Special | Chile | Klimawandel lokal
In Chile ist Wasserknappheit die neue Normalität
Chile leidet massiv an den Folgen des Klimawandels. Die Politik steuert mit einer Reihe neuer Gesetze gegen und unterstützt nachhaltige Projekte. Doch das reicht nicht.
20.06.2023
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Vertrocknete Felder, leere Flussbetten, Dörfer, die von Lkw mit Trinkwasser versorgt werden - seit 2006 bleiben in Chile die Niederschläge weit unter dem langfristigen Durchschnitt. Und 2022 waren es laut nationalem Wetteramt erneut 22 Prozent weniger. Die UN-Weltorganisation für Meterologie (WMO) spricht für Zentralchile deshalb von einer Megadürre, wie sie in tausend Jahren nur einmal vorkommt.
Dürren und Wetterkapriolen mehren sich
Rund drei Viertel Chiles sind betroffen, so der WMO-Sachstandsbericht 2021. Damit ist der Andenstaat das Land in der Region, das am meisten unter Wasserknappheit leidet. Auch künftig sollen sich Dürren verstärken; die Bodenfeuchtigkeit wird weiter abnehmen, zumal die geringeren Niederschläge mit steigenden Temperaturen einhergehen.
Allein 2021 wies die WMO in verschiedenen Regionen Chiles 18 Hitzewellen aus. Die Verlustrate an Gletschermasse gehört zu den höchsten der Welt. Zugleich nehmen paradoxerweise Kältephänomene zu. Beispielsweise maß die Wetterstation in Puerto Natales in Patagonien im Juli 2022 mit minus 18,8 Grad den niedrigsten Wert dort seit Beginn der Aufzeichnungen 1996. Außerdem regnet es an manchen Orten ungewohnt viel - etwa im Wüstenort San Pedro de Atacama (für 2022: +11 Prozent).
Aufklärung und Alltagslösungen zum Umgang mit dem Klimawandel gefragt
Daran, dass diese Phänomene eine Folge des Klimawandels sind, zweifelt in Chile kaum jemand, auch nicht daran, dass sich die Situation weiter verschlechtert. Wissenschaftliche Studien, nach denen sich die in Chile verfügbare Wassermenge künftig drastisch verringert, untermauern dies. Dennoch gehört der Klimawandel nicht zu den Hauptsorgen der Bevölkerung. Diese sind Umfragen zufolge zuvorderst die zunehmende Kriminalität sowie steigende Preise.
Nach Ansicht von Experten ist mehr Aufklärung und Bildung in der Bevölkerung sowie bei den meisten Unternehmen nötig, um Lösungen auf allen Ebenen für einen effizienteren Wassereinsatz zu ermöglichen. Für Unternehmen stehe die Wasserknappheit erst im Vordergrund, wenn sie direkt betroffen seien, so die Erfahrung von Felipe Donoso, der seit 13 Jahren für die österreichische Firma Bauer Forst- und Landwirtschaftsprojekte in Lateinamerika durchführt.
Brandkatastrophen nehmen zu – Nachfrage nach Katstrophenbekämpfung ebenso
Ansonsten dächten die meisten Chilenen bei Klimawandel weniger an ihren konkreten Alltag als zunächst an Naturkatastrophen, meint Donoso. Tatsächlich nehmen Brandkatastrophen an Ausmaß und Häufigkeit zu, die letzten Großfeuer vom Februar 2023 verwüsteten mehr als 62.000 Hektar Land. Um diese Herausforderungen zu meistern, bedarf es auch technologischer Lösungen zur Risikominderung und im Katastrophenmanagement.
Zwar gibt es bereits zahlreiche Investitionen in die Katastrophenbekämpfung, doch fehle es an Präventionsmaßnahmen. Gebraucht würden etwa Drohnen und andere moderne technische Systeme wie Infrarotkameras, Rauchsensoren und Systeme zur Messung meteorologischer Daten, meinen Fachleute des geografischen Dienstes Servicio Nacional de Geología y Minería de Chile (SERNAGEOMIN).
Klimaschutz für Politik zentral
Zwar ist der Beitrag der rund 20 Millionen Menschen in Chile zum Klimawandel eher klein: Im Jahr 2021 trug der Andenstaat 0,23 Prozent zu den globalen Kohlendioxidemissionen bei; der Kohlendioxidausstoß pro Kopf lag bei rund 4,4 Tonnen im Jahr (zum Vergleich: Deutschland rund 8,1 Tonnen). Trotzdem hat die Politik den Klimawandel und seine Bekämpfung schon unter der Vorgängerregierung zu einem ihrer Hauptthemen gemacht. In diesem Sinne ist Chile im Begriff, bis 2030 den Ausstieg aus der Kohle umzusetzen, um bis 2050 klimaneutral zu sein.
- Ausgebaut werden vor allem die Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenenergie beziehungsweise die Gewinnung von grünem Wasserstoff, auch zum Export; 2022 stammte erstmals mehr Strom aus nicht-konventionellen erneuerbaren als aus fossilen Energieträgern.
- Darüber hinaus hat Chile eine Elektromobilitätsstrategie erarbeitet, nach der beispielsweise die Busse des öffentlichen Nahverkehrs sukzessive durch E-Mobile ersetzt werden. Übersektoral gilt das 2021 verabschiedete Energieeffizienz-Gesetz. Gerade im Bausektor ist noch viel Luft nach oben. Das gilt besonders für Isolierung, Heiz- und Klimatechnik.
- Ein weiterer Hebel ist das Gesetz 20780. Dem Gesetz zufolge müssen Emittenten ab einem Ausstoß von 25.000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr eine Steuer von 5 US-Dollar (US$) pro Tonne zahlen. Bis 2030 soll dieser Betrag auf 35 US$ steigen. Nicht zuletzt deshalb (abgesehen von steigenden Preisen fossiler Energieträger) will etwa der für Chiles Wirtschaft bedeutsame Bergbau seinen Energiebedarf bis 2033 zu 71 Prozent aus erneuerbaren Energieträgern decken, so ein Bericht der Comisión Chilena del Cobre (Cochilco).
- Absolut wegweisend soll jedoch das im Juni 2022 auf Basis der UN-Klimakonferenz von Glasgow in Kraft gesetzte Rahmengesetz zum Klimawandel ("Ley Marco de Cambio Climático") sein. Es enthält 400 konkrete Maßnahmen in verschiedenen Sektoren.
Gesetz | In Kraft seit | Anmerkungen |
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Rahmengesetz zum Klimawandel (Ley 21455 "Ley Marco de Cambio Climático") | 13.6.2022 | Rahmengesetz basierend auf den Klimazielen der UN-Klimakonferenz von Glasgow 2021; 400 konkrete Maßnahmen in verschiedenen Sektoren, erstellt in einem partizipativen Prozess mit 5.000 Personen; Hauptziel: Chile soll bis 2050 klimaneutral und klimaresilient werden. |
Energieeffizienz-Gesetz (Ley 21305 "Sobre Eficienca Energética") | 13.2.2021 | Drosselung des Energieverbrauchs um 10 Prozent bis 2030 in Industrie, Bergbau, Transport, Gebäuden sowie um 35 Prozent bis 2050; jährliche Reduktion der Emissionen bis 2030, Schließung von 18 Kohlekraftwerken bis 2025. |
Gesetz zu allgemeinen Umweltgrundlagen (Ley 19300 "Aprueba Ley sobre Bases Generales del Medio Ambiente") | Ursprung von 1994, letzte Neuerung 13.6.2022 | Sicherung der Erhaltung der Natur; Recht, in einer sauberen Umwelt zu leben; das Gesetz sollte bei Annahme der neuen Verfassung noch deutlich ausgeweitet werden; der Entwurf der neuen Verfassung wurde im September 2022 aber abgelehnt. |
Steuer auf Schadstoffemissionen aus immobilen Quellen (Ley 20780 Artikel 8 "Impuesto anual que grava las emisiones contaminantes de fuentes fijas") | 1.1.2017 | Steuerpflichtig sind unter anderem Emittenten, die jährlich 100 oder mehr Tonnen Feinstaub oder 25.000 oder mehr Tonnen Kohlendioxid ausstoßen. Der Steuersatz pro emittierte Tonne beträgt 5 US$. In der nationalen Energiestrategie von 2021 wurde beschlossen die Steuer bis 2030 auf 35 US$ pro Tonne Kohlenstoffdioxid anzuheben. |
Staat fördert private Projekte im Umweltbereich
Unterstützend auf dem Weg zu mehr Klimaschutz soll sich die Ausgabe von "grünen Schuldverschreibungen" auswirken. Chile war 2019 das erste Land auf dem amerikanischen Kontinent, das solche Bonds zur Finanzierung nachhaltiger Projekte emittierte; im Jahr 2022 gab die Zentralbank grüne Bonds im Wert von 4 Milliarden US$ aus.
Eine wichtige Rolle spielt auch die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Corfo. Nach den Erfahrungen des Unternehmens WLT Deutschland erwies sich der Kontakt zu Corfo als sehr hilfreich bei der Umsetzung des ersten Wasserprojektes in Chile. WLT ist gegenwärtig an drei Vorhaben im Land beteiligt, darunter dem Trinkwasserprojekt Lo Barnechea mit dem Wasserversorger Aguas Andinas. Hierfür wird Wasser nicht aus dem Meer, sondern unter anderem mit Technologie des Fraunhofer-Instituts aus der Atmosphäre gewonnen. Doch trotz aller Maßnahmen bleibt in puncto Klimaschutz noch viel zu tun. Darin sind sich Beobachter einig.
Indikator | Chile |
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Bevölkerung (in Mio.) | 20,1 (2023) |
Ranking des Landes im Climate Change Performance Index (CCPI) | Rang: 6 (2023) |
Anteil des Landes an den weltweiten CO2-Emissionen (in Prozent) | 0,23 (2021) |
CO2-Ausstoß gesamt (in Mio. t pro Jahr) | 85 (2021) |
CO2-Ausstoß pro Kopf (in t CO2/Kopf und Jahr) | 4,4 (2021) |
Emissionsintensität der Wirtschaft (in kg CO2/BIP) | 0,2 (2021) |
Energieintensität der Wirtschaft (in MJ/2015 USD PPP) | 3,7 (2019) |
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