Special | China | Krieg in der Ukraine
Krieg zwingt China zu Drahtseilakt
Noch spüren die deutschen Firmen in China wenig vom Krieg in der Ukraine. Das dürfte sich ändern, falls sich die Volksrepublik komplett auf die Seite Russlands schlägt.
23.03.2022
Von Roland Rohde | Hongkong
Die chinesischen Medien haben bereits intensiv über den Krieg in der Ukraine berichtet. Doch die wirtschaftlichen Folgen standen dabei nicht so sehr im Vordergrund. Das könnte damit zusammenhängen, dass sich die Regierung politisch noch nicht eindeutig positioniert hat und mit der Bekämpfung einer Omikron-Welle beschäftigt ist.
Vor allem aber spielt der Waren- und Technologieaustausch mit Russland gesamtwirtschaftlich betrachtet eine eher geringe Rolle. Das entsprechende Außenhandelsvolumen belief sich 2021 nach Angaben des chinesischen Zollamtes auf umgerechnet fast 150 Milliarden US-Dollar (US$). Zum Vergleich: Mit Deutschland summierte sich das bilaterale Handelsvolumen auf 235 Milliarden Euro. Gemessen am gesamten Handelsaufkommen der Volksrepublik entspricht dies lediglich gut 2 Prozent. Russland stand 2021 auf Rang 11 der größten Handelspartner Chinas.
In einzelnen Sparten, in den Grenzregionen und für bestimmte Unternehmen kann es aus chinesischer Sicht aber höhere Abhängigkeiten geben. Bei mineralischen Brennstoffen ist die chinesische Zulieferstruktur recht diversifiziert. So stammten 2021 nur gut 17 Prozent aller Erdöleinfuhren aus der Russischen Föderation. Bei Erdgas lag die Quote sogar nur bei 6 Prozent. Vor allem im Erdölbereich müsste sich die Volksrepublik also nach neuen Lieferanten umschauen, wenn Russland als Lieferant wegfiele. Doch bislang zeigt das Reich der Mitte wenig Interesse daran, sich an den westlichen Sanktionen zu beteiligen, auch wenn der Druck aus den USA wächst.
Chinesisch-russisches Flugzeugprojekt vor dem Aus
Insgesamt bestanden Chinas Importe aus Russland 2021 zu etwa 90 Prozent aus Erzen und Metallen, mineralischen Brennstoffen, Holz und Nahrungsmitteln. Die Einfuhren von Investitionsgütern fielen hingegen gering aus. Es gibt aber Ausnahmen: So entwickelt China derzeit den zivilen Langstreckenjet CR929. Dazu haben beide Seiten ein chinesisch-russisches Konsortium gebildet. China will bei dem Flugzeug erstmals russische Turbinen einsetzen. Doch die weltweiten Sanktionen schneiden Russland von westlicher Technologie ab und internationale Luftfahrtkonzerne ziehen sich aus dem Land zurück. Das Projekt steht damit - zumindest in seiner jetzigen Konstellation - vor dem Aus.
Als Absatzmarkt spielt der russische Markt keine allzu große Rolle. China exportiert in die Russische Föderation vor allem Investitionsgüter wie Maschinen und Anlagen oder Elektrotechnik sowie Konsumgüter, wie Unterhaltungselektronik, Kraftfahrzeuge, Textilien oder Möbel. Chinesische Automarken, die bisher in Industrieländern wenig gefragt sind, finden hier Abnehmer. Der Außenhandel mit der Ukraine ist aus Sicht der Volksrepublik praktisch bedeutungslos.
Chinesische Unternehmen verhalten sich abwartend
Im Gegensatz zu westlichen Konzernen haben chinesische Unternehmen noch keinen allgemeinen Rückzug vom russischen Markt angekündigt. Lediglich vereinzelt drangen entsprechende Pläne an die Öffentlichkeit. Auch einige Projekte im Erdgasbereich, an denen staatliche chinesische Firmen beteiligt sind, wurden laut Presseberichten auf Eis gelegt. Insgesamt wird wohl erst auf eine offizielle Bekundung aus Beijing gewartet. Möglicherweise hoffen einige auch, in die Lücke der abziehenden westlichen Konkurrenz zu stoßen.
Momentan spürt die chinesische Wirtschaft die Ukrainekrise vor allem im Logistikbereich. Der internationale Luft- und Bahnverkehr ist stark betroffen.
In der Logistik ist der Konflikt deutlicher zu spüren. Die Flugrouten von Europa nach China gehen mehrheitlich über den russischen Luftraum. Internationale Airlines müssen diese nun zeitaufwendig umfliegen. Da es aber so gut wie keinen Passagierverkehr gibt, macht sich das aktuell nicht so stark bemerkbar. Die Luftfracht spürt derweil einen deutlichen Rückgang bei ihren Kapazitäten. Auch die direkte Bahnstrecke zwischen der Volksrepublik und Europa ist betroffen. Noch scheinen die Containerzüge zu fahren. Doch immer mehr Firmen meiden die bis vor Kurzem noch sehr angesagte Transportmöglichkeit.
Die Frachtraten steigen dadurch in die Höhe und die ohnehin deutlich angespannten Lieferketten geraten zusätzlich unter Druck. Zugleich spüren produzierende Unternehmen in China die steigenden Energiekosten. Die Produzentenpreise waren in den letzten vier Monaten 2021 nach Angaben des nationalen Statistikamtes bereits zweistellig gestiegen. Im Januar und Februar 2022 gab es dann wieder ein leichtes Abflauen der Inflationsraten. Die zahlreichen Corona-Lockdowns im März führten zu einem Rückgang der globalen Rohölpreise. Doch dabei könnte es sich nur um eine kurze Verschnaufpause handeln.
In Deutschland werden Forderungen nach einem Rückzug aus China lauter
Auch für deutsche Unternehmen in China sind die Folgen daher noch überschaubar. Doch was passiert, wenn sich das Land eindeutig auf die Seite Russlands schlägt? In den deutschen Medien werden erste Planspiele durchgeführt, was ein Rückzug vom chinesischen Markt Deutschland "kosten" würde. Auch wenn es aus Unternehmersicht richtig und wichtig ist, sein Länderrisiko auf den Prüfstand zu stellen und zu diversifizieren, hätte eine weitgehende Entkopplung schwerste wirtschaftliche Konsequenzen.
Ein vergleichbarer Rückzug aus China würde wohl über Jahre zu einer Mangelwirtschaft in Deutschland führen.
China ist wesentlich stärker in die internationale Arbeitsteilung integriert als Russland. Insbesondere die hohe Abhängigkeit Deutschlands vom chinesischen Beschaffungsmarkt ließe sich wohl nur sehr langsam und unter enormen Kosten reduzieren. Schließlich ist die Volksrepublik der mit weitem Abstand größte Hersteller von zahlreichen Konsumwaren und Investitionsgütern. Auch Container kommen überwiegend aus chinesischer Produktion. Ohne sie gibt es keinen internationalen Seetransport. Selbst bei einem nur teilweisen Boykott von "made in China" würden in Deutschland viele Vorprodukte und Konsumgüter über Jahre zur Mangelware.