschaftszentrum des Landes ist auch Brasiliens bedeutendster Produzent von Zuckerrohr und Bioethanol.
Die Region will ihr immenses Potenzial unter anderem nutzen, um den Petrochemiestandort Cubatão zu dekarbonisieren und wiederzubeleben. Der norwegische Düngerkonzern Yara ersetzt hier bereits herkömmliches Erdgas durch Biomethan und plant, den Anteil nach und nach zu erhöhen. Dafür schloss Yara langfristige Lieferverträge mit dem Bioethanolkonzern Raízen ab. Nun wirbt die Regierung des Bundesstaats aktiv um Investoren und verspricht Unterstützung. Im Oktober 2023 kündigte Unipar an, seine Chlor-Alkali-Anlage in Cubatão zu modernisieren.
Chlor-Alkali-Branche veröffentlicht Roadmap
Maßnahmen zur Dekarbonisierung und der steigende Bedarf der brasilianischen Wasserwirtschaft treiben die Chlor-Alkali-Hersteller zu Investitionen. Der Branchenverband Abiclor veröffentlichte im August 2023 eine Roadmap bis 2035 mit konkreten Maßnahmen. Zwischen 2022 und 2025 wird die Branche voraussichtlich 1 Milliarde US$ investieren. Rund 15 Prozent der Produktion sollen in dem Zeitraum auf saubere Technologien umgestellt werden.
Düngerproduzenten investieren in Elektrolyse
Die Düngemittelproduktion ist ein wichtiger Bereich für die Dekarbonisierung Brasiliens. Schließlich hat das kapitalstarke Agrobusiness ein zunehmendes Interesse daran, seinen CO2-Fußabdruck zu mindern. Die Petrochemiegruppe Unigel betreibt zwei Stickstoffdüngeranlagen, eine in Laranjeiras (Sergipe) und eine in Camaçari (Bahia). Seit Mitte 2022 errichtet Unigel am Standort Camaçari Brasiliens erste Elektrolyseanlage zur Produktion von grünem Ammoniak im Industriemaßstab. Ende 2023 kündigte der Schweizer Konzern Atlas Agro Investitionen in eine Elektrolyseanlage im Staat Minas Gerais an.
Im Februar 2024 gab der halbstaatliche Ölkonzern Petrobras bekannt, eine Pilotanlage zur Wasserstoffelektrolyse zu errichten. Außerdem unterzeichnete Petrobras Absichtserklärungen mit Unigel und Yara, um gemeinsame Projekte zur Dekarbonisierung zu entwickeln.
Wachstumskurs für Biokraftstoffe ist vorgezeichnet
Brasilien will seine Vorreiterrolle bei Biokraftstoffen für die Energiewende nutzen. Der Gesetzesvorschlag 4516/2023 sieht vor, den Beimischungsanteil von Ethanol in Benzin auf eine Spanne von 22 bis 35 Prozent anzuheben. Derzeit liegt der Anteil zwischen 18 und 27,5 Prozent.
Der Beimischungsanteil von Biodiesel stieg im März 2024 auf 14 Prozent. Ab 2025 soll der Anteil um einen Prozentpunkt pro Jahr zulegen und im März 2030 die 20-Prozent-Marke erreichen. Bei Flugkraftstoffen sieht das Programm ProBioQAV eine Beimischung von 1 Prozent nachhaltigem Kraftstoff ab 2027 vor.
Über den Handel mit den CO2-Zertifikaten CBios erwirtschaften die Produzenten von Biokraftstoffen seit 2020 zusätzliche Erlöse. Das gilt nicht nur für die traditionelle Zucker-Ethanol-Industrie, sondern auch für Anlagen, die Mais nutzen. Letztere produzieren mittlerweile fast 20 Prozent des Bioethanols in Brasilien. Bis 2030 soll die jährliche Produktion von Ethanol-Kraftstoff aus Mais auf 10 Milliarden Liter zulegen.